Keine der Männedorfer Pflegefachfrauen, die sich an den Beobachter gewandt haben, will, dass man ihren Namen nennt – zu gross ist die Angst vor unliebsamen Konsequenzen. Ihre Schilderungen ergeben ein wenig schmeichelhaftes Bild über das Arbeitsklima im Regionalspital an der Zürcher Goldküste. «In den letzten Monaten hat sich ein regelrechtes Klima der Angst etabliert», sagt eine langjährige Angestellte, die sich hat krankschrieben lassen, «um nicht noch ganz kaputtzugehen».

Enorme Fluktuation

Wer sich etwa gegen Missstände wehre oder neu eingeführte Arbeitsabläufe kritisch hinterfrage, werde als unprofessionell, unflexibel oder nicht belastbar abqualifiziert. Oder kurz: «Wer aufmuckt, kommt auf die Abschussliste.» Die Pflegefachfrauen berichten von mehreren Fällen, in denen Kolleginnen auf der Stelle freigestellt und unter Aufsicht vom Spitalgelände weggeführt worden seien. «Respektlos» ist noch eine der netteren Umschreibungen dieser Vorgänge, «erniedrigend» eine andere. Für eine interne Aufarbeitung dieser Zustände fehle es an vertrauenswürdigen Ansprechpartnern, bemängeln die Betroffenen, deshalb der öffentliche Hilferuf via Medien.

Unter solchen Arbeitsbedingungen werfen viele erfahrene Angestellte zermürbt das Handtuch: Innerhalb eines Jahres haben nicht weniger als 38 Prozent des Pflegepersonals das Spital Männedorf verlassen; dies auf einer Basis von rund 170 Angestellten. Dies bestätigte Spitaldirektor Ralph Baumgartner gegenüber der «Zürichsee-Zeitung», die breit über die personellen Turbulenzen berichtet und zahlreiche Rückmeldungen erhalten hat, welche das Bild bestätigen. In seiner Replik bezeichnet Baumgartner die Fluktuationsrate von über einem Drittel als «nicht beunruhigend hoch». Die Häufung der Kündigungen erklärt der CEO gegenüber der Regionalzeitung mit personellen Wechseln in der Leitung sowie strukturellen Anpassungen. So führe man eine einheitliche Pflegekultur und standardisierte Betriebsprozesse ein. Das erfordere von den Angestellten eine entsprechende Anpassungsbereitschaft.

Fachwissen fliesst ab

Für die Pflegenden an der Front ist diese Darstellung zu schön gefärbt. Sie erleben eine Situation, «in der die Sicherheit der Patienten gefährdet ist». So sei der erforderliche Mix zwischen diplomierten Pflegefachleuten und weniger gut Ausgebildeten häufig nicht mehr ausgewogen. Das führe dazu, dass Angestellte Tätigkeiten übernehmen müssten, zu denen sie gar nicht befähigt seien. Auch würden die Patientendokumentationen nicht mehr seriös geführt. Und die Pflegenden müssten im Dienst oft ad hoc die Abteilung wechseln, worunter die Kontinuität der Pflege und die sonst schon knappe Zeit für die Patienten leide. «In diesem Spital ist viel fachliches Wissen verloren gegangen», resümiert eine Betroffene. «Die Pflegequalität auf einzelnen Abteilungen hat stark nachgelassen.»

Beim Schweizerischen Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) sind die Vorkommnisse in Männedorf bekannt. Gemäss einer vom Verband im Januar durchgeführten Umfrage zur Arbeitszufriedenheit seien dort etliche Punkte «stark verbesserungswürdig», sagt Vizepräsidentin Daniela Ragonesi. Für sie stellen die vielen Kündigungen namentlich von erfahrenen Pflegenden einen «massiven Abbau an Fachkompetenz» dar. Die Notwendigkeit, dass Spitäler unter dem wachsenden Kostendruck durch das Fallpauschalen-System ihre Ressourcen überprüfen müssen, zweifelt Ragonesi nicht an – im Fall Männedorf aber sehr wohl die Wahl der Methoden. Zumal man sich auch der längerfristigen Folgen bewusst sein müsse: «Wenn ein Spital einmal ein schlechtes Image hat, wird es schwierig, künftig wieder gute Leute zu finden.»

Die SBK-Vizepräsidentin erkennt in den Vorgängen am Zürichsee ein Muster, das man bisher eher den forsch expandierenden Privatklinik-Gruppen zuschrieb. Gemeint ist damit insbesondere Genolier Swiss Medical Network (GSMN). Die Genfer, bei der Gewerkschaft VPOD als «unfreundlicher Arbeitgeber» bekannt, machen zurzeit in Neuchâtel Schlagzeilen: Die Privatgruppe will dort die private, aber vom Kanton subventionierte Klinik La Providence schlucken und in diesem Zug den Gesamtarbeitsvertrag Santé 21 aufheben. Dies hätte tiefere Löhne und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zur Folge. Dagegen protestiert das Pflegepersonal seit Ende November mit dem längsten Streik in der Geschichte des Kantons.

Zuvor war die Genolier-Gruppe unter anderem auch in Zürich aktiv, wo sie 2010 das Privatspital Bethanien übernommen und neu im Segment der Luxusmedizin positioniert hatte. Bei diesem Strategiewechsel blieben Dutzende von langjährigen Pflegeangestellten auf der Strecke – wie ein «ein eisiger Wind» seien die Genolier-Leute eingefahren, erinnert sich Daniela Ragonesi, die das Bethanien-Dossier für den Berufsverband SBK betreut hatte.

Pikant: Die damaligen Konflikte entzündeten sich an der gleichen Führungsperson, die im Frühjahr 2012 ans Spital Männedorf wechsele und dort seither mit Leuten, die ihr von der Bethanien-Klinik gefolgt sind, den Ton angibt. Dieser Umstand sowie die Tatsache, dass zwei der vier Geschäftsleitungsmitglieder eine Genolier-Vergangenheit haben, nährt am Zürichsee den Verdacht einer schleichenden Übernahme durch die Privatklinik-Gruppe (siehe dazu auch das Interview mit Gesundheitsökonom Willy Oggier). Die Spitalleitung weist aber jeglichen Zusammengang zurück, auch Genolier verneint, in Männedorf involviert zu sein.   

Aktuell: Der Direktor nimmt den Hut

Die Turbulenzen im Regionalspital Männedorf haben erste personelle Konsequenzen in der Leitung gefordert: Gemäss einer Mitteilung des Spital-Verwaltungsrats hat sich Direktor Ralph Baumgartner entschieden, das Haus zu verlassen. Die Kündigung wird damit begründet, dass Baumgartner «für die anstehenden Reformen nicht den dafür notwendigen internen Rückhalt findet». Die Nachfolge will der Verwaltungsrat bis Ende Februar regeln.

Weiter im Amt bleibt hingegen die Leiterin des Pflegedienstes, Colette Tschupp. Sie war von verschiedenen Seiten für ihre Personalführung heftig kritisiert worden. Pflegefachleute, die sich unter anderem an den Beobachter gewandt haben, geben ihr eine Hauptverantwortung für das schlechte Arbeitsklima, was dazu geführt hat, dass innerhalb von nur einem Jahr gegen 40 Prozent des Pflegepersonals das Regionalspital am Zürichsee verlassen haben. Wie es in der Mitteilung des Spitals heisst, geniesst Tschupp aber weiterhin «die uneingeschränkte Unterstützungsowohl vom Verwaltungsrat als auch von der Geschäftsleitung und den Stationsleitungen». Intern sei eine Aufarbeitung der Problemfelder eingeleitet worden, wobei ein Hauptaugenmerk auf den Teamentwicklungsprozess gelegt werde. Dieser soll durch eine externe Fachperson begleitet werden.