Das war selbst den grosszügigen Genfern zu viel: Anfang März lehnten sie ein Referendum gegen die Sanierung der beiden Pensionskassen der Lehrer und des medizinischen Personals ab. Die Staatsangestellten müssen nun länger arbeiten und etwas höhere Beiträge in ihre Pensionskasse einzahlen.

Doch Grund zum Klagen haben sie nicht wirklich. Die beiden Kassen, die nun 2014 fusioniert werden, zahlen auch in Zukunft üppige Renten. Versicherte, die 70'000 Franken verdienen, werden nach 40 Versicherungsjahren 36'300 Franken Rente erhalten. Zusammen mit der AHV kommen sie damit auf über 90 Prozent ihres letzten Nettolohns. In dieser Lohnklasse fahren nur wenige Versicherte in der Schweiz besser. Wer dagegen bei einer Kasse versichert ist, die nur die gesetzlich vorgeschriebenen Minimalleistungen bietet, muss sich mit 20'000 Franken bescheiden – das sind über 40 Prozent weniger.

Nur jede vierte Kasse ist gesund

Auch sonst sind die Genfer Staatsangestellten gut bedient. Normalerweise zahlen Arbeitnehmer die Hälfte der Pensionskassenbeiträge, die Genfer aber nur einen Drittel.

Dabei geht es den beiden Genfer Pensionskassen alles andere als gut. Sie sind massiv unterfinanziert. Ihr Deckungsgrad liegt bei 48 und 61 Prozent. Zur Sanierung muss der Kanton in den nächsten Jahren 6,3 Milliarden Franken einschiessen.

Genf ist kein Einzelfall. Viele öffentlich-rechtliche Pensionskassen müssen mit Milliarden saniert werden. Der Kanton Zürich etwa musste in seine skandalgeschüttelte Beamtenversicherungskasse (BVK) zwei Milliarden einschiessen. Trotzdem fehlen ihr noch weitere drei Milliarden, um die versprochenen Renten bezahlen zu können. In der Pensionskasse des Kantons Waadt klafft ebenfalls ein Drei-Milliarden-Loch. In Bern und Baselland beträgt die Deckungslücke jeweils gut zwei Milliarden.

Wie miserabel der Zustand der Staatskassen ist, zeigen die jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik: Den 92 öffentlich-rechtlichen Kassen fehlten Ende 2011 total 35,1 Milliarden Franken, den privaten Kassen, bei denen fünfmal mehr Angestellte versichert sind, aber nur 7,3 Milliarden.

Anders als bei den privaten hat sich die Lage bei den öffentlich-rechtlichen Kassen in den letzten Jahren noch nicht entspannt: Nur gerade jede vierte verfügt über genügend Mittel – und 73 Prozent waren Ende des letzten Jahres unterdeckt. Das zeigen Zahlen der Oberaufsichtskommission.

Selbst das ist nur die halbe Wahrheit. Denn viele Kassen stehen schlechter da als offiziell ausgewiesen. So etwa die beiden maroden Genfer Kassen: Sie rechneten bisher mit einem technischen Zinssatz von vier Prozent und mehr. Um ihre Leistungen finanzieren zu können, brauchen sie damit eine Sollrendite von über fünf Prozent pro Jahr. Das haben sie im Schnitt der letzten schwierigen Anlagejahre aber nicht annähernd erreicht. Als Faustregel gilt: Wenn der technische Zins ein Prozent zu hoch angesetzt ist, liegt der Deckungsgrad de facto neun Prozent tiefer.

Kritiker wie der Zürcher Finanzprofessor Martin Janssen sprechen deshalb von «geschönten Zahlen» und eigentlichem «Bilanzbetrug». Dieser Vorwurf trifft aber nicht alle öffentlich-rechtlichen Kassen. Einige rechnen bereits mit einem sehr tiefen technischen Zinssatz, etwa jene von Appenzell Innerrhoden mit 2,75 Prozent.

Das Parlament lässt ein Schlupfloch offen

Gemäss Berechnungen der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Avenir Suisse fehlen den öffentlich-rechtlichen Pensionskassen sogar 50 Milliarden – und nicht 35,1 Milliarden wie offiziell ausgewiesen. Auf jeden einzelnen Staatsangestellten macht das 63'000 Franken.

Das ist ein nationaler Durchschnittswert. Die regionalen Unterschiede sind immens. Die Pensionskassen der Kantone Appenzell und Obwalden sind voll finanziert, in Genf dagegen beträgt die Lücke pro Staatsangestellten gut 170'000 Franken. Im Waadtland, im Tessin und in Neuenburg fehlen jeweils rund 100'000 Franken.

Viele Staatskassen schieben die fälligen Sanierungen trotzdem auf die lange Bank – obwohl das Bundesrecht vorsieht, dass sie ab Anfang 2014 verselbständigt und bis 2024 voll kapitalisiert sein müssen. Aber das gilt nicht für alle, das Parlament hat ein Schlupfloch offen gelassen: Kassen, die bis Ende Jahr eine Staatsgarantie erhalten, müssen erst in 40 Jahren einen Deckungsgrad von nur gerade 80 Prozent erreichen. Wie viele diesen Ausweg nützen, ist offen. Anfang 2013 verfügten 66 Kassen über eine Staatsgarantie.

Roger Baumann von der St. Galler Vorsorge-Beratungsfirma C-alm hält die Bundeslösung deshalb für «Augenwischerei». Sie sei rein politisch motiviert gewesen. «Ohne diesen Winkelzug wäre das Gesetz wohl gescheitert.» Das bestätigt der Basler Wirtschaftsprofessor Heinz Zimmermann, der vor weiteren Verzögerungen bei der Sanierung warnt: «Spätestens wenn die Renten fällig sind, muss das Geld vorliegen. Für die meisten dieser Kassen sehe ich deshalb keine Alternative zur vollen Ausfinanzierung.»

Arg in Schieflage befanden sich bis vor kurzem auch die Pensionskassen von Bund und Bundesbetrieben, die mit einer 35,6-Milliarden-Spritze saniert wurden. Den grössten Teil, fast 14 Milliarden Franken, erhielt die Publica, die Kasse der Bundesverwaltung. Für SBB, Post, Swisscom, Ruag und Skyguide gab es ebenfalls Milliarden.

Warum konnte es so weit kommen?

Wie konnte es dazu kommen, dass so viele öffentlich-rechtliche Kassen derart schlecht dastehen? Das liegt in erster Linie an ihrer Sonderstellung. Im Gegensatz zu privaten Vorsorgeeinrichtungen müssen sie nicht voll ausfinanziert sein. Der Grund: Der Staat kann nicht in Konkurs gehen, fällige Renten können deshalb jederzeit nachfinanziert werden. Als Folge rissen fahrlässige Praktiken ein, die der Bundesrat bereits 2007 in einem Bericht anprangerte:

  • Beiträge wurden nur teilweise einbezahlt: Vor allem in den neunziger Jahren zahlte die öffentliche Hand nur einen Teil oder gar keine Beiträge ein. Zudem verzichten viele Kassen auf die in der Privatwirtschaft üblichen Zusatzbeiträge, die Versicherte nach Lohnerhöhungen zahlen müssten, um ihre dann höheren Renten zu finanzieren.

  • Arbeitsrechtliche Probleme wurden via Pensionskasse gelöst: Die öffentliche Hand weist nach dem Baugewerbe die höchste Invaliditätsquote auf. Der Grund: Problemfälle wurden oft in die IV abgeschoben – auch auf Kosten der Pensionskasse.

  • Anreize für Frühpensionierungen: Viele Staatskassen kennen bis heute sehr grosszügige Regelungen für Frührentner. Zudem gewähren viele trotz Unterfinanzierung einen Teuerungsausgleich auf den Renten.

  • Verfehlte Anlagepolitik: Manche Kassen gebärdeten sich bis tief in die neunziger Jahre als regionale Wirtschaftsförderer. Viele investierten erst spät in den Finanzmarkt – und wurden umso härter von den Krisen seit 2001 getroffen. Verschiedene Kassenverwalter agierten bei der Anlagepolitik sehr fahrlässig, teils auch kriminell (siehe unten: «Die Flops der Staatskassen»). Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm kritisiert zudem, dass es zahlreiche «Fehlanlagen» gab, verursacht durch falsche Beratung von Banken und Asset-Managern, die in die eigene Tasche wirtschafteten.


Diese Kritikpunkte sind spätestens seit 2007 bekannt. Doch alte Muster halten sich hartnäckig, wie etwa die Bundeskasse Publica zeigt. Hier will der Bundesrat zwar den technischen Zins und den Umwandlungssatz auf realistische Niveaus senken, doch die Versicherungsleistungen bleiben unangetastet. Finanziert werden soll das unter anderem mit «frei zu spielenden Mitteln» – eine blumige Umschreibung dafür, dass die Steuerzahler zahlen müssen.

In verschiedenen Kantonen muss nun das Volk entscheiden, wie die staatlichen Pensionskassen saniert werden sollen. In Genf und Zürich wurden bereits Milliardenbeiträge durchgewinkt. In St. Gallen geht es am 9. Juni um eine Finanzspritze von rund 400 Millionen Franken. In Bern muss wohl über eine Vorlage der Regierung abgestimmt werden, die Staatsbeiträge zwischen 1,7 und 2,1 Milliarden vorsieht. Baselland rechnet mit Sanierungskosten von 2,3 Milliarden. Eine von 28 Gemeinden eingereichte Initiative wendet sich dagegen, weil sie Gesamtkosten von fünf Milliarden befürchten. Und die Stadt Freiburg will 57 Millionen in ihre Pensionskasse einschiessen, um den Deckungsgrad wenigstens von 47 auf 70 Prozent zu erhöhen.

«Bis sie die Zusammenhänge verstehen»

Werden private Pensionskassen saniert, bekommen das meist die Versicherten zu spüren – indem sie höhere Beiträge zahlen müssen, ihre Vorsorgegelder schlechter verzinst oder die Leistungen gekürzt werden. In St. Gallen und Bern aber sind die Personalverbände nur zu vergleichsweise bescheidenen Zugeständnissen bereit.

Der Basler Wirtschaftsprofessor Heinz Zimmermann sieht die Sache inzwischen sarkastisch: «Die Steuerzahler werden die Sanierung auf ihre Kosten nur so lange akzeptieren, bis sie die Zusammenhänge verstehen. Aber das kann bei Vorsorgesystemen lange dauern.»

Ohne Strafe kamen auch die Ex-Chefs der Bernischen Lehrerversicherungskasse davon. Sie hatten mit hochriskanten Anlagegeschäften einen Verlust von 205 Millionen Franken eingefahren. Selbst die Vetternwirtschaft bei der Vergabe von lukrativen Aufträgen erwies sich nicht als strafbar. «Der Direktor war fachlich und persönlich überfordert», stellte die Finanzkontrolle fest.

In der Pensionskasse des Basler Staatspersonals fehlten Ende 2004 gut zwei Milliarden Franken. Der Grosse Rat erstattete Strafanzeige. Im Untersuchungsbericht ist von «teilweise absurd hohen Risiken» die Rede. Das Verfahren gegen die Verantwortlichen wurde jedoch eingestellt, weil sich der Verdacht auf strafbare Handlungen nicht erhärten liess.

Der ehemalige Präsident der Lehrerpensionskasse Wallis wurde nach einem Prozess durch alle Instanzen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Gerichte sahen den Tatbestand der Veruntreuung als erwiesen. Die Parlamentarische Untersuchungskommission des Walliser Grossen Rates stellte ein «Versagen auf der ganzen Linie» fest. Schaden: 112 Millionen.

Die höchsten Wellen warf der Skandal um die Personalvorsorge des Kantons Zürich (BVK). Deren korrupter Anlagechef liess sich von Spezis bestechen und setzte mit riskanten Investments rund 1,5 Milliarden Franken in den Sand. Mehrere Beteiligte kassierten Haftstrafen und hohe Bussen. Offen ist die Haftungsfrage bei den politisch Verantwortlichen.

Die Flops der Staatskassen

Misswirtschaft bei öffentlich-rechtlichen Kassen, diese Fälle wurden bisher bekannt:

  • Die höchsten Wellen warf der Skandal um die Personalvorsorge des Kantons Zürich (BVK). Deren korrupter Anlagechef liess sich von Spezis bestechen und setzte mit riskanten Investments rund 1,5 Milliarden Franken in den Sand. Mehrere Beteiligte kassierten Haftstrafen und hohe Bussen. Offen ist die Haftungsfrage bei den politisch Verantwortlichen.

  • Der ehemalige Präsident der Lehrerpensionskasse Wallis wurde nach einem Prozess durch alle Instanzen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Gerichte sahen den Tatbestand der Veruntreuung als erwiesen. Die Parlamentarische Untersuchungskommission des Walliser Grossen Rates stellte ein «Versagen auf der ganzen Linie» fest. Schaden: 112 Millionen.

  • In der Pensionskasse des Basler Staatspersonals fehlten Ende 2004 gut zwei Milliarden Franken. Der Grosse Rat erstattete Strafanzeige. Im Untersuchungsbericht ist von «teilweise absurd hohen Risiken» die Rede. Das Verfahren gegen die Verantwortlichen wurde jedoch eingestellt, weil sich der Verdacht auf strafbare Handlungen nicht erhärten liess.

  • Ohne Strafe kamen auch die Ex-Chefs der Bernischen Lehrerversicherungskasse davon. Sie hatten mit hochriskanten Anlagegeschäften einen Verlust von 205 Millionen Franken eingefahren. Selbst die Vetternwirtschaft bei der Vergabe von lukrativen Aufträgen erwies sich nicht als strafbar. «Der Direktor war fachlich und persönlich überfordert», stellte die Finanzkontrolle fest.