Es war ein Schock: Frank Kropps rechte Hand geriet in die Sägemaschine, Daumen und Zeigefinger wurden abgeschnitten. Kropp musste mehrfach operiert werden und kann seine bisherige Tätigkeit als Holzkommissionierer in einer Fenster- und Türenfabrik nicht mehr ausüben. Versucht hat er es. «Ich habe an meinem Arbeitsort nach dem Unfall Hilfsarbeiten gemacht», sagt der 34-Jährige, «aber es ist gesundheitlich einfach nicht gegangen.» Er könnte aber mit einer angepassten Tätigkeit auch in Zukunft voll arbeiten.

Das wäre durchaus im Sinne der IV: Behinderte Menschen sollen einer angepassten Arbeit nachgehen, statt eine Rente zu beziehen – so ihr Grundsatz.

Zu wenig behindert?

Kropp stellte deshalb den Antrag, dass ihm eine Umschulung finanziert werde. Er macht einen Invaliditätsgrad von 20 Prozent geltend und hat laut Gesetz einen Anspruch auf Umschulung. Doch Benno G. Frey, Bereichsleiter bei der IV-Stelle Luzern, verneint diesen Anspruch: «Nur wenn man von einem maximalen Leidensabzug ausgeht, also wenn sich die Behinderung schwer auswirkt, kommt man auf einen Invaliditätsgrad von 20 Prozent.» Diesen Leidensabzug setzt die IV jedoch im Fall von Frank Kropp tiefer an. Und selbst wenn die IV Luzern von einem Invaliditätsgrad von 20 Prozent ausginge, würde sie ihm eine Umschulung verweigern – weil er auch ohne Umschulung eine Arbeit finden könne, mit der er ein ähnliches Einkommen erziele wie früher.

Frank Kropp hatte sich in Deutschland zum Holzmechaniker ausgebildet, arbeitete ab 2009 temporär in der Schweiz und schliesslich ab Mai 2010 fest angestellt in der Fenster- und Türenfabrik. Wenige Monate später geschah der Unfall.

Kropps Anwalt Christian Haag kann den Entscheid der Luzerner IV-Stelle absolut nicht nachvollziehen. «Herr Kropp hat einen Anspruch auf Umschulung. Übersetzt heisst der Entscheid der IV, dass er den Rest seines Arbeitslebens als Hilfsarbeiter arbeiten müsste. Er würde zu den Ersten gehören, die bei Arbeitsmangel auf die Strasse gestellt würden.» Die IV missachte mit solchen Entscheiden ihren Grundsatz «Eingliederung vor Rente» und produziere künftige Sozialfälle. Haag hat denn auch im Namen seines Klienten Beschwerde beim Luzerner Verwaltungsgericht eingereicht.

Angst vor sozialem Absturz

Frank Kropp ist seit dem Unfall nicht untätig geblieben und hat sich auch beworben: «Bei manchen Firmen ist eine Anstellung gescheitert, weil sie die Kosten für die Umschulung nicht übernehmen wollten.» Er hat Angst, dass er wegen mangelnder Qualifikation einst zum Sozialfall werden könnte. «Ich verstehe nicht, wieso die IV nicht jetzt in meine Umschulung investieren kann, um vielleicht später höhere Kosten zu vermeiden.» Vorstellen könnte er sich eine Tätigkeit im kaufmännischen Bereich oder eine Ausbildung zum Behindertenbetreuer.

Konsequent ist die IV allerdings nicht. Obwohl sie eine Umschulung ablehnt, finanziert sie Kropp in der Rehaklinik Bellikon einen vierwöchigen Abklärungskurs für einen Berufswechsel, was ihm die Suva ermöglicht hat.

Mut macht ihm auch Anwalt Haag, der noch selten einen so krassen Einzelfall gesehen hat. «Im Allgemeinen stosse ich auf Verständnis, wenn es um die Finanzierung von Eingliederungsmassnahmen geht.» Frank Kropp hofft, dass es das Verwaltungsgericht auch so sieht.