Wer in der Schweiz Teilzeit arbeitet, war bei Invalidität deutlich schlechter gestellt als Vollzeitangestellte. Weil dieser Umstand in so gut wie allen Fällen Mütter betraf, die nach der Geburt ihrer Kinder nur noch Teilzeit arbeiteten, war dies diskriminierend gegenüber Frauen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Anfang Februar 2016 in Strassburg entschieden, nachdem eine Frau aus der Schweiz geklagt hatte.

Die Klägerin hatte 2002 wegen Rückenproblemen ihre Stelle aufgeben müssen und dafür eine halbe IV-Rente zugesprochen erhalten. Nachdem sie zwei Jahre später Zwillinge auf die Welt gebracht hatte, wurde ihr Invaliditätsgrad mittels der sogenannten gemischten Methode neu berechnet. Weil diese den Teilzeitfaktor doppelt anrechnet (und so den IV-Grad überproportional reduziert), wurde der Frau die IV-Rente schliesslich komplett gestrichen.

IV-Renten werden neu geprüft

Der Bundesrat hat festgelegt, dass die Berechnung des Invaliditätsgrades von Teilerwerbstätigen geändert wird. Seit 1. Januar 2018 ist die entsprechende Verordnungsänderung in Kraft. Nun werden zur Bemessung des Invaliditätsgrads von Teilerwerbstätigen die gesundheitlichen Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit und in der Führung des Haushalts gleichermassen stark gewichtet. Bisher wurden die Einschränkungen in der gemischten Methode (siehe unten «So funktionierte die gemischte Methode») im Erwerbsbereich überproportional berücksichtigt, was in der Regel zu tieferen Invaliditätsgraden führte.

Neu an der Berechnung ist, dass man die gesundheitlichen Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit so bemisst, als wäre die Person zu 100% angestellt. Mit dem neuen Berechnungsmodell sind teilerwerbstätige Personen besser gestellt. In seiner Mitteilung hält der Bundesrat fest, dass dadurch alle laufenden Viertelsrenten, halbe Renten und Dreiviertelsrenten von den IV-Stellen von Amtes wegen neu geprüft werden. Der Bund rechnet mit Mehrausgaben für die IV von etwa 35 Millionen Franken pro Jahr, die für die Erhöhungen der IV-Renten ab 1. Januar 2018 eingesetzt werden.

Davon profitieren auch Personen, deren IV-Grad mit der gemischten Methoden unter 40 Prozent lag. Sie haben neu einen Anspruch auf eine IV-Rente, wenn der IV-Grad über diese Schwelle steigt. Da in diesen Fällen jedoch keine Revision von Amtes wegen erfolgt, stehen diese Personen selber in der Pflicht, ihren Anspruch gegenüber der IV erneut anzumelden.

(06.02.2018)

So funktionierte die gemischte Methode

Die gemischte Methode kam bis anhin bei Teilzeitbeschäftigten mit Haushaltspflichten zum Zug und ermittelt die Einschränkung im Haushalt und jene im Beruf. Allerdings wurden die beiden Bereiche einzeln eingestuft und anschliessend nach dem Verhältnis der Pensumsaufteilung gemischt.

 

Beispiel für die bisherige Berechnung:

Tina M. arbeitet 50% Teilzeit und betreut ihre Kinder. Sie verdient 50'000 Franken. Sie ist bei der Arbeit zu 50% eingeschränkt, zu Hause zu 30%.

Die gemischte Methode ermittelt die Einschränkung im Erwerbsbereich und jene im Haushalt separat:

  • Im Erwerbsbereich resultierte für Tina M. ein Invaliditätsgrad von 0%. Grund: Es gab keinen Unterschied, ob sie gesund ist oder nicht. Sie hätte in beiden Fällen gleich viel (50%) gearbeitet und verdient und hatte somit keine Erwerbseinbusse.
  • Bei der Hausarbeit betrug die Einschränkung 30%.
  • Die Rechnung sah dann so aus: Erwerbsarbeit (0% x 0.5) und Hausarbeit (30% x 0.5) ergaben einen Invaliditätsgrad von 15%. Eine IV-Rente gibt es jedoch erst ab einem Invaliditätsgrad von 40 %.
So funktioniert die neue Berechnungsmethode

Beispiel für die neue Berechnung:

  • Die IV-Stellen rechnen nach der neuen Methode das bisher mögliche Einkommen als gesunder Mensch auf 100% hoch. Sie gehen deshalb von 100'000 Franken Einkommen aus. Somit beträgt die Erwerbseinbusse 50'000 Franken.
  • Die Neuberechnung sieht so aus: Erwerbsarbeit (50% x 0.5) und Hausarbeit (30% x 0.5) ergeben einen Invaliditätsgrad von 40%.
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Quelle: Beobachter Edition