Steigende Ausgaben für Sozialhilfebezüger sind der Anlass für ein ungewöhnliches Schreiben der Gemeinde Riniken an die Hausbesitzer und Liegenschaftenverwalter in der 1500-Seelen-Gemeinde. «Wir stellen fest, dass in letzter Zeit Einzelpersonen oder auch Familien in unsere Gemeinde gezogen sind, welche bereits bei den früheren Gemeinden Sozialhilfe empfangen haben», heisst es in dem Brief. Die Ausgaben für Sozialhilfe hätten sich innert zweier Jahre fast verfierfacht, ergänzt Gemeindeammann Ulrich Müller auf Anfrage. Für das laufende Jahr rechnet Riniken mit Kosten von rund 260 000 Franken. Eine Steuererhöhung hatte die Bevölkerung abgelehnt.

Um den Zuzug finanziell belastender Personen zu senken, wendet sich die Gemeinde unweit von Brugg AG jetzt an die Vermieter. Sie sollen bei der Vergabe von Wohnungen künftig abklären, ob Interessenten in ihrer bisherigen Wohngemeinden bereits Sozialhilfe beziehen. Konkret werden die Vermieter aufgefordert, solche Informationen auf Sozialmämter einzuholen. «Wir machen keinem Vermieter einen Vorwurf für die bisherige Entwicklung. Wir möchten sie aber dafür sensibilisieren, dass ihre Vermietungsentscheide einen grossen Einfluss auf die Gemeindefinanzen haben», sagt Gemeindeammann Müller. Auch andere Gemeinden würden darum auf die Liegenschaftenbesitzer zugehen.

«Die Gemeinde untergräbt den sozialen Frieden»

Empört haben einzelne Vermieter auf das Vorgehen der Gemeinde reagiert. «Ich bin kein Gutmensch oder ein verträumter Linker, aber was zu weit geht, geht zu weit. Mit solchen Schreiben untergräbt die Gemeinde den sozialen Frieden», teilte Vermieter Roger Weber der Gemeinde mit. «Ich will nicht jeden Sozialhilfebezüger in Schutz nehmen. Aber mit dieser Aufforderung werden die Schwächsten pauschal noch mehr stigmatisiert und als Menschen 2. Klasse abgestempelt.» Dabei könne jeder in eine solche Situation kommen, warnt Weber. Auch er habe darum einer Familie, die auf Hilfe angewiesen sei, eine Wohnung vermietet.

Wenn auch er die Kosten über alles stellen würde, hätte er seine Immobilienfirma längst in eine andere Gemeinde verlegt – um Steuern zu sparen. «Das wäre ebenso daneben, wie das aktuelle Vorgehen der Gemeinde.» Dass sich Gemeinden möglichst unattraktiv machen wollen, erinnert an den Steuerwettbewerb – einfach mit umgekehrten Vorzeichen.

Das von Riniken vorgeschlagene Einholen von Informationen auf anderen Sozialämtern dürfte schlicht nicht möglich sein. «Selbstverständlich würden wir einem Vermieter nie eine solche Auskunft erteilen. Ob jemand Sozialhilfe bezieht, untersteht dem Amtsgeheimnis», versichert zum Beispiel Michael Rüegg, Sprecher des Zürcher Sozialdepartements.

Verstoss gegen die Verfassung

Auch nach Ansicht der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) würde dadurch das Amtsgeheimnis klar verletzt. Für die Skos verstösst die Gemeinde aber auch  gegen die Niederlassungsfreiheit, die von der Bundesverfassung garantiert wird.  «Sie gilt uneingeschränkt auf für unterstützte Personen. Wenn eine Gemeinde darauf hinwirkt, Sozialhilfebezüger aus der Gemeinde fernzuhalten, verletzt sie das Verfassungsrecht dieser Personen», sagt Felix Wolffers, Co-Präsident der Skos.

Riniken will das Vermieten an Sozialhilfebezüger noch mit einer weiteren Massnahme unattraktiv machen. Bisher bezahlte das Sozialamt die Miete oft direkt an die Vermieter. Damit hatten diese die Einnahmen auf sicher. Neu sollen Mieten nur noch direkt an die Sozialhilfebezüger ausbezahlt werden. Damit steigt für die Vermieter das Risiko, die Miete nicht in jedem Fall zu erhalten. Es gehe aber auch darum, die Selbstverantwortung der Sozialhilfebeziehenden zu fördern, unterstreicht Gemeindeammann Müller.

Für Felix Wolffers von der Skos ist das Schreiben der Gemeinde zwar unzulässig. «Dahinter muss aber nicht einfach böser Wille stecken.» Es ist viel mehr die Folge von unzeitgemässen Finanzierungssystemen für die Sozialhilfe. Viele Gemeinden mit günstigem Wohnraum würden durch Sozialhilfeaufwendungen massiv belastet. «Es braucht darum Finanzierungssysteme, welche die Sozialaufwendungen in den Kantonen gerechter verteilen», so Wolffers. 


«Die Gemeinden machen sich möglichst unattraktiv» - lesen Sie zum Thema auch das Interview mit dem Zürcher Anwalt Pierre Heusser.