Kürzlich präsentierte, man darf schon fast sagen, bejubelte die Medizinsendung «Puls» des Schweizer Fernsehens eine neue Arznei gegen die Augenkrankheit Makula-Degeneration (AMD). «Zum Glück gibt es jetzt das neue Medikament», schloss die Moderatorin. Fast verschämt wies sie auf den Preis hin: 2300 Franken kostet eine Spritze, die anfänglich etwa alle vier Wochen ins Auge gesetzt werden muss. Die Schweiz ist das erste Land in Europa, das Lucentis, so der Name des Hoffnungsmittels, zugelassen hat.

Zehntausende sind betroffen
Dabei existiert womöglich eine viel günstigere Alternative, zu der die Augenärzte bis vor kurzem auch gegriffen haben. Das Krebsmittel Avastin, chemisch eng verwandt mit Lucentis. «Mit Avastin erreichten wir nicht nur eine Stabilisierung der Krankheit, sondern manchmal sogar eine Verbesserung», bestätigt Professor Sebastian Wolf, Leiter der Augenklinik am Berner Inselspital. Der Vorteil gegenüber Lucentis: Es kostet nur 50 Franken pro Spritze. Der Haken an der Sache: Avastin ist ein Krebsmittel und für die Augenkrankheit nicht zugelassen. Trotzdem verwendeten es Augenärzte auf eigenes Risiko, weil es nichts Besseres gab - eine in der Augenheilkunde übliche Praxis.

Damit ist jetzt Schluss. Künftig werden Patienten wohl nur noch mit dem teuren Lucentis behandelt. «Wir rechnen mit Behandlungskosten von 30'000 Franken pro Patient und Jahr», klagt Peter Marbet vom Krankenkassenverband Santésuisse. Die Kassen werden das Medikament bald bezahlen müssen, denn der Antrag auf Aufnahme in die Grundversicherung ist bereits gestellt.

Die feuchte Form der Makula-Degeneration ist eine typische Alterskrankheit. Man wird nicht blind, sieht aber genau dort nichts mehr, wo es am wichtigsten wäre, im Zentrum der Netzhaut nämlich. Makula-Patienten können nicht mehr lesen oder stricken. Je mehr alte Menschen es gibt, desto höher die Zahl der Makula-Patienten. Bei den über 80-Jährigen ist jeder Fünfte betroffen, und jedes Jahr kommen 1400 Patienten dazu.

Könnte nicht die günstige Alternative Avastin ebenfalls für diese Indikation zugelassen werden, damit es die Krankenkassen weniger belastet? Roche, deren Tochterfirma Genentech das Medikament herstellt, warnt vor dem Gebrauch: «Avastin wurde zur Behandlung von Krebs entwickelt, nicht jedoch für Erkrankungen des Auges. Es gibt daher auch keine Sicherheitsstudien.» Und die wird es auch nicht geben, wie Roche bestätigt. Genentech hat eher ein Interesse daran, das 40-mal teurere Lucentis zu verkaufen, das die Firma zusammen mit Novartis entwickelte.

Auch Josef Hunkeler, beim Preisüberwacher zuständig für das Dossier «Medikamente», ist der extreme Preisunterschied aufgefallen. Er kritisiert, dass eine Pharmafirma nicht gezwungen werden kann, ein Medikament für weitere Indikationen zu testen. Hunkeler möchte, dass das Bundesamt für Gesundheit oder eine Gruppe spezialisierter Ärzte ein entsprechendes Antragsrecht erhält. Bis dahin werden die Kassen das teurere Lucentis bezahlen müssen. Die Patienten freuts, die Prämienzahler weniger.