Wer Schulden hat, lässt die Steuern oft fürs Erste links liegen. Man zahlt vorab die Miete, das Auto und bedient Kredite – um Wohnung und Kreditwürdigkeit nicht zu verlieren. Der Staat ist als Gläubiger in der Regel geduldiger als Vermieter, Banken oder Leasingfirmen. Bis die Pfändung wegen Steuerschulden droht, dauert es meist mehr als zwei Jahre.

«70 Prozent unserer Klienten schulden auch Steuern», bestätigt Sébastien Mercier von der Schuldenberatung Schweiz. Die Klienten haben im Durchschnitt 64'000 Franken Schulden – nicht bezahlte Steuern machen davon etwa 30 Prozent aus.

Jeder zehnte Haushalt schuldet Steuern

Laut Mercier gibt es «den» typischen Steuerschuldner nicht. Auch Paare mit hohem Einkommen und Steuerschulden von über 100'000 Franken landen bei ihm in der Beratung. Besserverdienern gelinge es aber eher, Vereinbarungen mit den Steuerämtern abzuschliessen. «Leute mit tiefem Einkommen haben da weniger Chancen und werden auch rascher betrieben.»

Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Eine von zehn Personen lebt in einem Haushalt mit Steuerschulden. Bei Arbeitslosen sind die Rückstände am häufigsten. Personen von ausserhalb Europas, aus der Westschweiz und Junge zwischen 18 und 24 Jahren bleiben die Steuern überdurchschnittlich oft schuldig.

Es läppert sich einiges zusammen, was an Abgaben unbezahlt bleibt. Der Kanton Basel-Stadt etwa verbuchte 2014 total 2,66 Prozent seiner Einkommens- und Vermögenssteuern als Verlust, in Zürich waren es 0,58 Prozent. Schweizweit werden Jahr für Jahr – konservativ geschätzt – gut ein Prozent der Steuern als «uneinbringlich» abgeschrieben. Das sind rund 1,3 Milliarden Franken. Andersrum: Um so viel liesse sich die gesamte Steuerlast verringern, wenn alle ihre Abgaben tatsächlich zahlen würden. Doch es deutet nichts darauf hin, dass sich das Problem entschärft. Der Kanton Bern zum Beispiel, der die Verlustscheine für Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuern zentral erfasst, bewirtschaftete Ende Februar 2016 Verlustscheine über 2,27 Milliarden Franken – innerhalb von drei Jahren eine Zunahme um 200 Millionen Franken.

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In anderen Ländern läuft es anders

Liegt es an der fehlenden Zahlungsmoral, an unkontrolliertem Konsum oder finanzieller Knappheit, dass sich Steuerschulden anhäufen? Das treffe alles zu, heisst es bei den Schuldenberatungsstellen. Sie weisen aber auch auf strukturelle Mängel im Steuersystem hin: Die Schweiz organisiert den Steuerbezug anders als die meisten anderen Länder.

In den angrenzenden Staaten – mit Ausnahme Frankreichs – ziehen die Arbeitgeber die Steuern direkt vom Lohn ab, wenden also die sogenannte Quellenbesteuerung an. Diese Regelung gilt in der Schweiz nur für Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung sowie für Leute, die zwar Einkünfte in der Schweiz erzielen, aber nicht hier wohnen.

Die ordentliche Veranlagung für alle anderen Lohnbezüger «spiegelt systematisch eine höhere Liquidität vor, als tatsächlich vorhanden ist», kritisiert der Schuldenberater Sébastien Mercier. Das Geld sei oft aufgebraucht, wenn die Steuerrechnung eintreffe. Heute vergehen je nach Kanton bis zu zwei Jahre von der Lohnauszahlung bis zum Zahlen der Steuern. Mit einer Quellenbesteuerung wäre das Problem in den meisten Fällen gelöst, ist Mercier überzeugt.

Ein weiterer Punkt: Wer die Steuererklärung nicht ausfüllt, wird vom Steueramt eingeschätzt – meist höher, als es der tatsächlichen Situation entspricht. Wer keine Einsprache erhebt, muss Steuern bezahlen auf ein Einkommen, das er gar nicht erzielt hat. Was dann häufig folgt, ist eine Schuldenspirale. Wer betrieben wird und auf dem Existenzminimum lebt, verschuldet sich weiter. Laufende Steuern werden in vielen Kantonen nicht ins Existenzminimum eingerechnet, obwohl sie obligatorisch bezahlt werden müssen.

Beispiel einer zu hohen Einschätzung des Steueramts: «Fall Suter»

Der 41-jährige Ernst Suter arbeitet als Hilfsarbeiter im Zürcher Oberland. Weil er Legastheniker ist, bereitet ihm Papierkram grösste Mühe. Eine Steuererklärung hat Suter nie ausgefüllt, weshalb sein Einkommen Jahr für Jahr immer höher eingeschätzt wird. Aus Scham und Überforderung wehrt er sich aber nicht – bis seine gesamten Ersparnisse aufgebraucht sind.

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Quelle: Kornel Stadler

Warum wird also nicht auf Quellenbesteuerung umgestellt? Die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen reichte vor zwei Jahren eine Motion ein, die den «freiwilligen monatlichen Direktabzug der Steuern vom Lohn» in den Kantonen ermöglichen soll. Das Parlament hat die Motion noch nicht behandelt, doch der Bundesrat winkt schon ab: Ein solches Modell führe zu mehr administrativem Aufwand bei den Arbeitgebern und einer Verkomplizierung. Vor allem, wenn der Wohnsitzkanton eine andere Regelung als der Arbeitskanton praktiziere. In letzter Konsequenz laufe das auf eine obligatorische Vorauszahlung in allen Kantonen hinaus, was eine Gesetzesänderung und eine Steuerharmonisierung voraussetze.

Zudem läuft aktuell eine Revision des Quellensteuergesetzes: Künftig soll einem Grossteil der Quellensteuerpflichtigen die ordentliche Besteuerungsvariante offenstehen. Auch die heilige Kuh der kantonalen Steuerhoheit will der Bundesrat nicht schlachten. Er verweist zudem auf Regelungen in der Romandie, wo die Steuern bereits mit neun bis zwölf Raten bezahlt werden können. Die Landesregierung traut der Freiwilligkeit nicht: Wer nicht gewillt sei, etwas gegen Steuerschulden zu tun, werde auch keine freiwillige Quellensteuer nutzen. 

«Grosser administrativer Aufwand»

Die Bedenken der Landesregierung hält Parlamentarier in Basel-Stadt und jüngst auch in Zürich nicht davon ab, die freiwillige Quellensteuer in ihren Kantonen zu fordern. In Basel-Stadt wurden 2014 total 8700 Betreibungsbegehren für kantonale Steuerschulden gestellt; 37,4 Millionen Franken betrugen schliesslich die Verluste. Trotzdem tritt die Regierung auch hier auf die Bremse und argumentiert mit zu grossem administrativem Aufwand. Das überrascht gerade in der Grenzstadt Basel, wo fast die Hälfte der unselbständig Erwerbstätigen der Quellensteuer unterliegt.

Und wie überall in der Schweiz ziehen die Arbeitgeber alle Sozialversicherungsbeiträge direkt vom Lohn ab. Der administrative Mehraufwand wäre also überschaubar.

Steuern: Was, wenn die Pfändung droht?

Wer Steuern nicht bezahlen kann, sollte keinesfalls einen Kleinkredit aufnehmen. Besser, man ersucht um Steuererlass oder verlangt einen Zahlungsaufschub. Erlasse werden restriktiv gewährt, für Ratenzahlungen bieten die Ämter meist Hand. Wer auf die Steuerrechnung nicht reagiert, bekommt je nach Kanton eine Zahlungserinnerung oder gleich die erste Mahnung. Die Verzugszinsen laufen sofort, die Mahngebühren sind unterschiedlich hoch. Bleibt auch die zweite Mahnung erfolglos, leitet das Amt die Betreibung ein. Wird auch weiterhin nicht bezahlt, droht die Pfändung von Lohn oder Wertgegenständen. Wenn nichts zu holen ist, wird ein Verlustschein ausgestellt. Ein Verlustschein ist 20 Jahre gültig. Wer später wieder zu Vermögen kommt, muss seine Schulden nach Jahren begleichen.

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