Raphael Doria wohnt in einem modernen Apartmenthaus in der Nähe der Zürcher Börse. Ein Summen, und die Glastür im Haupteingang öffnet sich. Sanft schwebt der Lift nach oben. Doch im zweiten Stock beginnt eine andere Welt: Man wähnt sich in einem Kolonialhaus irgendwo in Nordafrika. Draussen brennt die Sonne, hier drin aber ists angenehm kühl. Gedämpftes Licht fällt auf die schweren, alten Möbel, bringt da und dort ein Glas zum Leuchten, spiegelt sich in den Verzierungen der antiken Schwerter und Trophäen.

Raphael Doria hat einiges gemeinsam mit den Kolonialherren, die auszogen, um sich die Welt untertan zu machen. Der Wahlschweizer war bereits als 18-Jähriger mit der Fremdenlegion für Frankreich im Krieg. Schon immer sei er fasziniert gewesen vom Militär, sagt der heute 60-Jährige.

Wer herrschen will, muss kontrollieren: Inmitten der antiken Möbel stehen als Attribut des 21. Jahrhunderts zwei kleine Überwachungsmonitore. Die Bildschirme sind so ausgerichtet, dass Doria von seinem mächtigen Schreibtisch aus beobachten kann, was sich zwei Stockwerke tiefer im Hauseingang abspielt.

Das Misstrauen bleibt ewig
«Sie kommen ohne Fotograf, ohne Kamera und ohne Tonbandgerät», das hatte Raphael Doria schon am Telefon klargestellt. Mit erhobenem Zeigefinger wiederholt er nun seine Gesprächsbedingungen.

«Haben Sie hier ein Aufnahmegerät drin?», fragt er scharf und zeigt mit dem Finger, einer Pistole gleich, auf die Tasche der Journalistin. Doria kneift die Augen zusammen, zieht gemächlich den Rauch der Zigarette ein. «Stellen Sie Ihre Tasche dort drüben auf den Tisch», dirigiert er – diesmal ruhig und besonnen.

Die Fremdenlegion wurde 1831 von König Louis Philippe gegründet und hatte anfänglich eine ziemlich innige Beziehung zur Schweiz: Nicht nur war der erste Kommandant ein gewisser Christophe Stoffel aus dem thurgauischen Arbon. Jahrzehntelang waren die Eidgenossen auch überdurchschnittlich in der Legion vertreten. Im Ersten Weltkrieg zogen 10'000 Schweizer für Frankreich in den Krieg und stellten somit ein Viertel der Legion. Und das, obwohl die hiesigen Gesetze das Söldnertum verbieten und Rückkehrer damit rechnen müssen, inhaftiert zu werden.

95 Von 100 schaffen es nicht
Wobei manche gar nicht zurückwollten. Denn die Fremdenlegion lockte mit dem Recht, beim Eintritt mit seinem alten Leben abzuschliessen und einen neuen Namen anzunehmen. «Als in den französischen Kolonien noch Tausende von Legionären benötigt wurden, ist man bei der Rekrutierung oft ziemlich unzimperlich mit der Vergangenheit der Männer umgegangen», bestätigt Doria.

Bei einem Grossteil der damaligen Legionäre habe es sich deshalb um Kanonenfutter gehandelt, stellt er nüchtern fest. «Der jugendliche Ausreisser war genauso willkommen wie der fünffache Mörder.» Das sei heute vollkommen anders: «Es sind nur noch 8500 Berufssoldaten im Einsatz, und es handelt sich um eine absolute Elite-truppe.» Obwohl das Prinzip der Anonymität noch immer besteht, werden laut Doria nur jene genommen, die gemäss Abklärungen bei Interpol über eine blütenweisse Weste verfügen. Getestet werden ausserdem die körperliche Verfassung sowie der Intelligenzquotient. Von 100 Bewerbern schaffen 95 die Aufnahme nicht.

Raphael Doria ist nach eigener Auskunft keiner von denen, die in die Fremdenlegion flüchteten. Er habe im Grunde gar nicht anders können, als Berufssoldat zu werden, da er über so etwas wie ein militärisches Gen verfüge. «Man hat es oder man hat es nicht. Das ist angeboren.»

Wenn jemand in der Legion nach ein paar Monaten realisiert, dass ihm dieses «militärische Gen» fehlt und das Leben zu Hause doch ganz angenehm war, dann ist es zu spät. Haben sie einmal unterschrieben, müssen die Legionäre fünf Jahre lang durchhalten und bereit sein, überall in der Welt zu kämpfen und zu sterben. Der Lohn: Sie dürfen nach vier Dienstjahren französische Staatsbürger werden.

«Die Legion ist wie eine grosse Familie», erklärt Doria: «Sie schützt einen ein Leben lang.» Wer 15 Jahre Dienst leistet, bekommt im Alter eine Rente. Ausserdem bestehen soziale Strukturen, die den Exlegionären helfen, nach der Aktivzeit eine Arbeit zu finden. «Und damit», sagt Doria und nimmt eine goldgerahmte Urkunde von der Wand, «mit dem ‹certificat de bonne conduite›, dem Zertifikat für gutes Benehmen, Ehre und Treue, gehen einem viele Türen auf.»

In seinem Fall warens die Türen von französischen Schlafwagen. Nach sechs Jahren bei der Legion wurde er Kondukteur bei der Bahn. Lange hielt er es dort nicht aus: «Die haben mich in eine absolut grauenvolle Uniform gesteckt», empört sich Doria noch heute. Wo er doch vorher eine solch schöne gehabt habe. Nach drei Monaten sei für ihn klar gewesen, dass ein Nullachtfünfzehn-Job nicht sein Ding sei. Raphael Doria wurde Künstler. «Die sind alle von mir», sagt er und zeigt auf die Gemälde an den Wänden seines Ateliers.

Für die Ehre bitter bezahlt
Peter Möckli, Präsident der Amicale, der Vereinigung der ehemaligen Legionäre, betrachtet die Fremdenlegion weniger als eine Sache, die ihm in die Wiege gelegt wurde. Nach einem Krach mit dem Vater war der damals 18-jährige Ostschweizer abgehauen – mit dem Ziel Amerika. Doch dann sah er an einem französischen Polizeiposten das Inserat der Legion. Mehr aus jugendlichem Leichtsinn denn aus wirklicher Entscheidung änderte Möckli seine Reiseroute und befand sich ein paar Wochen später bereits im Schützengraben.

Ein Leichtsinn, der ihn fast das Leben gekostet hätte: Es war im dritten Jahr, als er auf eine Mine trat, die sein Bein zerfetzte. Legionär Möckli wurde als 30-Prozent-Invalider vorzeitig entlassen.

Peter Möckli ist Vater zweier Söhne. Was würde er sagen, wenn einer von ihnen in die Fremdenlegion möchte? Der Amicale-Präsident windet sich. «Also ich würde ihm abraten», gesteht er dann. Wieso, das könne er nicht mal genau sagen. «Vielleicht einfach, weil es sicher Schöneres gibt als die Legion.» Er habe seinen Eintritt in die Fremdenlegion zwar nie bereut und dort auch viel gelernt. Aber er wüsste trotzdem nicht, ob er es wieder machen würde. «Wenn man jung ist, überlegt man sich nicht viel und hat auch keine Ahnung von Weltpolitik. Uns hat man damals halt einfach gesagt: ‹Der Vietminh ist unser Feind›, und wir haben gekämpft.»

Wie Doria lobt auch Möckli die Werte von Treue und Zusammengehörigkeit: «Wir sind eine Familie, die auf Leben und Tod zusammensteht», schwärmt er. Das sehe man heute noch. An den monatlichen Treffen der ehemaligen Schweizer Fremdenlegionäre werde in der Regel «scho rächt glötet». «Aber wenn einer zu viel getrunken hat, dann schauen die anderen, dass ihm nichts passiert.»

Die Amicale Deutschschweiz/Tessin zählt heute gut 50 Exlegionäre sowie ebenso viele Sympathisanten. Früher habe man mehr Mitglieder gehabt, aber es kämen halt keine Jungen mehr nach, erklärt Möckli. «Heute will ja niemand mehr in die Legion. Klar, weil es allen gut geht.» Das sei halt nach dem Krieg noch anders gewesen.

Die Legion war immer Seismograf für Kriege und Krisen rund um den Globus: So meldeten sich Russen nach der Oktoberrevolution 1917, Spanier nach dem Ende des Bürgerkriegs 1939, Deutsche nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes 1945. Derzeit stammen rund 40 Prozent der Rekruten aus Osteuropa.

Die Rückkehr ins normale Leben fällt vielen Legionären schwer. «Aber nicht, weil sie Schlimmes gesehen hätten und das nicht verarbeiten können», betont Möckli. Obwohl es das sicher auch gebe. Das Hauptproblem der Exlegionäre: «Sie sind es gewohnt, dass ihnen alles ‹änebrösmelet› wird. Viele gehen unter, wenn sie aus der Legion entlassen werden, weil da niemand mehr ist, der ihnen sagt, was zu tun ist.»

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Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit zwischen Beobachter und Schweizer Fernsehen DRS. Redaktionelle Verantwortung: Monika Zinnenlauf