Die Aargauische Kantonalbank macht den ersten Schritt: Ab 2014 gibt sie den Kunden die bisher verdeckt geflossenen sogenannten Kickbacks unaufgefordert zurück – auch den Kunden, die bei Anlagen nur beraten werden. Das ist im neuen Gebührenreglement festgelegt. «Wir wollten vorwärtsmachen und für unsere Kunden volle Transparenz schaffen», sagt Sprecherin Ursula Diebold.

Die Bank hat vor kurzem 30 000 Kunden angeschrieben. Das Echo sei durchwegs positiv ausgefallen. Die Aargauer rechnen damit, dass sie wegen des neuen Gebührenmodells pro Jahr ein bis vier Millionen Franken weniger einnehmen werden.

Was die Aargauische Kantonalbank erst auf Nachfrage sagt: Die Regelung gilt nur für die Zukunft. Die Retrozessionen, die sie in den vergangenen Jahren einkassierte und die gemäss Bundesgericht den Kunden gehören, will sie behalten. Es sei wie bei einem Plättlileger. Da könne man auch nicht hinterher einen Teil des Honorars zurückverlangen, so die Sprecherin. Eine Auffassung, die im Widerspruch zur Rechtsprechung steht.

Der Entscheid der Aargauische Kantonalbank kommt trotzdem einem Dammbruch gleich. Bisher hatten Banken strikt geleugnet, dass das Bundesgerichtsurteil vom Oktober 2012 auch für Beratungskunden gelte. Sie waren höchstens dazu bereit, Kunden mit Vermögensmandat zumindest einen Teil der Retrozessionen zurückzugeben. Und das auch nur, wenn der Kunde insistierte und mit dem Anwalt drohte.

Ungelöste Probleme in der Vergangenheit

Aus Sicht der Banken ist diese Abwehrhaltung verständlich. Es geht um sehr viel: laut Experten um insgesamt drei Milliarden Franken. Darin nicht eingerechnet sind Forderungen von Beratungskunden. Sie stellen die grosse Mehrheit der Private-Banking-Kunden dar.

Professorin Monika Roth von der Hochschule Luzern begrüsst den Schritt der Aargauischen Kantonalbank. Erstmals anerkenne ein Institut, was aus juristischer Sicht völlig klar sei: dass die Retrozessionen auch den Beratungskunden gehörten und dass das wegweisende Urteil des Bundesgerichts auch für sie gelte. Roth kritisiert aber: «Die Aargauische Kantonalbank löst zwar das Problem für die Zukunft, unterlässt aber die Vergangenheitsbewältigung.»

Die Diskussion drehe sich derzeit fast nur um die Frage, wann die Ansprüche der Kunden verjährten, kritisiert Roth. Die Banken versuchten dabei, die Frist auf fünf Jahre zu begrenzen. Dafür kämpfen sie – auch in Briefen gegenüber Kunden – mit Gutachten angeblich neutraler Juristen. Dabei handelt es sich in diversen Fällen um Parteigutachten, die im Auftrag von Banken verfasst wurden, wie der «Tages-Anzeiger» kürzlich aufgedeckt hat.

Untergegangen ist jedoch die genauso wichtige Frage, ob das Urteil nicht auch für die vielen Kunden gilt, die bei ihren Anlageentscheiden von ihrer Bank nur beraten werden. Aus juristischer Sicht bestehe auch hier ein Zusammenhang zwischen Beratung und Vertriebsentschädigung, sagt Monika Roth. Die Bank werde tendenziell eher Produkte forcieren, an denen sie mehr verdiene. Von daher befinde sie sich immer in einem Interessenkonflikt.

«Trotz klarer juristischer Ausgangslage werden die Banken nicht freiwillig einlenken», befürchtet die Luzerner Professorin. Die meisten verhielten sich auch ein Jahr nach dem Urteil nach dem gleichen Muster: erst abstreiten, dann vertrösten und erst unter Druck zahlen, und zwar so wenig wie nur möglich. Deshalb brauche es wohl – wie in der Frage der Verjährungsfrist – ein weiteres Bundesgerichtsurteil.

Selbst bankennahen Juristen dämmert aber langsam die Einsicht, dass die Banken die Retrozessionen auch den Beratungskunden zurückzahlen müssen. Das schreibt Philipp Haberbeck in einem soeben im Fachblatt «Jusletter» publizierten Aufsatz. Haberbeck, der für die global tätige Anwaltskanzlei Eversheds arbeitet, war sechs Jahre lang interner Rechtsberater bei der Privatbank Clariden Leu.