Gesegnet sei dieses Schlafzimmer.» Sonor und rhythmisch schwingen Bruder Bennos Worte durch den Raum. Die Aktzeichnungen an den Wänden lässt er links liegen. Bedächtig schreitet der 37-jährige Franziskanerbruder in seiner braunen Kutte von Ecke zu Ecke, schwenkt das mottende Weihrauchgefäss hin und her und versprengt Weihwasser. Nach Absprache bezieht er auch die Wohnpartner ins Ritual mit ein und lässt sie Segenswünsche rezitieren.

Kurz nach dem besinnlichen Gang durch Küche, Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer ruft ihn das Natel unter der Kutte abrupt in den Alltag zurück: «Ja? Hier ist Bruder Benno ... Aha, Sie sind auf der Homepage auf meine Nummer gestossen.» Seit Benno-Maria Kehl seine Dienste im Internet anpreist und sich bescheiden als Seelsorger und Gassenarbeiter an der Zürcher Langstrasse vorstellt, gilt er als Insidertipp. Immer mehr Menschen setzen auf sein Haussegnungsritual mit Weihrauch, Weihwasser, Gebet und Gesang.

Manche Empfehlung hat er auch Marcel Quiblier aus Rüdlingen zu verdanken – einem Architekten und Bauleiter, der mit beiden Füssen auf dem Boden steht, zwischen Himmel und Erde aber nicht nur die Schwerkraft gelten lässt. Als einmal ein Auftraggeber in einer frisch renovierten Eigentumswohnung das Gefühl nicht los wurde, der Haussegen hänge schief, erinnerte sich Baufachmann Quiblier daran, dass sich das Vormieterpaar in diesen vier Wänden zerstritten hatte und sich dann scheiden liess. Die neuen Mieter neutralisierten nach Bruder Bennos Wegleitung im Internet die Wohnung. Danach war die Luft wieder rein.

Der offenherzige Franziskaner hat die Zeichen der Zeit erkannt. Räuchern, eines der ältesten Rituale der Menschheit, ist wieder en vogue. Weihrauch und Myrrhe, neben Gold die wertvollsten Geschenke der Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland für das frisch geborene Jesuskind, erleben eine Renaissance. Für den atmosphärischen Reinigungsprozess kommen auch duftende Harze, Balsame, Kräuter, Pflanzen und verschiedene Holzarten zum Einsatz.

Spezialisierte Läden wie etwa Farfalla, der Schweizer Pionier und Spezialist für ätherische Öle und Aromapflegeprodukte, verzeichnen seit rund fünf Jahren ein steigendes Interesse an Räuchermischungen. Zwei spezielle Atmosphärenreiniger für den Wohnungswechsel stehen neben traditionellen indianischen, orientalischen oder keltischen Kompositionen besonders hoch im Kurs.

Schmutzreinigung genügt vielen nicht
Auch Andreas Lenherr, Inhaber der Zürcher Berg-Apotheke, stellt eine wachsende Vorliebe für Räucherrituale fest. Mit viel Fachwissen und Herzblut steht der Experte für Pflanzenheilkunde, Aromatherapie und chinesische Heilkräuter hinter dieser archaischen Tradition. Er legt Wert auf erstklassige Rohstoffe; seine auserlesenen Harze und Balsame werden liebevoll gehegt und gepflegt. Dass das Ritual des Räucherns an Boden gewinnt, beobachtet auch Ernst Gloor, Inhaber des Esoterik Buchladens in Zürich. Ein begehrtes Objekt zum Räuchern von Wohnungen sind bei ihm die so genannten Smudges: geschnürte Bündel aus getrocknetem weissem Salbei. Vor allem an regulären Umzugsterminen steigt die Nachfrage.

Viele Neumieter begnügen sich nicht mehr damit, dass die letzten Schmutzspuren der Vormieter beseitigt sind. Feinfühlige Menschen betonen, dass sich auch energetische Schwingungen von Angst, Streit, Gewalt oder Trauer in den Räumen festsetzen und für dicke Luft sorgen.

Diese Erfahrung machte etwa Marietta Widmer, Account Manager aus Zürich. Letzten Juli zog die 22-Jährige um und spürte sofort, wie die neue Wohnung negative Energien ausstrahlte. Erst nachdem sie alle Zimmer nach den Anleitungen ihrer Mutter mit Weihrauch gereinigt hatte, konnte sie unbeschwert durchatmen: «Jetzt hat die Wohnung einen Marietta-Touch.» Später erfuhr sie, dass ihr Vormieter, ein Sozialarbeiter, oft Hilfesuchende und Gestrandete zu Besuch hatte.

«Warum soll man bei einem Wohnungswechsel nur den äusserlichen Dreck beseitigen?», fragt die Aromatherapeutin und Massagefachfrau Elisabeth Stadler Rahman aus Winterthur. Immer wieder fällt ihr auf, dass eine Wohnungsübergabe nach einer Räucherung harmonischer abläuft. Seit Jahren geht sie Räucherritualen in allen Kulturen nach und spürt die negativen Energien gelegentlich auch am eigenen Leib. In Prüfungszimmern, Praxisräumen oder an Orten, wo häufig gestritten wird, stehen ihr die Nackenhaare auf und ein Gefühl der Schwere überkommt sie. «Angst kann man riechen», sagt sie.

Alte Bräuche leben auf
In der westlichen Gesellschaft ortet Elisabeth Stadler Rahman generell einen Sinnes- und Wertewandel. Das Bedürfnis nach spiritueller Rückbindung verstärkt sich, vergessene Bräuche leben auf. So erfährt zum Beispiel das Sternsingen eine Renaissance: Jeweils am 6. Januar schreiten Kinder und Jugendliche in Kostümen der Drei Könige mit Weihrauch durch die Dörfer und schreiben mit Kreide die Formel 20-C+M+B-03 über die Haustüren – das rituelle Zeichen für den Haussegen.

Auf dieses Ritual greift auch Bruder Benno zurück. Allerdings weist er die Lettern nicht den Anfangsbuchstaben von Caspar, Melchior und Balthasar zu, sondern bezieht sie auf den lateinischen Text «Christus Mansionem Benedicat» – oder auf Deutsch: «Christus segne dieses Haus.» Konflikte könne er aber nicht wegzaubern, gibt Benno zu bedenken und distanziert sich klar von jeglicher Magie. Aber das Ritual könne zur Aussöhnung beitragen. Das erhoffen sich von ihm mittlerweile auch Firmen, bei denen Mobbing in der Luft liegt und die deshalb Bruder Benno um seine guten Dienste bitten.

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