Wer am Morgen im Tram sitzt, würde es zwar nie denken. Wer im Zug etwas zu laut lacht, sowieso nicht. Und wer von den Italienferien nach Hause kommt, wundert sich nur noch. Trotzdem stimmt es: Das Glück wohnt in der Schweiz. Wir sind eines der glücklichsten Völker weltweit, sagt der bekannte Zürcher Wirtschaftswissenschaftler und Glücksforscher Bruno S. Frey.

Daran hat auch die schärfste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nichts geändert. Im Gegenteil, der Optimismus ist ungebrochen. 86 Prozent der Schweizer sind überzeugt, dass es ihnen in den nächsten fünf Jahren mindestens gleich gut gehen wird wie heute. Nur jede zehnte Familie befürchtet, dass sich ihre finanziellen Verhältnisse verschlechtern werden.

«Ein extrem tiefer Wert», sagt der Politologe Claude Longchamp. Sein Forschungsinstitut gfs.bern hat den Beobachter-Familienmonitor durchgeführt. Diese repräsentative Umfrage gibt erstmals aufgrund gesamtschweizerischer Daten Auskunft darüber, welche Zukunftserwartungen und -ängste die Mittelstandsfamilien haben und worauf sie allenfalls verzichten, wenn sie finanziell in Bedrängnis geraten.

Hinter der schönen Fassade brodelt es
Auch wenn zahlenmässig mit Abstand die grösste Schicht, spielt der Mittelstand in der öffentlichen Wahrnehmung keine herausragende Rolle. Über die Reichen redet man, vorm Armwerden fürchtet man sich, über die Mittelschicht aber wird grosszügig hinweggeschwiegen.

Fast erwecken die Ergebnisse der Beobachter-Umfrage den Eindruck, der Mittelstand sei frei von Sorgen und Nöten und die Stürme draussen in der Welt zögen an der Schweiz vorbei. Allenfalls ein paar Ausläufer verirrten sich hin und wieder und entlüden sich als Platzregen über dem Mittelland. Dieses fröhliche Bild ist aber reichlich ramponiert: Unter der Oberfläche brodelt es.

Das zeigt sich beim Sparen, das wie der Föhn und der Biswind zur Schweiz gehört: 38 Prozent der Mittelstandsfamilien sind finanziell am Limit. Sie können nichts mehr auf die hohe Kante legen. Geradezu dramatisch ist die Lage im unteren Mittelstand geworden, wo nur noch jede zweite Familie Geld zum Sparen hat. Verschärft präsentiert sich die Lage insbesondere in den grossen Städten, wo die Mieten den Löhnen davongelaufen sind. Die hohe Sparquote von durchschnittlich 531 Sparfranken im Monat verschleiert damit die neue Wirklichkeit vieler Familien, die nur noch von der Hand in den Mund leben.

Trotzdem herrscht unter Schweizer Mittelständlern Zufriedenheit vor. Warum bloss? Das hängt wohl mit dem urschweizerischen Hang zusammen, pragmatisch zu denken und materialistisch zu handeln. Diese Nüchternheit macht nicht einmal vor dem Kinderkriegen halt. Man verzichtet lieber auf ein weiteres Kind als auf das eigene Auto. 51 Prozent würde es «sehr schwer», weiteren 29 Prozent «eher schwer» fallen, ohne Auto zu leben. Auf ein zusätzliches Kind würden dagegen 70 Prozent der Mittelstandsfamilien verzichten.

Der Blick in des Schweizers Seele offenbart:

  • Materielle Dinge haben einen hohen Stellenwert. Auto und Unterhaltungselektronik sind Statussymbole, mit denen man sich von der Unterschicht abgrenzt.

  • Eigenverantwortung geht vor: Private Altersvorsorge und Zusatzversicherungen leistet man sich fast ungefragt.

  • Skiferien oder einmal im Jahr ins Ausland – das muss einfach sein.

  • Und für die Karriere der Kinder tut man alles. Man möbelt die Kinderzimmer mit Plüsch und Hightech auf und sichert mit Nachhilfestunden und Förderkursen den schulischen Erfolg. Der Hälfte der Mittelstandseltern würde es schwerfallen, darauf zu verzichten. Zudem schickt man die Sprösslinge in den Musikunterricht, wo sie bevorzugt eines der klassischen Instrumente des Bürgertums lernen: Klavier, Geige oder Klarinette. Musik weist den Weg nach oben – und dient der Abgrenzung gegen unten. Wenn die Eltern den Aufstieg in die Elite schon verpasst haben, sollen es wenigstens die Sprösslinge schaffen.

Leben in der 4,9-Zimmer-Wohnung
Dahinter steht die ständige Angst vor dem Abstieg. Die Krisendiskussion sei fester Bestandteil der Mittelschichtspsyche, jeder Wandel werde deshalb als Bedrohung wahrgenommen, schrieb der deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler über das deutsche Bürgertum. Das gilt selbstverständlich auch für die Schweiz. Das zeigt sich darin, wie wichtig den Mittelstandsfamilien das Wohneigentum ist. Jede zweite lebt in den eigenen vier Wänden, bei den über 40-Jährigen sind es mit 60 Prozent fast doppelt so viel wie im Schweizer Durchschnitt. Je mehr Kinder man hat und je ländlicher man wohnt, desto eher erfüllt man sich den Wunsch nach dem eigenen Haus.

Das, zeigen die Umfrageergebnisse, ist auch finanziell sinnvoll: Mittelstandsfamilien bewohnen im Schnitt 4,9 Zimmer. Mieter zahlen dafür im Schnitt 1734 Franken im Monat, Hauseigentümer nur 1548 Franken Hypozins (inklusive Nebenkosten). Die Formel «Kein Luxus, aber etwas Wohlstand muss schon sein» gilt auch für das Wohnen: Ikea und Möbel Pfister sind Trumpf, Designmöbel sind aber Sache der Reichen. Die Einrichtung ist – nach eigenen Angaben der Befragten – vor allem zweckmässig (30 Prozent) bis durchschnittlich (62 Prozent) gehalten.

Die grösste Sorge: Einwanderer
Alles paletti? Mitnichten. Grosse Teile des Mittelstands sehen ihren Wohlstand ständig bedroht. Denn: Vor modernen Wirtschaftskrisen bietet auch eine gute Ausbildung nicht viel Schutz. Sie haben die unangenehme Eigenschaft, auch qualifizierte Jobs wegzufressen. Die Krankenkassenprämien steigen inzwischen zweistellig. Und bezahlbare Wohnungen sind rar, besonders in den Städten. Doch die grössten Abstiegsängste bereitet dem Mittelstand die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften. Auf die Frage, was die persönliche finanzielle Situation in den kommenden fünf Jahren am stärksten bedrohe, sagen 31 Prozent, es sei die Immigration, die ihnen «starke Sorgen» bereite, 34 Prozent machen sich deswegen «schwache Sorgen».

Das birgt politischen Zündstoff. Die Angst vor der Personenfreizügigkeit hat den Mittelstand erfasst. Von der ersten grossen Einwanderungswelle vor 40 Jahren fühlte sich vor allem die Unterschicht bedroht. Sie bildete das Reservoir für die nationalistischen Strömungen, die James Schwarzenbachs Schweizer Demokraten und Valentin Oehens Aktion gegen Überfremdung von Volk und Heimat bedienten.

Heute holt die Wirtschaft nicht mehr Arbeiter ins Land, es kommen immer mehr Hochqualifizierte. Mitte der neunziger Jahre besass einer von fünf Zuwanderern einen (Fach-)Hochschulabschluss, heute sind es drei von fünf. Der obere Mittelstand reagiert aber erstaunlich gelassen. Bloss sechs Prozent fühlen sich finanziell bedroht. Für Claude Longchamp zeigen diese Ergebnisse den tiefen Bruch, der sich durch die Ausländerfrage in der Schweizer Politik aufgetan hat. «Starke Sorgen bestimmen das politische Verhalten und verändern die Erwartungshaltung an die Politik.» Ausländerfragen, wie sie von der SVP extensiv bewirtschaftet werden, bestimmen immer stärker das Bewusstsein.

Der Mittelstand betrügt sich selbst
Vor allem die Linke, aber auch die Mitteparteien haben diesen Trend lange Zeit verschlafen und ernten immer neue Wahlniederlagen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie blind auf die Globalisierung setzten und die Ängste weiter Bevölkerungskreise vor einem Identitätsverlust nicht ernst genug nahmen. Derartige Befürchtungen wurden einfach in die rechte Ecke gestellt.

Wie tief dieser Bewusstseinswandel ist, demonstriert die Beobachter-Umfrage. Die Ängste, die die Zuwanderung auslöst, sind sogar noch grösser als die Angst vor Arbeitslosigkeit und Krankheit. Ein erstaunlicher Befund. Denn der Verlust des eigenen Jobs traumatisiere sogar noch stärker als eine Trennung oder eine Scheidung, sagt der Ökonom Bruno S. Frey. In Ländern mit tiefer Arbeitslosigkeit wie der Schweiz sei dieser Zusammenhang noch ausgeprägter. «Wenn viele Leute arbeitslos sind, ist der einzelne Arbeitslose von diesem Schicksal nicht allein betroffen. Seine Lebenszufriedenheit nimmt zwar ab, aber nicht in demselben Umfang, wie wenn nur er arbeitslos wäre», schreibt er in seinem neuen Buch «Glück. Die Sicht der Ökonomie».

Dass die Zuwanderungsängste so stark geworden sind, erklärt der Zürcher Politologe Michael Hermann mit dem Selbstbild des Mittelstands. «Es ist der Stolz, sich selber helfen zu können und nicht auf den Staat angewiesen zu sein, der sein Selbstbewusstsein bestimmt.» Der Glaube an den eigenen Aufstieg sei ungebrochen.

Die deutsche Publizistin Ulrike Herrmann doppelt nach: «Im Kampf um die eigene Karriere entgeht der Mittelschicht, wie unerreichbar die Eliten sind, die ihren Status nicht etwa durch Arbeit erwerben, sondern von Generation zu Generation vererben.» Der Mittelstand macht sich etwas vor. Er glaubt, er gehöre eigentlich der Oberschicht an. Und schützt sich, indem er die Grenzen nach oben zu verwedeln sucht. «So lässt sich auch die wirtschaftlich magere Entwicklung der letzten 20 Jahre kaschieren», schreibt Herrmann in ihrem gerade erschienenen Buch «Hurra, wir dürfen zahlen». Die Mittelschicht wird so lange für die Reichen zahlen, wie sie sich selbst zu den Reichen zählt, so ihre These.

«Man kommt auf keinen grünen Zweig»
Soziologen beobachten dieses Phänomen schon länger. Die Gefahr, in die Armut abzusteigen, wird immer grösser, der Mittelstand tritt an Ort, und die Reichen werden immer reicher. Weniger als drei Prozent der Bevölkerung versteuern heute gleich viel Vermögen wie die übrigen 97 Prozent. In Städten wie Basel ist diese Ungleichverteilung noch extremer. «So sehr man sich abstrampelt, man kommt auf keinen grünen Zweig», beschreibt der Basler Soziologe Ueli Mäder das neue Mittelstandsgefühl.

Mit der Finanzkrise haben sich die Aussichten für viele Mittelstandsfamilien weiter verdüstert. Auch weil viele Frauen Teilzeit arbeiten und diese Jobs stärker vom Einbruch betroffen waren. In der offiziellen Arbeitslosenstatistik schlägt sich das nicht nieder – doch die Zahl jener, die ihr Pensum aufstocken wollen, ist in den letzten fünf Jahren sprunghaft gestiegen. Sie hat sich auf 400'000 Personen verdoppelt. Für Mäder ist das ein untrügliches Zeichen, dass immer breitere Bevölkerungsschichten an Grenzen gestossen sind.

Ohnehin konnten sich Mittelstandsfamilien seit den neunziger Jahren finanziell vor allem noch verbessern, indem mehr Mütter mehr arbeiten gehen. Damals ging nur jede zweite Mutter mit vorschulpflichtigen Kindern einer Erwerbstätigkeit nach, heute sind es drei von vier. «Man arbeitet mehr, deshalb bleibt am Ende des Monats mehr übrig», sagt Mäder. Und wenn man wie damals sein Heil in einem neuen Job sucht, kann es ein böses Erwachen geben. Immer mehr mussten die Erfahrung machen, dass ein Jobwechsel mit Einkommenseinbussen verbunden ist.

Auch Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, warnt davor, die Klagen als ungerechtfertigtes Klönen misszuverstehen. «Immer mehr Mittelschichtsfamilien kommen nur noch knapp über die Runden», sagt er. Die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten hätten die Gewinne durch höhere Frauenerwerbstätigkeit praktisch wettgemacht.

In den letzten 15 Jahren ist der mittlere Lohn um rund zwölf Prozent gestiegen, die Mieten aber um 16 Prozent – in den Städten deutlich stärker. Ebenfalls aus dem Ruder gelaufen sind die Gesundheitskosten. Familien, die keine Prämienverbilligung erhalten – im Kanton Zürich ist das ab rund 72'000 Franken Einkommen der Fall –, werden von den massiv gestiegenen Krankenkassenprämien voll getroffen. Der letzte Prämienanstieg bedeutet für eine vierköpfige Familie jährliche Mehrkosten von 1000 bis 1500 Franken.

Auch in der Steuerpolitik hat der Mittelstand nur verloren. Von der Abschaffung der Erbschaftssteuer, den in vielen Kantonen halbierten Vermögenssteuern, der Senkung der Unternehmenssteuern und dem Trend hin zu immer mehr und immer höheren indirekten Abgaben profitierten in erster Linie die Reichen. Hinzu kommt die Verlagerung hin zu Gebühren, die Familien am härtesten trifft. «Die Steuerpolitik der letzten 20 Jahre hat die Umverteilung hin zu den Reichen noch weiter gefördert», so Lamparts Fazit.

Mehr Armut als in Österreich
Geld verschlingt auch die familienexterne Kinderbetreuung, besonders wenn man so viel verdient, dass man keinen subventionierten Tarif erhält. Das hat laut der St. Galler Wirtschaftsprofessorin Monika Bütler groteske Folgen. Jene, die mehr arbeiten, werden mit höheren Krippentarifen bestraft. Das gehe so weit, dass es sich für den zweiten Elternteil nicht lohnt, mehr als 40 Prozent zu arbeiten. Daran hätten auch die höheren Abzugsmöglichkeiten für Fremdbetreuungskosten nichts geändert.

Obwohl die Entwicklung der letzten Jahre am Mittelstand vorbeiläuft, ist das bisher kein grosses Thema in der politischen Diskussion. Dafür verantwortlich ist – neben dem trügerischen Selbstbild – der hohe Lebensstandard. Die Haushaltseinkommen in der Schweiz sind viel gleichmässiger verteilt als im Schnitt der Industrieländer, stellte die OECD in ihrer Studie «Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?» für die Schweiz fest. Auch der Anteil jener, die, gemessen an ihrem Haushaltseinkommen, in Armut leben, ist viel kleiner. Mit 8,8 Prozent ist die Armutsquote allerdings höher als in Skandinavien und Österreich.

Dass man auf OECD-Zahlen zurückgreifen muss, hat einen einfachen Grund. In der Schweiz gibt es keine neuen verlässlichen statistischen Daten über Haushaltseinkommen. Die aktuellsten stammen von der Ecoplan-Studie, die den Zeitraum von 1991 bis 2001 abdeckte. Als Folge davon basiert die Diskussion über den Mittelstand auf einer dünnen Datenlage.

Trotzdem scheint das Bewusstsein für die Nöte von Mittelstandsfamilien geschärft. Alle Parteien wollen sich in den nächsten vier Jahren auf die mittleren Einkommen konzentrieren. Ihre Rezepte sind aber sehr vertraut. Bei den Bürgerlichen stehen Steuersenkungen im Vordergrund, bei der Linken die Schaffung von Jobs in Zukunftsbranchen. Ein erstaunlich lauer Mix angesichts der Brisanz der Entwicklung.

Wie nur ist es möglich, dass der Mittelstand nicht mehr für sich beansprucht? Für die Publizistin Ulrike Herrmann ist klar: In der «Mitte» fühle sich fast jeder fast reich. «In dieser Weltsicht muss man sich nur ein bisschen anstrengen und ein wenig Glück haben – und schon gehört man zur Elite.» Deshalb bleibt der Protest aus, deshalb bleibt der Mittelstand die Mehrheit, die schweigt.

Nicht ohne mein Auto

Frage: «Die finanziellen Mittel sind beschränkt. Wie schwer würde es Ihnen fallen, auf folgende Dinge oder Aktivitäten zu verzichten?»
in Prozent* der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Klicken Sie auf die Grafik, um sie vergrössert anzuzeigen

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Lieber ein Kind weniger

Frage: «Die finanziellen Mittel sind beschränkt. Wie schwer würde es Ihnen fallen, auf die folgenden Dinge oder Aktivitäten in Bezug auf Kinder zu verzichten?»
in Prozent* der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Klicken Sie auf die Grafik, um sie vergrössert anzuzeigen

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Optimismus herrscht – trotz Krise

Frage: «Wenn Sie an die nächsten fünf Jahre denken: Glauben Sie, dass es Ihnen dann finanziell besser, gleich oder schlechter gehen wird?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Sorge Nummer eins: Die Zuwanderung

Frage: «Viele machen sich Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtern könnte. Wie stark besorgt sind Sie wegen folgender Punkte?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com

Frage: «Wie stark fühlen Sie sich wegen der Zuwanderung finanziell gefährdet?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Mieten ist teurer als Wohneigentum

46 Prozent der Mittelstandsfamilien wohnen in Miete. Sie zahlen im Schnitt 1734 Franken. Frage: «Wie viel Miete (inklusive Nebenkosten) zahlen Sie im Monat?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern, die in einer Mietwohnung leben

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com

54 Prozent der Mittelstandsfamilien wohnen in den eigenen vier Wänden. Sie zahlen im Schnitt 1548 Franken Hypozins. Frage: «Wie viel Hypothekarzins zahlen Sie im Monat?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern, die in den eigenen vier Wänden leben

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com
Der untere Mittelstand lebt von der Hand in den Mund

Frage: «Bleibt Ihnen Ende Monat Geld übrig, das Sie auf die Seite legen können?»
in Prozent der in der Schweiz lebenden Mittelstandseltern

Quelle: Stock-Kollektion colourbox.com

Quelle: repräsentative gfs.bern-Umfrage (500 Personen aus der ganzen Schweiz), März 2010; Infografik: beobachter/dr

Der Mittelstand

Der Mittelstand ist der Motor der Schweiz – gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Nur: Wie geht es dem Mittelstand? Dieser Frage geht der Beobachter in einer vierteiligen Serie im Rahmen des Beobachter-Familienmonitors nach. Der Beobachter-Familienmonitor, 2008 in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut gfs.bern lanciert, macht in einer exklusiven Untersuchungsreihe Aussagen über Situation und Befindlichkeit der Familien in der Schweiz.

Die Studie
Auszüge aus der Studie finden Sie am Ende dieses Artikels. Alle Resultate der Untersuchung von gfs.bern können Sie hier herunterladen (PDF, 1,3 mb)

Wer gehört zum Mittelstand?

Der Mittelstand ist die mit Abstand grösste Gesellschaftsschicht. Ihm
gehören rund 60 Prozent der Bevölkerung an. Dazu zählt, wer zwischen
70 und 150 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Äquivalenzeinkommens verdient: Das sind mindestens 2450, maximal 5250 Franken netto pro Kopf.

Eine vierköpfige Familie mit einem 10-jährigen und einem 16-jährigen Kind rechnet man nach dieser Definition zum Mittelstand, wenn sie zwischen 7050 und 15'100 Franken netto Monatseinkommen hat; eine dreiköpfige Familie mit einem sechsjährigen Kind bei einem Einkommen zwischen 5500 und 11'800 Franken.

Das Äquivalenzeinkommen berechnet sich so:


Haushaltsnettoeinkommen
– 20 Prozent feste Abgaben
= Äquivalenzeinkommen
: Personengewicht*
= Äquivalenzeinkommen/Kopf


*Das sogenannte Personengewicht wird wie folgt berechnet:
erste Person = 1 Person,
jede weitere ab 15 Jahren = 0,5 Personen,
jede unter 15 Jahren = 0,3 Personen.

Parteien: So buhlen sie um den Mittelstand

Christian Levrat, Präsident SP
«Die SP setzt sich in mehrerlei Hinsicht für den Mittelstand ein. Mit der Cleantech-Volksinitiative kämpfen wir für neue Arbeitsplätze für den Mittelstand – es werden 100'000 Jobs, neue Berufe und Ausbildungen in der Zukunftsbranche der erneuerbaren Energien geschaffen. Das bringt Wertschöpfung im Inland, sichert unseren Wohlstand und macht die Schweiz unabhängig. Die Unterschriftensammlung läuft sehr erfolgreich.»

Christophe Darbellay, Präsident CVP

«Der Mittelstand ist zum ‹Hauptzahlenden› geworden, kriegt aber weder Beihilfe noch Subventionen. Im Gegensatz zu den Reichen können die Angehörigen des Mittelstands die Steuern kaum optimieren. Dank der CVP wurden die Steuern für Familien mit Kindern endlich reduziert und der Hochpreisinsel Schweiz der Kampf angesagt. Dank der CVP gibt es endlich Parallelimporte, wurde das Cassis-de-Dijon-Prinzip eingeführt. Dank der CVP gibt es genügend bezahlbare Kinderkrippen.»

Toni Brunner, Präsident SVP
«Die SVP wurde vor bald 100 Jahren als mittelständische Partei gegründet und vertritt seit dieser Zeit die Interessen des Mittelstands. Die SVP kennt die Sorgen der Mittelstandsfamilien und kämpft deshalb für die persönliche Freiheit, für tiefere Steuern, gegen die Erhöhung der bestehenden Gebühren und Abgaben, gegen unnötige Vorschriften und Gesetze, für eine leistungsorientierte Schule und für mehr Sicherheit. Leistung soll sich für alle lohnen. Damit mehr zum Leben bleibt.»

Ueli Leuenberger, Präsident Grüne
«Unser Schwerpunkt gilt Familien, die ihren Haushalt selbständig zu erwirtschaften vermögen und in bescheidenem Umfang noch etwas sparen können. Wir fordern mehr Unterstützung für die familienergänzende Kinderbetreuung, Einfrierung der Studiengebühren, Ausbau der Stipendien und Studiendarlehen. Wichtig sind uns auch Massnahmen zur Wohnbau- und nicht spekulativen Wohneigentumsförderung. Und eine neue, für Familien entlastende Krankenversicherung.»

Fulvio Pelli, Präsident FDP
«Der Mittelstand ist der Erfolgsmotor, den die Linke durch hohe Steuern abwürgt. Anders die FDP: Dank uns werden ab 2011 rund 600 Millionen Franken weniger Steuern bezahlt. Zweitens fordern wir Europas tiefste Mehrwertsteuer von generell 5,5 statt heute bis 7,6 Prozent. Drittens wollen wir radikal einfachere Einkommenssteuern: drei Steuerstufen, vier Abzüge – weniger Abzüge, dafür tiefere Steuern für alle.»

Hans Grunder, Präsident BDP
«Der Mittelstand ist nach Ansicht der BDP der wichtigste Pfeiler unserer Wirtschaft und das Erfolgsrezept der Vergangenheit. Das Gefälle zwischen ganz Reich und Arm wird immer grösser, dabei blutet der Mittelstand aus. Deshalb fordern wir steuerliche Entlastung des Mittelstands, massiven Abbau der Regelungsdichte im Bereich KMU und Bau sowie Förderung des Wohneigentums. Und es muss für Familien des Mittelstands wieder attraktiver werden, Kinder zu haben.»

Heiner Studer, Präsident EVP
«Für die EVP steht auch beim Mittelstand die Familienförderung im Vordergrund. Wer ein mittelständisches Einkommen hat, profitiert nicht von Vergünstigungen wie der Krankenkassenprämienreduktion. Wird bei den Steuern ein hoher Kinderabzug und/oder Betreuungsabzug gewährt, profitieren die Reichen. Deshalb ist anstelle des Kinderabzugs ein fixer Abzug pro Kind vom Steuerbetrag einzuführen. Das wäre eine gezielte steuerliche Entlastung.»

Martin Bäumle, Präsident Grünliberale
«Die Grünliberalen wollen den nächsten Generationen eine gesunde Umwelt und gesunde Finanzen hinterlassen. Investitionen in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien treiben Innovation und Forschung an. Sie schaffen Arbeitsplätze, auch für den Mittelstand. Effiziente und kostengünstige Dienstleistungen des Staats erhalten das attraktive Steuerklima und ermöglichen notwendige Investitionen, etwa in Bahninfrastruktur oder Bildung. Eine Reform sichert die Sozialwerke nachhaltig – ohne zusätzliche finanzielle Belastungen für den Mittelstand.»