Die Erinnerung an die eigene Schulzeit ist für die einen mehr, für die anderen weniger beglückend. Auf die Lust an Weiterbildung scheint das jedoch keinen Einfluss zu haben: Wir sind ein Volk von Bildungshungrigen. Ein Grossteil der Menschen, die mitten im Erwerbsleben stehen, setzt Freizeit und einiges an Geld ein, um sich auf dem neusten Stand zu halten und sich beruflich weiterzuqualifizieren.

Im Vergleich zur EU, wo sich nur ein Drittel weiterbildet, tun dies Personen in der Schweiz überdurchschnittlich häufig: Die Hälfte der 25- bis 64-jährigen Wohnbevölkerung nahm gemäss den aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Statistik im Jahr 2009 an einer Weiterbildung teil. Sogar 80 Prozent sind es, wenn man das selbständige Lernen mit Hilfe von Fachliteratur oder Lernsoftware dazuzählt. Mit einem Volumen von schätzungsweise 5,3 Milliarden Franken ist der Schweizer Weiterbildungsmarkt auch volkswirtschaftlich ein wichtiger Faktor.

Wissen veraltet schnell

Wie kommt man dazu, auf Badi oder Theaterbesuch zu verzichten und nach Feierabend, an Ferientagen und Wochenenden Schulungen, Kurse und Seminare zu besuchen und zusätzlich noch über Hausaufgaben zu brüten? Zumal man währenddessen im beruflichen Alltag meistens weiterhin die volle Leistung bringen muss? Ein Grund sind die steigenden Ansprüche der Arbeitswelt, die sich rasend schnell wandelt.

Zum Beispiel im IT-Bereich: Was gestern neu war, ist heute veraltet. «Der technische Fortschritt steigert die Nachfrage nach höher Qualifizierten. Weiterbildung ist heute wichtiger als vor 30 Jahren, und die Entwicklung hat sich in den letzten Jahren noch beschleunigt», sagt George Sheldon, Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universität Basel. Das haben auch Firmen erkannt. «Die Schweiz ist bekannt dafür, dass die Ausgaben für die betriebliche Weiterbildung relativ hoch sind.»

Ob vom Betrieb oder aus eigener Tasche finanziert – mit der passenden Weiterbildung verschafft man sich entscheidende berufliche Vorteile. Immer wieder liest man, lebenslanges Lernen sei nicht nur lustbetonte Kür, sondern Pflicht der Arbeitnehmenden, um den Anschluss nicht zu verlieren und nicht plötzlich ohne Job dazustehen. Man füllt seinen persönlichen Bildungsrucksack und schliesst Wissenslücken, bleibt fit für den Job und verschafft sich bei einem Karrieresprung Vorteile. Und droht ein Stellenverlust, finden Mitarbeitende, die ihren Werkzeugkoffer up to date gehalten haben, schneller wieder eine Anstellung.

Darüber hinaus erweitert Weiterbildung den Horizont und fördert die Sozialkompetenz. Nicht zuletzt ist auch das Networking bei Weiterbildungsveranstaltungen sehr nützlich: Man kommt mit Gleichgesinnten ins Gespräch, knüpft Kontakte mit Berufsleuten und tauscht Erfahrungen aus. Das so erweiterte Netz hilft bei der Suche nach einer neuen Arbeit.

Aufholen, wiedereinsteigen, durchstarten

Wer soll sich weiterbilden? In ganz unterschiedlichen Lebenssituationen ermöglicht es die richtige Weiterbildung, persönliche Interessen auszuleben, berufliche Weichen zu stellen und einen entscheidenden Beitrag für das Weiterkommen im Beruf zu leisten. Etwa bei einem Wiedereinstieg nach einer Familienphase oder einem anderen Time-out. Für Arbeitssuchende gehören auch Themen wie Bewerbungstechniken, Stellensuche oder Kurse im Bereich IT-Wissen zum Rüstzeug. Diese Wiedereinstiegs- und Auffrischungskurse gibt es in ganz unterschiedlichen Branchen. Ein Beispiel für ein sehr zielgruppenorientiertes Konzept ist der Kurs «Women Back to Business» der Universität St. Gallen speziell für Akademikerinnen.

Auch wer mit 40 oder 50 Jahren einen neuen Weg einschlägt oder erst als Erwachsener erstmals oder zusätzlich ein Sprachdiplom erwerben, eine Lehre oder gar ein Studium abschliessen möchte, findet das passende Angebot. Dass sich das Nachholen von Bildung auszahlt, besagt eine kürzlich erschienene Studie der Berner Fachhochschule im Auftrag des Arbeitnehmerdachverbands Travail Suisse. Sie zeigt, dass mehr als 50'000 Erwerbstätige ohne Ausbildung gute Voraussetzungen für einen nachträglichen Berufsabschluss haben. Laut der Studie verbessert jeder Abschluss die Lebensqualität der Betroffenen und ist für die Gesellschaft höchst profitabel, weil er dazu beiträgt, den absehbaren Fachkräftemangel zu lindern.

Mehr Angebote für ältere Berufsleute

Lebenslanges Lernen ist nämlich auch aus folgendem Grund wichtig: Gemäss Prognosen nimmt der Anteil der Erwerbstätigen im Alter über 45 Jahren zu, der Anteil der Erwerbstätigen unter 45 ab. Daher erwarten Prognostiker, dass in der Schweiz bereits in den nächsten Jahren die Arbeitskräfte knapper werden und die Generation 50 plus stärker gefragt sein wird. Die speziell auf diese Altersgruppe zugeschnittenen Weiterbildungsangebote sprechen deshalb Fragen wie diese an: «Wie plane ich die verbleibenden Jahre im Beruf?» Oder: «Wie bleibe ich beruflich und gesundheitlich fit?» Und: «Zu welchem Zeitpunkt werde ich die Weichen für meine Pensionierung stellen müssen?»

Für eine ausgeglichene Work-Life-Balance kann auch ein Ausstieg auf Zeit sorgen. Die Freiräume von sogenannten Sabbaticals, also einigen Wochen oder Monaten unbezahlten Ferien oder erwerbsfreier Zeit, werden gern für den Besuch von Kursen genutzt – wie etwa für einen Sprachaufenthalt oder eine andere Weiterbildung.

Aber welche Weiterbildung ist die richtige? Wie behält man im fast unbegrenzten Dschungel der Angebote den Überblick? Allein auf www.alisearch.ch, dem Internetportal des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (SVEB), sind 40'000 verschiedene Kursangebote aufgeschaltet. Um zu finden, was zu einem passt, empfiehlt es sich, zunächst beim eigenen Arbeitgeber, beim Berufsverband oder bei einer öffentlichen Berufsberatungsstelle Rat zu holen.

Das Spektrum der Anbieter reicht von der kleinen Privatschule bis zum Weiterbildungskonzern. Auch Gewerkschaften, Berufs- und Branchenverbände führen berufsorientierte Lehrgänge und Kurse durch. Solche privaten Träger machen rund 80 Prozent der gesamten Kursstunden aus. Zu ihnen gehören die grössten Anbieter von Weiterbildung, die Bildungsgruppe Kalaidos, die Bildungsgruppe des Kaufmännischen Verbands und die Migros-Klubschule. Nur 20 Prozent der Weiterbildungsstunden finden an öffentlichen Berufsschulen, Fachhochschulen und Universitäten statt.

Die Chefs sind zu wenig engagiert

Auch in Zukunft wird das Weiterbildungsangebot in der Schweiz auf hohem Niveau bleiben, wie eine Befragung des SVEB ergab. Als Trend zeichnet sich ab, dass künftig die Nachfrage nach eidgenössischen Abschlüssen und international anerkannten Diplomen wie dem Bachelor- oder Masterabschluss steigen wird. «Obwohl sich die betriebliche Weiterbildung zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor bei den Arbeitgebern entwickelt, engagieren sich noch zu wenige Unternehmen für die hauseigene Weiterbildung», sagt André Schläfli, Direktor des SVEB.

Die Themen Migration und interkulturelle Kompetenzen werden in Zukunft wichtiger werden – angesichts der multikulturellen Gesellschaft bestimmt ein ausbaufähiger Bereich. Weitaus erstaunlicher ist, dass gemäss Fachleuten die Förderung von Grundkompetenzen ein Dauerthema bleiben wird: Fähigkeiten im Lesen und Schreiben, in der Alltagsmathematik und in der Informations- und Kommunikationstechnologie.

Was ist Weiterbildung?

Die Grenze zwischen berufsorientierter und allgemeiner Weiterbildung ist nicht leicht zu ziehen. Auch die Definition für Weiterbildung ist unscharf: Offiziell ist mit Weiterbildung nur die nicht-formale Bildung in Kursen, Seminaren oder Privatunterricht und das informelle Lernen, etwa mit Hilfe von Fachliteratur, gemeint. Realitätsnäher ist der Begriff «Lebenslanges Lernen», den Bildungsexperten benutzen und in dem die Erwachsenenbildung und die Weiterbildung zusammengefasst sind. Die sogenannt formale Bildung umfasst die obligatorische Schule, die berufliche Grundbildung oder allgemein bildende Schulen und die Tertiärstufe (höhere Berufsbildung, Hochschulabschlüsse). Was die nicht-formale Bildung betrifft, waren 2009 die Themen Gesundheit und Medizin, Sprachen, Informatik und Persönlichkeitsbildung am gefragtesten (siehe Grafik).

Quelle: Thinkstock Kollektion