Zweieinhalb Jahre lang an allen Wochenenden und vielen Abenden gelernt – vergeblich. 13'900 Franken in den Sand gesetzt. Und: die Karrierepläne begraben. Dies ging Marianne Seiler* durch den Kopf, als sie im Sommer 2006 den Brief öffnete, auf den sie seit der Berufsprüfung als Fachfrau im Finanz- und Rechnungswesen mehr als einen Monat gewartet hatte. Jetzt hatte sie es schwarz auf weiss: nicht bestanden. Sie war eine von vielen. 37 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten fielen durch. 2008 stieg die Misserfolgsquote sogar auf 42 Prozent.

Zur grossen Frustration hinzu kommen die finanziellen Abstriche. Die Vorbereitung auf die Berufsprüfung dauert an den meisten Schulen fünf Semester und kostet rund 14'000 Franken. 379 Kandidaten bestanden 2008 die Prüfung nicht, zusammen hatten sie also über fünf Millionen Franken bezahlt. Zudem wird die Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten enttäuscht: Fachleute im Finanz- und Rechnungswesen verdienen im Schnitt 123'000 Franken pro Jahr. Das ist erheblich mehr, als die meisten kaufmännischen Angestellten bekommen. Zudem hätten sie nach bestandener Prüfung die Möglichkeit gehabt, ein Diplom als Experte anzustreben (siehe unten: «Der weite Weg zu Fachausweis und Diplom»). Diese kommen auf durchschnittlich 190'000 Franken jährlich.

Weiterbüffeln im zweiten Anlauf

Kein Wunder, treten viele ein zweites Mal an. Wer das tut, ohne die Vorbereitung zu wiederholen, geht allerdings ein hohes Risiko ein – in diesem Fall ist die Misserfolgsquote noch höher. Marianne Seiler nahm deshalb die enorme Belastung erneut auf sich, schrieb sich an einer anderen Schule ein, büffelte wieder fünf Semester – und bestand die Prüfung. Warum diesmal? Eine bessere Vorbereitung, sagt sie. «Die Lehrer waren kompetenter, verstanden mehr von der Praxis, brachten bessere Beispiele.» Ein wichtiger Faktor waren die Zwischenprüfungen. «Wer sie nicht bestand, durfte provisorisch im Kurs bleiben, nach dem zweiten Mal war aber Schluss.»

Erfolg hatte Marianne Seiler an der KV Zürich Business School. Peider Signorell, Rektor Weiterbildung, stimmt natürlich ein in ihr Lob auf die Lehrer: Viele von ihnen seien seit Jahren dabei, hätten Lehrbücher geschrieben und auf diese Weise sogar das Berufsbild der Fachleute im Finanz- und Rechnungswesen mitbestimmt. Ein Teil der Lehrer sei heute neben dem Unterricht noch in der Praxis tätig.

Die erste Schule, an der Marianne Seiler Kurse belegte, ist aber nicht einfach schlecht. Deren Erfolgsbilanz lässt sich sehen: Absolventen der Schule waren im Jahr 2009 zu 19 verschiedenen eidgenössischen Prüfungen angetreten. In 16 davon lag ihre Erfolgsquote höher als im schweizerischen Durchschnitt, darunter in der Berufsprüfung Finanz- und Rechnungswesen. In zwei Prüfungen war die Quote durchschnittlich, in einer unter dem schweizerischen Mittel. Man darf also annehmen, dass die negativen Erfahrungen von Marianne Seiler nicht repräsentativ für alle Teilnehmer sind.

Dass 2008 gesamtschweizerisch sage und schreibe 42 Prozent der Kandidaten die Prüfung nicht bestanden haben, gibt denn doch zu denken. Besonders wenn man weiss, dass die Misserfolgsquote bei anderen kaufmännischen Berufsprüfungen ähnlich hoch ist (siehe Grafik). Bei Personalfachleuten beträgt sie 33 Prozent, bei Marketing- und Sozialversicherungsfachleuten je 31. Sie zahlten zusammen fast sieben Millionen Franken Schulgeld.

(Klicken Sie auf die Grafik, um diese vergrössert darzustellen.)

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Wer wenig Praxis hat, hat wenig Chancen

Ohne die Gründe im Detail zu kennen, vermutet Martin Stalder, dass die generalistische Ausbildung der kaufmännischen Angestellten eine Rolle spielt. Er ist Leiter Höhere Berufsbildung im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie und weiss um die deutlich bessere Erfolgsquote in handwerklich-industriellen Berufen. Die einschlägige Praxis, die alle Kandidaten mitbringen müssen, bekommen Leute in diesen Berufen viel leichter mit auf den Weg.

Bei der Berufsprüfung zum Sozialversicherungsfachmann zeigt sich die Problematik der erforderlichen Praxis beispielhaft. Wer in der Lohnbuchhaltung eines Unternehmens arbeitet, wo AHV-, IV- und andere Abzüge alltäglich sind, weiss fast alles über diese Seite der Sozialversicherungen – hingegen wenig über ausgezahlte Beiträge. Das hätte er gelernt, wenn er bei einer Ausgleichskasse angestellt wäre. «Das ist bestimmt einer der Gründe für den hohen Anteil an Kandidaten, die nicht bestehen», sagt Kurt Graf, Präsident der zentralen Prüfungskommission Sozialversicherungen.

Wie andere Fachleute ist Graf zudem überzeugt, dass die Ausbildung an den Schulen sehr unterschiedlich ist. Es gibt keine amtliche Qualitätsprüfung. Claude Dubois, Prüfungsleiter von Swiss Marketing, weiss von 60 bis 70 Anbietern, die Kurse zur Vorbereitung auf die Berufsprüfung als Marketingfachmänner und -frauen durchführen. «Für diese Schulen organisieren wir jedes Jahr ein Treffen, in dem wir auf die letzten Prüfungen eingehen und zeigen, was gut war und was schlecht», erzählt Dubois. Aber regelmässig sei etwa ein Drittel der Schulen nicht vertreten. Den Interessenten bleibt also am Ende nichts anderes übrig, als selber Erkundungen zur Qualität des Unterrichts einzuholen (siehe «Schulwahl: Wie kommt man zu Qualität»).

Eine Erklärung für die vielen Misserfolge weisen die Vertreter aller Prüfungskommissionen weit von sich: Nein, die Prüfungen seien nicht zu schwierig. Erstens seien die Anforderungen im Beruf nicht kleiner, sondern grösser geworden. Zweitens würden es die bereits geprüften Fachleute zu Recht nicht gern sehen, wenn der Nachwuchs trotz gleichem Titel weniger qualifiziert wäre. Denn die Arbeitgeber müssten sich darauf verlassen können, dass die neuen geprüften Fachleute bestimmte Kompetenzen mitbringen, nicht im einen Jahr mehr und im anderen weniger. Alles andere wäre das Ende der Fachausweise.

*Name geändert

Schulwahl: Wie kommt man zu Qualität?

Folgende Fragen sollte man sich bei der Auswahl der Ausbildungsstätte stellen:

  • Wie hoch ist die Erfolgsquote der Absolventen an den eidgenössischen Prüfungen?

  • Welche Qualifikationen bringen die Lehrer mit, die in meiner Klasse unterrichten?

  • Wann waren sie zum letzten Mal in der Praxis? In welcher Funktion?

  • Was befähigt die Vollzeitlehrer, dieses Fach zu unterrichten?

Der weite Weg zu Fachausweis und Diplom

Die höhere Berufsbildung ist in der Schweiz zweistufig. Nach einigen Jahren Praxis ist der erste Schritt die Berufsprüfung. Wer sie besteht, erhält einen eidgenössisch anerkannten Fachausweis und darf sich beispielsweise Fachfrau im Finanz- und Rechnungswesen oder Detailhandelsspezialist nennen.

Nach ein paar Jahren besteht dann die Möglichkeit, sich für eine höhere Fachprüfung anzumelden. Erfolgreiche erhalten ein eidgenössisches Diplom, etwa als Experte in Rechnungslegung und Controlling oder als Detailhandelsökonom. Das Interesse an diesen Prüfungen ist enorm. 2009 wurden mehr als 12'000 Fachausweise und 2800 Diplome verliehen.

Seit einigen Jahren gibt es zudem höhere Fachschulen. 27 Lehrgänge sind bis heute anerkannt – vom Agro-Kaufmann HF bis zum Versicherungswirtschafter HF. Der Unterricht an den höheren Fachschulen ist immer berufsbegleitend. 2008 wurden 4200 Diplome HF verliehen.