Beim Impfen scheiden sich die Geister. Soll man sich impfen lassen? Oder ist es besser, ungefährliche Krankheiten durchzumachen? Diese Frage sorgt immer wieder für heftige Debatten zwischen Impfgegnern und -befürwortern. Bei harmlosen Krankheiten wie den Windpocken, mit denen sich fast alle im Kindesalter einmal infizieren und die meist ohne Komplikationen verlaufen, ist eine Impfung nicht notwendig. Das sehen auch Impfbefürworter so. Doch wie sieht es bei anderen Krankheiten aus?

Das Problem beginnt schon bei der Definition von «harmlos»: Menschen, die Masern, Keuchhusten oder Mumps glimpflich überstanden haben, werden «harmlos» anders interpretieren als Eltern, deren Säugling wegen Keuchhusten künstlich beatmet werden musste oder deren Kind eine Hirnhautentzündung durchmachte. Anders auch als eine Schwangere, die sich um ihr Ungeborenes sorgt, weil ihr erstes Kind einen Kindergarten besucht, in dem die Masern kursieren.

Bei der Frage «Impfen oder Durchseuchen?» geht es also nicht nur um den Schutz von Individuen, sondern auch um den Gruppenschutz. Impfkampagnen haben zum Ziel, Krankheiten entweder auf lange Sicht ganz auszurotten oder zumindest die sogenannte Herdimmunität zu erreichen – also einen genügend grossen Prozentsatz der Bevölkerung gegen eine bestimmte Krankheit zu impfen, damit die Ansteckungsgefahr für Nichtgeimpfte stark verringert wird.

Was spricht sonst noch für das Impfen? Erstens beugen Impfungen gefährlichen Infektionskrankheiten vor, gegen die es keine oder keine sichere Behandlung gibt. Schwere Erkrankungen, die bleibende Schäden verursachen oder sogar zum Tod führen, lassen sich so verhindern. Zweitens gilt: Je mehr Personen geimpft sind, desto seltener tritt eine Krankheit auf. Viele Krankheiten wie Kinderlähmung oder Diphtherie konnten in der Schweiz und anderen Ländern dank Impfprogrammen fast gänzlich zurückgedrängt werden. Drittens schützt man mit einer Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch andere vor Krankheiten, die von Mensch zu Mensch weitergegeben werden (mit Ausnahme von Frühsommer-Meningoenzephalitis oder Starrkrampf).

Vom Impfschutz anderer profitieren gleich mehrere Gruppen:

  • Menschen mit Krankheiten des Immunsystems, fortschreitenden Nervenkrankheiten, Leukämie oder Allergien gegen Impfstoffe sowie Menschen, die sich aus anderen Gründen nicht impfen lassen können;
  • Babys, die keinen Nestschutz der Mutter mehr haben und ohne ausreichenden Impfschutz sind;
  • nicht geimpfte Kinder;
  • nicht geimpfte Erwachsene, die die Krankheit als Kind nicht durchgemacht haben, oder Menschen, die aus einem Herkunftsland ohne entsprechendes Impfprogramm in die Schweiz gekommen sind;
  • Schwangere und ihre Ungeborenen (vor allem bei Röteln). Das Rötelnvirus ist für Kinder nicht gefährlich, wohl aber für ungeimpfte Schwangere (beispielsweise Migrantinnen): Fehlgeburten und Missbildungen des Ungeborenen sind möglich.
  • Personen mit schweren chronischen Erkrankungen wie Lungenkrankheiten oder Herzkreislauferkrankungen sowie Menschen, die sich einer Antikrebstherapie unterziehen: Infektionskrankheiten können bei ihnen zu gravierenden Komplikationen führen.

Als weiteres Argument führen Befürworter ins Feld, dass Impfreaktionen zumeist mild und vorübergehend sind. Unter den 266 unerwünschten Wirkungen von Impfstoffen, die 2008 beim schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic gemeldet wurden, wurden am häufigsten Fieber, Unwohlsein und grippeartige Symptome genannt. Oft berichtet wurde auch über Kopfweh und Schwindel sowie über Lokalreaktionen wie Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle.

Die schweren Nebenwirkungen der Impfungen sind viel seltener als die schweren Auswirkungen der Krankheiten. Bei der Masern-Mumps-Röteln-Impfung zum Beispiel ist das Risiko, sogenannte Impfmasern und damit eine Gehirnentzündung zu bekommen, 1000-mal kleiner als bei einer Masernerkrankung: Es steht bei etwa 1:1 Million statt – wie bei der Erkrankung – 1:1000.

Auch das Risiko, einen vorübergehenden Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) zu bekommen, ist zehnmal kleiner, und in Bezug auf Fieberkrämpfe ist das Risiko rund 40-mal kleiner. Nebenwirkungen, die das Impfen auslösen kann, müssen in der Schweiz übrigens vom Arzt dem Heilmittelinstitut Swissmedic, das Impfstoffe zulässt und überwacht, gemeldet werden. Deshalb sollte man seinem Arzt respektive dem Arzt seines Kindes unbedingt jede ungewöhnliche Reaktion auf eine Impfung melden.

Eines der Argumente, die Impfgegner ins Feld führen, betrifft die unerwünschten Nebenwirkungen. Tatsächlich kann jede Impfung leichte, vorübergehende, aber auch schwere Nebenwirkungen haben. Zum Beispiel erleidet nach der DTP-Impfung gegen Diphtherie, Starrkrampf (Tetanus) und Keuchhusten (Pertussis) unter einer Million Geimpften im Durchschnitt eine Person einen sogenannten anaphylaktischen Schock, der lebensbedrohlich sein kann. In der Arztpraxis, wo geimpft wird, kann sofort mit Medikamenten darauf reagiert werden.

30 Personen unter einer Million DTP-Geimpften erleiden zudem eine hypoton-hyporesponsive Episode, die sich unter anderem in vorübergehender Apathie äussert – glücklicherweise eine Nebenwirkung ohne Langzeitfolgen. Ausserdem leiden nach der DTP-Impfung – wiederum auf eine Million Geimpfte bezogen – 400 Säuglinge während Stunden an sogenanntem untröstbarem Weinen.

Bedenken haben Impfgegner auch gegenüber kleinen Dosen potentiell giftiger Zusatzstoffe, die manche Impfstoffe enthalten. Zwar sind darunter keine Quecksilberspuren mehr, dafür oft produktionsbedingte Spuren von Antibiotika oder Aluminiumsalzen. Der Grund: Aluminium verstärkt die Wirksamkeit verschiedener Impfungen, indem es die Immunantwort des Körpers verstärkt. Es kann aber unter Umständen einen schädigenden Effekt auf Nervenzellen haben und steht im Verdacht, Autoimmunerkrankungen zu fördern. Allerdings kommt Aluminium in vergleichbarer Menge auch in der Nahrung und in der Muttermilch vor.

Weiter argumentieren Impfskeptiker, dass jede Impfung einen Eingriff ins Immunsystem darstelle, bei dem neben den erwünschten positiven auch negative Effekte auftreten. Impfungen stehen immer wieder im Verdacht, an Autismus, Allergien, Diabetes, multipler Sklerose, Polyarthritis und anderen chronischen Krankheiten Mitschuld zu tragen. Wissenschaftlich erhärten liessen sich diese Verdächtigungen bislang allerdings nicht.

Dass Impfungen aufgefrischt werden müssen, wird ebenfalls ins Feld geführt. Es stimmt zwar, dass Impfungen teilweise nicht lebenslang schützen und keinen absoluten Schutz bieten. Bei den meisten Impfungen bleibt beim Kontakt mit dem entsprechenden Krankheitserreger ein Erkrankungsrisiko von fünf Prozent. Allerdings verlaufen Erkrankungen bei Geimpften in der Regel weniger schwer.

«Infektionsland» Schweiz

Unser Land exportiert Infektionskrankheiten wie die Masern, weil die Impfrate sehr tief ist. Jetzt fordern Politiker Massnahmen.

Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Masern bis 2010 europaweit zu eliminieren, schien zu Anfang dieses Jahrzehnts zum Greifen nah. Doch zu tiefe Impfraten in Ländern wie der Schweiz, Deutschland, Rumänien, Italien und Grossbritannien durchkreuzten den Plan. Die WHO betitelte diese Staaten als «Infektionsexportländer», da Masernfälle aus Europa in Länder mit schlechteren Gesundheitssystemen verschleppt worden sind.

Die Schweiz verzeichnete während der Masernepidemie der Jahre 2006 bis 2009 teilweise über 40 Prozent aller Infektionen in Europa. Eine Motion, die diesen März eingereicht wurde, verlangt vom Bundesrat deshalb einen schweizerischen Eliminationsplan der Masern nach WHO-Vorbild. «Durch die Opposition einer kleinen Minderheit der Bevölkerung gegenüber der Masernimpfung sind in der Schweiz jährlich 2000 bis 3000 Personen gefährdet», argumentierte der FDP-Politiker und Mediziner Felix Gutzwiller im Vorstoss.

Von Impfmüdigkeit will in der Schweiz auf Behördenseite trotzdem niemand sprechen. «Die Mehrheit der Eltern lässt ihre Kinder gegen Masern, Mumps, Röteln und andere Krankheiten impfen», sagt Catherine Bourquin vom Bundesamt für Gesundheit. Nur eine Minderheit fürchte sich vor Nebenwirkungen oder stelle den Sinn von Impfungen gänzlich in Frage. Vielmehr gingen einzelne Impfdosen zuweilen vergessen.

Laut Erhebungen über das Impfverhalten sind hierzulande 71 Prozent der Kleinkinder zweimalig gegen Masern geimpft. Die erste Impfung wird meist im Alter von zwölf Monaten verabreicht, die zweite Dosis mit 20 Monaten. Um Epidemien verhüten zu können, müssten 95 Prozent der Kinder zweimal geimpft sein.

Auffallend ist das unterschiedliche Impfverhalten in den verschiedenen Landesteilen: «In der welschen und italienischen Schweiz werden Kinder deutlich häufiger geimpft als in der Deutschschweiz», sagt Phung Lang vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Zürich. Ein «Impfgraben» tut sich auf: In Kantonen wie Freiburg oder Jura werden Kleinkinder deutlich häufiger geimpft als in Luzern oder Uri, die am Schluss der Rangliste stehen. Den Hauptgrund für diesen Graben sehen Forscher im relativ starken Einfluss der impfkritischen Komplementärmedizin, speziell der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin in der Deutschschweiz.

Basisimpfungen: Was Krankenkassen zahlen

Manche Impfungen werden vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) als Standard für alle empfohlen. Zu den Basisimpfungen, mit denen im Säuglingsalter begonnen wird, gehören die Impfungen gegen Diphtherie, Starrkrampf, Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern, Mumps und Röteln sowie die Impfung gegen das Bakterium Haemophilus influenzae Typ b (Hib). Die Kosten für diese Impfungen werden von der Grundversicherung übernommen.

Auch ergänzend empfohlene Impfungen für Babys gegen Pneumokokken und Meningokokken übernehmen alle Kassen sowie Impfungen, die Jugendlichen empfohlen werden – etwa gegen die Humanen Papillomaviren (HPV), Hepatitis B und Windpocken.

Andere Impfungen werden nur für bestimmte Risikogruppen als sinnvoll erachtet. Auch die Kosten für solche Impfungen übernimmt in der Regel die Grundversicherung. Zum Beispiel die Impfung gegen die von Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) für Personen, die sich in Risikogebieten aufhalten. Oder die Grippeimpfung für über 65-Jährige oder Menschen mit chronischen Leiden.

Einen Anspruch auf Kostenübernahme haben Versicherte auch, wenn Impfungen nachgeholt werden müssen (spätestens bis fünf Jahre nach dem vom BAG empfohlenen Alter bei der Impfung). Oder wenn ein Impfschutz aufgefrischt werden soll. Darüber Auskunft geben kann der Hausarzt. Manche Krankenkassen haben zudem weitere Impfkosten in ihr Leistungsangebot aufgenommen, beispielsweise die kombinierte Impfung für Hepatitis A und B. Welche Impfkosten zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen übernommen werden, erfahren Versicherte direkt bei ihrer Kasse.

Eine Ausnahme sind Reiseimpfungen: Für sie kommt die Grundversicherung nicht auf.

Die Kosten für arbeitsmedizinische Impfungen (etwa Hepatitis- oder Grippeimpfungen für das Medizinalpersonal) muss der Arbeitgeber übernehmen.