Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Niemand ist komplett beziehungsunfähig, auch Sie nicht. Lassen Sie das nicht auf sich sitzen. Aber offenbar ist das Bedürfnis nach Nähe in Ihrer Partnerschaft äusserst ungleich verteilt. Versuchen Sie offen miteinander über diese Unterschiede zu reden, ohne sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Vielleicht brauchen Sie dazu ein Paarcoaching bei einer Fachperson.

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Die Art und Weise, wie Menschen Beziehungen erleben, ist unterschiedlich. Ebenso ist es die Intensität der Beziehungen. Das Bedürfnis nach Nähe ist von Mensch zu Mensch und auch je nach Situation verschieden. Gerade in Liebesbeziehungen wird das besonders deutlich.

«Verabschieden Sie sich vom Vorurteil, Nähe bedeute Liebe und Distanz Lieblosigkeit.»

Koni Rohner, Psychotherapeut FSP

Das Wunderbare an der Liebe ist ja einerseits, dass sie uns Momente schenkt, in denen wir uns anderen sehr nahe fühlen können. Aber anderseits können wir nicht in dieser Verbundenheit verweilen. Ein wichtiges Grundprinzip des Lebens sind nämlich Rhythmen. Beispiele sind das Aus- und Einatmen oder das Pulsieren des Herzens. Genauso verhält es sich mit Liebesbeziehungen. Nach der Vereinigung brauchen wir wieder Distanz, um zu uns selber zu finden, um dann wieder Lust auf Nähe zu bekommen. Die Liebe, schreibt der französische Dichter Stendhal, braucht Distanz, damit sie sich während der Trennung entfalten kann, so wie sich im Winter Kristalle an einem Zweig bilden, den man in Wasser getaucht hat.

Der «Jäger», der «Maurer», die «Prinzessin»

Zwei Störungen sind in diesem Zusammenhang aber in Partnerschaften verbreitet. Es gibt Menschen, die Angst vor Nähe haben – und Menschen, die zu viel Nähe suchen, weil sie nicht allein sein können.

Die Psychologin Stefanie Stahl hat beobachtet, dass sich die Angst vor Nähe oft versteckt. Sie unterscheidet dabei drei Prototypen: den «Jäger», der eine potenzielle Partnerin nur interessant findet, solange sie unerreichbar ist – wäre sie erreichbar, käme sie ihm zu nahe. Den «Maurer», der sich beruflich so sehr engagiert, dass gar keine Gelegenheit für Nähe besteht. Oder die «Prinzessin», die Beziehungen immer wieder abbricht, weil sie Fehler und Schwächen beim Partner entdeckt.

Die Angst vor Nähe kann sowohl mit frühkindlichen Erfahrungen als auch mit einem späteren Trauma zusammenhängen. Wer einfühlsame, liebevolle Eltern hatte, konnte ein Urvertrauen erwerben, das ihm auch im Erwachsenenleben den Mut gibt, sich immer wieder in nahe Beziehungen einzulassen. Wer in einer unsicheren Umgebung aufwachsen musste, traut Beziehungen nicht und bleibt unter Umständen ein Leben lang auf Distanz. Aber auch Leute, die als Erwachsene eine schwere Liebesenttäuschung erlebt haben, lassen in einer Partnerschaft keine Nähe mehr zu, um bloss nicht erneut verletzt zu werden.

Wichtig ist aber festzuhalten, dass nicht jeder Wunsch nach Distanz mit Beziehungsängsten zu tun hat. Auch vom Charakter und von der Veranlagung her sind die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz von Mensch zu Mensch verschieden. Jedes Paar muss hier immer wieder das individuell für den Moment passende Gleichgewicht finden.

Tipps für Paare
  • Verabschieden Sie sich vom Vorurteil, Nähe bedeute Liebe und Distanz Lieblosigkeit.
  • Partnerschaftliche Liebe bleibt nur lebendig, wenn sich Nähe und Distanz rhythmisch abwechseln.
  • Intensive Nähe kann am besten geniessen, wer auch gut allein sein kann.
  • Halten Sie sich vor Augen, dass die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz von Mensch zu Mensch verschieden sind und sich auch je nach Situation ändern.
  • Respektieren Sie die Wünsche des Partners nach Nähe oder Distanz, teilen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse mit und handeln Sie immer neu aus, was für den Moment für beide die beste Lösung ist.
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