Wenn man Sie bitten würde, auf einmal 32 Stück Würfelzucker zu essen – Sie würden irritiert ablehnen. Zu süss, zu ungesund, und dick macht es sowieso. Aber: Wir nehmen rund 20 Prozent unserer Energie täglich über Zucker in der Nahrung auf – umgerechnet eben 32 Würfel oder 128 Gramm Zucker. Und wer gern nascht, bei dem sind es sogar noch mehr, nämlich fast ein Drittel der täglichen Nahrung: 48 Stück Zucker.

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Experten warnen seit einiger Zeit vor den gesundheitlichen Folgen des hohen Zuckerkonsums. Zucker macht dick und ist für verschiedene Krankheiten mitverantwortlich. Etliche Länder haben daher Massnahmen ergriffen, so zum Beispiel Frankreich, Ungarn und Mexiko. In Grossbritannien forderte die Gruppe Action on Sugar das Parlament  auf, eine solche Abgabe einzuführen. In der Schweiz zögern die Zuständigen, sie setzen lieber auf Aufklärung.

Zucker ist ein reines Genussmittel

Und die scheint dringend nötig. Denn der Mensch braucht eigentlich gar keine Zufuhr von Zucker mit der Nahrung: Der Körper stellt, was er braucht, aus Kohlenhydraten selbst her. Anders als Eiweiss, Fett oder Kohlenhydrate ist Zucker kein Grundnahrungsmittel, sondern er ist ein reines Genussmittel.

Doch der Zuckerkonsum nimmt stetig zu. Innerhalb von fünf Jahren hat er sich hierzulande um fünf Prozent gesteigert, besagt der «Sechste schweizerische Ernährungsbericht» von 2012. Wir nehmen so viel Zucker zu uns, weil er nicht nur in Süssigkeiten steckt – sondern auch in salzigen Speisen, in den meisten Fertigprodukten und in Getränken.

Der Grund dafür ist simpel: Zucker ist eine sehr günstige Zutat. Und er ist ein Geschmacksverstärker. Deshalb setzt die Lebensmittelindustrie ihn gern und grosszügig ein, etwa im sogenannten Fruchtjoghurt: Der Anteil der Früchte liegt bei nur rund acht Prozent. Dafür finden sich in einem 180-Gramm-Becher Joghurt um die 25 Gramm Zucker, gegen 14 Prozent.

Manche Produkte, die gerade von Kindern gern gegessen werden, sind wahre Zuckerbomben. Es gibt Frühstücksflocken mit 37 Prozent Zucker. Das ist so viel wie in Schokoladekeksen – doch niemand würde seinem Kind einen Teller Guetsli zum Frühstück hinstellen. Und: Wer selbst Gemüsesuppe kocht, streut keinen Zucker hinein, aber in Fertigsuppen stecken oft gleich mehrere Zuckerwürfel pro Schale. Auch Salatsaucen, Fertigpizzas, Schinken oder Big Macs enthalten Zucker. Sogar Menschen, die sich bewusst ernähren, nehmen häufig zu viel Zucker zu sich.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, nicht mehr als zehn Prozent des Energiebedarfs mit Zucker zu decken. Die Lebensmittelindustrie übte 2004 starken Druck auf die WHO aus, diese Empfehlung nicht zu veröffentlichen. Erfolglos. Nun möchte die WHO den Wert nochmals senken: Die allgemeine Empfehlung von zehn Prozent soll zwar bleiben, allerdings mit dem deutlichen Zusatz, dass fünf Prozent gesünder wären.

Jeder Dritte in der Schweiz hat einen zu hohen Body-Mass-Index. Vor 20 Jahren waren es erst 25 Prozent. Als übergewichtig gelten Menschen, deren BMI über 25 liegt. Die damit verbundenen Gesundheitskosten wuchsen von 2,6 Milliarden Franken im Jahr 2004 auf 5,8 Milliarden im Jahr 2009 an. Neue Zahlen sind im November verfügbar, sie liegen vermutlich erneut höher.

Quelle: Anne Seeger
Zu viel Zucker schadet Herz und Kreislauf

Dass Zucker die Zähne zerfrisst, weiss inzwischen jedes Kind. Doch die Liste der Schäden ist länger. In der Schweiz leiden bereits 460’000 Menschen an der «Zuckerkrankheit» Diabetes Typ 2, die oft durch Übergewicht verursacht wird. Diabetiker müssen sich nicht nur an eine strenge Diät halten, sie haben auch ein höheres Risiko, zu erblinden oder Glieder wegen Durchblutungsstörungen zu verlieren.

Besonders aufhorchen lässt eine US-Studie: Forscher wiesen erstmals in einer breit angelegten Studie nach, dass erhöhter Zuckerkonsum – unabhängig vom Körpergewicht – das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigert. Dabei untersuchten sie die Gesundheitsdaten von 31'000 Personen über mehrere Jahre und fanden heraus, dass diejenigen, die mehr als 20 Prozent ihrer Kalorien täglich über Zucker decken, ein doppelt so hohes Risiko haben, an einem Herzinfarkt zu sterben; bei denjenigen, die 17 bis 21 Prozent ihrer Energie aus Zucker bezogen, war die Wahrscheinlichkeit noch immer 38 Prozent höher als bei denjenigen, bei denen der Zucker weniger als zehn Prozent der täglichen Nahrungszufuhr ausmachte.

Die Lebensmittelindustrie hat einen gewichtigen Anteil daran, dass wir so viel Zucker zu uns nehmen. Die Hersteller haben zwar begriffen, dass es für das Image vorteilhaft ist, sich öffentlich gegen Übergewicht einzusetzen. Konzerne wie Nestlé oder Coca-Cola engagieren sich mit Initiativen in diesem Bereich.

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) setzt auf die Zusammenarbeit mit der Industrie und will nichts von politischen Vorstössen wissen. «Falls die Zukunft zeigen sollte, dass das zu wenig bringt, muss der Bundesrat andere Massnahmen in Betracht ziehen», so das BLV.

Foodwatch fordert, dass es keinerlei Marketingaktivitäten mehr geben darf, die Kindern und Jugendlichen süsse Produkte schmackhaft machen. In der Schweiz haben sich verschiedene Hersteller unter dem Label Swiss Pledge zwar zu einer Selbstbeschränkung verpflichtet: Diese Produzenten schalten keine Werbung, die sich direkt an Kinder unter zwölf Jahren richtet. Allerdings sind die Grenzen fliessend. Noch immer fährt im Dezember der Coca-Cola-Weihnachtsmann mit seinem Truck durch die Werbespots. «Diese Werbung richtet sich nicht an Kinder, sondern an Familien», so Coca-Cola Schweiz.

Quelle: Anne Seeger
Irreführende Versprechen auf Packungen

Allerdings sind es wohl eher die Kinder, die noch an den Weihnachtsmann glauben. Coca-Cola sponsert zudem den Jugendfussball in der Schweiz und hat mit Xherdan Shaqiri einen populären Markenbotschafter, den gerade auch Kinder unter zwölf bewundern. Auch Markenbotschafter, die Kinder ansprechen, sollte es nicht geben. Experten sagen zudem: Kinder, die schwitzen, brauchen Wasser und keine Süssgetränke. Diese haben keinerlei Sättigungseffekt, obwohl sie sich in der Kalorienbilanz wie eine kleine Mahlzeit niederschlagen.

Irreführende Werbeversprechen gibt es auch auf den Packungen. Auf dem Schokopulver Nesquik von Nestlé steht: «Ergänzt die Vorzüge der Milch». Im Kleingedruckten lässt sich jedoch lesen, dass Nesquik 75 Gramm Zucker auf 100 Gramm enthält und die Milch somit vor allem um eins ergänzt: um eine Riesenladung Zucker. Wer 13,5 Gramm Nesquik auf ein Glas Milch verwende, verletze die Zuckerempfehlung der WHO nicht, sagt Nestlé dazu.

Quelle: Anne Seeger
Wenn der Zucker nicht «Zucker» heisst

Die Frage ist allerdings, ob man einen Teil der maximal empfohlenen täglichen Zuckerration schon mit dem Frühstücksgetränk decken möchte. Um dies zu entgehen, könnte man eine Lebensmittelampel auf der Vorderseite der Verpackung einführen. Ein roter Punkt würde die Konsumenten warnen, wenn das Produkt viel Zucker enthält.

Wer heute informiert sein möchte, muss das Kleingedruckte lesen. Und das lohnt sich häufig, denn viele Produzenten geben inzwischen an, wie viel Zucker in 100 Gramm ihrer Produkte steckt. Ansonsten gilt die Faustregel: Je weiter vorn der Zucker in der Zutatenliste steht, umso mehr ist davon im Produkt enthalten. Aber längst nicht überall, wo Zucker drin ist, schreiben die Hersteller auch «Zucker» drauf. Ahornsirup, Agavensirup, Honig, Apfelsaftkonzentrat, Maltodextrin, Inulin oder «Dicksaft» bestehen grösstenteils aus Zucker, auch wenn er nicht als solcher in der Zutatenliste auftaucht.

Ausserdem kann Zucker regelrecht abhängig machen. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die auf zuckerhaltige Produkte mit Suchtsymptomen reagieren. Dass es nicht leicht ist, dem Sog der Süssigkeiten zu widerstehen, weiss mancher aus eigener Erfahrung.

Die Betroffenen verschlingen aber nicht bloss ab und an eine Tafel Schokolade, sondern essen auch dann immer noch zu viel Zucker, wenn sie wissen, dass sie ihre Gesundheit gefährden. Sie haben Entzugserscheinungen, wenn sie keinen Zucker zu sich nehmen, und werden nervös, wenn sie keine Süssigkeiten im Haus haben. Auf Versuche, den Zuckerkonsum zu drosseln, reagieren sie mit innerer Unruhe. Die legt sich erst, wenn schliesslich dem Verlangen nachgegeben wird. Anschliessend folgt das schlechte Gewissen.

Quelle: Anne Seeger
Zucker – verführerischer als Kokain

Der Konsum von Zucker kickt das Belohnungssystem im Gehirn an. Das ist an und für sich noch nichts Schlechtes, auch Sex tut das zum Beispiel. Doch auch Drogen wirken genau dort. Suchtforscher konnten in Tierversuchen zeigen, wie unwiderstehlich Zucker sein kann: Kokainsüchtige Ratten stellte er vor die Wahl, ihr Belohnungszentrum mit Kokain zu kitzeln – oder eine Zuckerlösung zu trinken. 94 Prozent der Tiere entschieden sich für den Zucker.

So konsumieren Sie weniger Zucker

1. Verzichten Sie auf Getränke, die mit Zucker oder Fruktose gesüsst sind. Hier sehen Ernährungsfachleute das grösste Gesundheitspotenzial. Anhaltspunkt: Fünf Deziliter gezuckerte Cola bedeuten bereits den maximal empfohlenen Zuckerkonsum für den ganzen Tag.

2. Essen Sie möglichst wenig Fertigprodukte. Kochen Sie selbst.

3. Verzichten Sie auf fertige Müeslimischungen. Stellen Sie sie aus Haferflocken, Früchten und Kernen selbst zusammen.

4. Essen Sie ungesüsstes Naturejoghurt und reichern Sie es mit Früchten an.

5. Wählen Sie ganz allgemein Produkte mit möglichst wenig beigefügtem Zucker. Je weiter oben der Zucker in der Liste der Zutaten steht, desto mehr Zucker ist im Produkt enthalten.

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Quelle: Thinkstock Kollektion