Emilia Giammaria ist eine Kämpferin. «Wenn wir uns nicht wehren, ändert sich nichts», sagt sie – und wehren musste sie sich in der Tat. Die 38-jährige Italienerin kam Ende 2003 als Systemingenieurin zum Berner Ableger eines Telekommunikationsriesen, für den sie zuvor schon in Italien und Deutschland gearbeitet hatte. Bald merkte sie, dass etwas mit ihrem Lohn nicht stimmen konnte. «Ich wurde stutzig, als nach einem Chefwechsel mein Lohn mitten im Jahr um zwölf Prozent erhöht wurde.» Das freute sie zwar, liess sie aber vermuten, dass es einiges an Willkür im Salärsystem gab.

«Dass ich mich durchsetzen konnte und Recht erhalten habe, gibt mir Kraft.» Emilia Giammaria, 38, Systemingenieurin

Quelle: Fabian Unternährer
Grösste Unterschiede bei Kaderlöhnen

Geht es um die Entlöhnung von Männern und Frauen, herrscht Willkür auf breiter Ebene. Gemäss der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik betrug 2008 die Differenz aller Monatssaläre in der Privatwirtschaft im Schnitt 19,4 Prozent zuungunsten der Frauen. Die Unterschiede rühren teils daher, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten, seltener in hohen Positionen zu finden sind und öfter generell schlecht entlöhnte Berufe ausüben.

Letztes Jahr hat eine statistische Analyse in der Stadt Zürich ergeben, dass rund zwei Drittel der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen erklärbar sind durch Faktoren wie die berufliche Stellung, das Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes, das Pensum und die Ausbildung.

Das restliche Drittel der Lohndifferenz ist hingegen «einzig darauf zurückzuführen, dass die Frau eine Frau und nicht ein Mann ist», so die Zürcher Statistiker. So hat die Durchleuchtung der Saläre gezeigt, dass die Löhne der Frauen auch bei vergleichbarer beruflicher Stellung tiefer sind, am deutlichsten bei den Kaderlöhnen (siehe nachfolgende Grafik «Lohnunterschiede»).

Dies obwohl vor 30 Jahren die Lohngleichheit in die Bundesverfassung aufgenommen wurde. Damals änderte sich lange nichts. Am 14. Juni 1991 machten eine halbe Million Frauen am Frauenstreik Druck, fünf Jahre später wurden mit dem Gleichstellungsgesetz Instrumente gegen die Diskriminierung geschaffen. Wer sie nutzt, muss aber bis heute mit starkem Gegenwind rechnen. Das führt dazu, dass viele die Faust im Sack machen.

Fragen kostet nichts – im Gegenteil

Emilia Giammaria gehört nicht zu ihnen. Sie wandte sich mit ihrem Verdacht zuerst an die Gewerkschaft Unia. Dort riet man ihr, Beweise für die Lohnungerechtigkeit zu sammeln und dann das Gespräch mit Vorgesetzten zu suchen (siehe nachfolgende Info «So gehen Sie vor»). «Ich nannte gegenüber einigen männlichen Kollegen meinen Lohn und fragte, ob sie ihn angemessen finden», erzählt sie. Einer von ihnen war jünger und erst zwei Jahre im Betrieb, hatte aber 18 Prozent mehr Lohn. Als sie ihren direkten Vorgesetzten darauf ansprach, zeigte er Verständnis. Nach weiteren Gesprächen mit dem obersten Chef und der Personalabteilung versprach man ihr eine stufenweise Anpassung des Lohns.

Innerhalb von zwei Jahren wurde Giammarias Salär um 25 Prozent erhöht – verglichen mit ihrem Anfangslohn erhielt sie nun gar 41 Prozent mehr. «Für mich war die Sache damit eigentlich erledigt», blickt sie heute zurück, «denn meine Arbeit und das Team gefielen mir.» Diese Loyalität mache es oft schwierig, sich einzugestehen, dass etwas mit dem Lohn nicht stimmen könnte, und zu kämpfen, sagt sie.

Gegen eine halbe Million Frauen legten aus Protest die Arbeit nieder: Frauenstreiktag, 14. Juni 1991

Quelle: Fabian Unternährer
Und dann die Kündigung

Eine Weile ging alles gut. Doch im Herbst 2007, nach mehreren Absenzen, bei denen sie notfallmässig zu ihrer Tochter musste, wurde in der Firma eine Regelung eingeführt, die die Absenzen bei Krankheit der Kinder beschränkt. «Ich habe dies offen kritisiert», erzählt sie. Im November jenes Jahres bekam Giammaria ihr zweites Kind. Zum Jahresanfang erhielt sie dann als Einzige im Team keine Lohnerhöhung. Kurz nach dem Schwangerschaftsurlaub wurde sie zur Besprechung der Jahresziele eingeladen – und erhielt die Kündigung. «Das war ein Schock.»

Begründet wurde die Entlassung mit ungenügenden Leistungen, wovon vorher nie die Rede gewesen war. «Ich fühlte mich, was meine Leistungen betraf, völlig sicher», sagt sie. Dennoch ging die Firma auf ihre interne Beschwerde gegen die Kündigung nicht ein. Emilia Giammaria reichte mit Unterstützung der Gewerkschaft Klage ein.

Ihre Anwältin sagt: «Der eigentliche Grund waren die Abwesenheiten wegen Krankheit und die Schwangerschaft» – und auch, dass sich Giammaria an Betriebsversammlungen mehrmals gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen gewehrt habe. Die Anwältin forderte 50'000 Franken: sechs Monatslöhne, weil ihr die Stelle grundlos gekündigt worden war, sowie eine rückwirkende Anpassung ihres Lohns an jenen von zwei Kollegen oder mindestens 17'000 Franken Lohnnachzahlungen.

Vor Gericht fand ein Einigungsgespräch statt. Weil sich zur Lohnfrage ein langer und ungewisser Prozess mit Arbeitsgutachten abzeichnete, schlug die Richterin eine Vergleichssumme von 35'000 Franken vor. Nach zähem Ringen akzeptierte die Gegenpartei den Vorschlag. Emilia Giammaria erhielt die 35'000 Franken: drei Monatslöhne Entschädigung wegen der Kündigung sowie die Lohnnachzahlung. «Ich habe in den Vergleich eingewilligt, auch weil mein Mann damals noch bei der Firma arbeitete», sagt sie. Ein gutes Jahr dauerte ihr Kampf um Lohngerechtigkeit. Obwohl sie ihren Job verloren hat, würde Giammaria wieder gleich handeln: «Dass ich mich durchsetzen konnte und Recht erhalten habe, gibt mir Kraft.»

«Über den Lohn zu reden lohnt sich», sagt Barbara Rimml, Gewerkschaftssekretärin bei der Unia Bern. Denn zuerst konnte Giammaria, noch angestellt, ihr Salär erheblich steigern. Und dass der Arbeitgeber nach der Kündigung die Vergleichssumme vollumfänglich zahlte, wertet Rimml als klares Eingeständnis. «Ich denke, sie hatten Angst vor einer Lohnüberprüfung.» Seit 1996, als das Gleichstellungsgesetz in Kraft trat, wurden in der Deutschschweiz 226 Klagen wegen Lohndiskriminierung eingereicht. In 148 Fällen erhielt die Klägerin Recht oder es kam zum Vergleich – oft mit Zahlungen in fünfstelliger Höhe.

Um Streitigkeiten zu vermeiden, gibt es heute nützliche Instrumente wie etwa den Selbsttest Logib, mit dem Firmen ihre Löhne auf Diskriminierung hin untersuchen können. Doch bisher unterzog sich nur ein kleiner Kreis dieser freiwilligen Überprüfung, einer Dienstleistung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann. 2010 wurde nun ein Lohngleichheitsdialog zwischen den Sozialpartnern einberufen, um Betriebe diesbezüglich stärker in die Pflicht zu nehmen. Und Druck soll auch von der Strasse kommen: Zum 20-Jahr-Jubiläum des Frauenstreiks vom 14. Juni rufen Gewerkschaften und Frauenorganisationen zu Aktionen auf.

In der Stadt Zürich wurde 2010 der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern gemessen, indem der Medianlohn der Männer mit dem Medianlohn der Frauen verglichen wurde.

Der Medianlohn ist ein Mittelwert für die Lohnverteilung. Seine Definition: Je die Hälfte der Lohnbezüger verdient mehr respektive weniger als diesen Lohn.

Je nachdem, welches Kriterium man betrachtet, unterscheiden sich die Löhne mal gering, mal sehr stark. Die Unterschiede erklären sich aber nur zum Teil dadurch, dass Frauen für vergleichbare Arbeit schlechter entlöhnt werden als Männer. Ins Gewicht fällt auch, dass Frauen öfter in Branchen mit tiefen Löhnen arbeiten, seltener ins höhere Kader aufsteigen und mehr Teilzeit arbeiten.

Lesebeispiel: Eine Frau im Alter von 20 bis 29 Jahren verdient 11,4% weniger als ihre männlichen Arbeitskollegen im gleichen Alter.

*Anforderungsniveaus: 4 = einfache, repetitive Tätigkeiten; 3 = Berufs-/Fachkenntnisse nötig; 2 = selbständiges/qualifiziertes Arbeiten nötig; 1 = höchst anspruchsvolle/schwierige Arbeiten

Quelle: Fabian Unternährer

Quelle: Statistik Stadt Zürich und Fachstelle für Gleichstellung Stadt Zürich, März 2010; Infografik: Beobachter/DR

 

  1.  
  2. Den branchenüblichen Lohn ausrechnen und sich erkundigen, ob es einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) gibt.
     
  3. Kollegen mit ähnlicher oder gleicher Funktion und Arbeit nach ihrem Lohn fragen; auch bei Kolleginnen nachfragen, um allenfalls gemeinsam handeln zu können.
     
  4. Wenn sich der Verdacht auf Lohndiskriminierung bestätigt, das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen.
     
  5. Wenn eine Untersuchung oder Lohnanpassung abgelehnt wird, sich an Gewerkschaft, Berufsverband, Frauenorganisation oder direkt an die kantonale Schlichtungsstelle wenden.
     
  6. Jeder Kanton bietet kostenlose Schlichtungsverfahren an. Nicht Sie müssen eine Diskriminierung beweisen, sondern der Arbeitgeber muss die Lohndifferenz begründen. Ein allfälliger Vergleich ist rechtskräftig.
     
  7. Wenn kein Vergleich zustande kommt, können Sie klagen. Auflistung der zuständigen Gerichte für alle Deutschschweizer Kantone im Internet unter www.gleichstellungsgesetz.ch
     
  8. Das Gerichtsverfahren ist kostenlos, doch jetzt benötigen Sie die Unterstützung einer Anwältin oder eines Anwalts. Klären Sie rechtzeitig ab, wer diese bezahlt (Rechtsschutz oder eine Organisation).
     
  9. Wird gegen ein Gerichtsurteil nicht fristgerecht Beschwerde
    eingereicht, ist es rechtskräftig.
     
  10. Sie können fünf Jahre rückwirkend klagen, also auch dann, wenn Sie die Stelle bereits verlassen haben und etwa Ihr Nachfolger mehr verdient.
     
  11. Werden Sie wegen Ihrer Lohnforderung entlassen, müssen Sie die Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist anfechten. Während eines rechtlichen Verfahrens und sechs Monate darüber hinaus besteht Kündigungsschutz.

Empfehlenswerte Lohnrechner zum Berechnen und Vergleichen von Salären nach verschiedenen Kriterien:

Salarium des Bundesamts für Statistik: www.lohnrechner.bfs.admin.ch. Umfasst alle Branchen; berücksichtigt sind auch Firmengrösse, Bonuszahlungen, Wochenarbeitszeit. Zeigt, in welcher Bandbreite sich Männer- und Frauenlöhne bewegen sollten.

Lohnrechner des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds: www.lohnrechner.ch. Übersichtlich, doch einige Branchen fehlen. Ausrechnen lässt sich der geschlechtsneutrale Lohn.

Lohnrechner des Beobachters: www.beobachter.ch/rechner/lohnvergleich. Die Suche ist über Branche oder Berufseingabe möglich, das Ergebnis kann mit Löhnen in anderen Bereichen verglichen werden. Es braucht eine Registrierung mit Zugangscode.

Nützliche Websites und Downloads: