«Das ist doch nicht so schlimm, es blutet nur ein bisschen», sagt die Mutter zu Timo, der mit dem Velo gestürzt ist. Aber der Vierjährige ist untröstlich, denn es tut ganz fest weh. Die unbedarften Worte der Mutter fasst er jetzt vielleicht so auf: «Mami will nur, dass ich aufhöre zu weinen.»

Wer erzieht, ertappt sich oft bei solchen Floskeln – gut gemeint, aber schlecht gesagt. Junge Eltern nehmen sich vor, es besser zu machen. Und greifen dann aber doch automatisch auf stereotype Sätze zurück: «Warum musst du dich immer so blöd anstellen?» – «Kannst du nicht warten, bis du an der Reihe bist?» Auch wenn man die Kinder damit zurechtweisen, motivieren oder trösten will: Es kommt bei den Kleinen oft anders an. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, bekommen Angst oder zweifeln plötzlich an der Zuneigung der Eltern.

Böse Worte hinterlassen Spuren

Bewusster gewählte Worte können Wunder wirken. Etwa, wenn Mama zum gestürzten Timo sagt: «Das hat bestimmt wehgetan. Komm, du darfst dir ein lustiges Pflaster aussuchen.» Danach und nach einer Umarmung ist für den Jungen die Welt vermutlich ganz schnell wieder in Ordnung.

Fatal wirken vor allem Sätze, die Eltern in der Hitze des Gefechts fallen lassen. Erwachsene empfinden diese nicht als erniedrigend, doch bei Kindern können sie Spuren hinterlassen.

Der US-Arzt R. L. Goulding nennt solche unbedacht hingeworfenen Sätze «Bannbotschaften», weil sie wie ein Fluch wirken können, wie eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt. Sie können entmutigen und das Selbstvertrauen schwächen. Oft sind sie richtige Motivationskiller und bremsen Kinder dabei, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ein so «gebanntes» Kind wird sich erst gar nicht anstrengen, wenn das Ergebnis bereits feststeht. «Rechnen kann ich sowieso nicht» kann dann die Begründung sein für die schlechte Note in Mathematik.

Worte können verletzen, aber ihre Narben sind unsichtbar. Die Auswirkung baut sich langsam auf und kann zur Last fürs Leben werden. Kleine Kinder glauben, was ihre Eltern sagen. Also sagen diese auch die Wahrheit, wenn sie die Kinder mit Worten herabsetzen.

Immer positiv formulieren

Überprüfen Sie deshalb, welche Situationen Sie zu «Bannbotschaften» reizen. Und gewöhnen Sie sich an, in solchen Momenten Ihre Bemerkungen jeweils positiv statt negativ zu formulieren: Aus dem Vorwurf «Nie räumst du dein Zimmer auf» wird die Aufmunterung: «Lass uns zusammen Ordnung schaffen. Mal sehen, was wir neu einsortieren können.» Aus dem Rüffel «Typisch! Immer verschüttest du den Orangensaft!» wird der Vorschlag: «Ist die Flasche zu gross für deine Hände? Lass uns den Saft in einen kleinen Krug umfüllen.»

Tipps: Diese Floskeln sind nichts für Kinderohren

«Jetzt habe ich dich nicht mehr lieb!»

Das wirkt auf ein Kind sehr bedrohlich, denn ohne die Liebe der Eltern ist es hilflos. Bei allem Ärger sollte man besser mit neutralen Worten eine Funkstille vereinbaren, etwa so: «Ich geh jetzt auf mein Zimmer und du auch, bis wir uns beruhigt haben.»
 

«Da bist du selber schuld!»

Kinder neigen ohnehin dazu, sich für alles Mögliche verantwortlich zu fühlen. Besser: «Der Tag ist wirklich blöd gelaufen. Alle haben irgendwie dazu beigetragen.» Das Eingeständnis des eigenen Fehlverhaltens wirkt entspannend auf die ganze Familie. Die Sache kann dann als einmaliges Ereignis abgehakt werden, ohne dass jemand «schuld» ist.
 

«Gut gemacht!»

Loben ist wichtig, aber nicht unaufhörlich. Lob ist nur dann angebracht, wenn das Kind etwas auffallend gut gemacht hat. Am besten ersetzen Eltern die allgemeine Formel «Gut gemacht» mit spezifischen Aussagen. Etwa: «Ich finde es toll, wie du mit deinen kleinen Geschwistern umgehst.»
 

«Jetzt reiss dich mal zusammen!»

Auch wenn ein Kind hysterisch sein kann, bleibt es bei dieser Bemerkung einsam und unverstanden. Besser: «Ich verstehe, dass meine Reaktion jetzt für dich nicht nachvollziehbar ist. Aber so sind die Regeln. Wenn du dich beruhigt hast, können wir zusammen nach einer Lösung suchen.»
 

«Aus dir wird nie etwas!»

Das demotiviert ein Kind genauso wie der Satz: «Wie dämlich kann man eigentlich sein?» Irgendwann wird es nicht einmal mehr einen Versuch wagen. Absolut tabu!
 

«Immer/nie machst du…!»

Solche Sätze entmutigen. Sie signalisieren dem Kind: «Ich mache alles falsch! Warum soll ich mir noch Mühe geben?» So kann das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verloren gehen. Bei späteren Fehlern und Misserfolgen sucht es die Schuld zu sehr bei sich, statt auch äussere Umstände in Betracht zu ziehen. Besser: «Beim nächsten Mal klappt es bestimmt!»
 

«Ich habe jetzt keine Zeit.»

Das Kind bekommt das Gefühl, unwichtig zu sein. Wenn es diesen Satz öfter hört, mindert das sein Selbstbewusstsein. Besser: «Ich muss das jetzt noch zu Ende führen. Aber dann setzen wir uns hin, und du schilderst mir die Sache ganz genau.»
 

«Du bist wie dein Vater/deine Mutter!»

Meist steckt hinter dieser Bemerkung eine Anspielung auf negative Eigenschaften des Partners. Besser: «Ich hatte damit früher auch Schwierigkeiten.» Oder: «Dein Papa ist auch keine Sportskanone. Dafür repariert er sehr geschickt kaputte Dinge.» Diese Worte können trösten, wenn etwas schiefgegangen ist oder dem Kind etwas schwerfällt.
 

«Warum kannst du nicht wie deine Geschwister sein?»

Das Signal ist gesetzt: Ich habe deine Geschwister lieber als dich. Auch wenn Eltern gern die Geschwister als Vorbilder heranziehen, untergraben sie damit den Selbstwert des Kindes. Besser: «Jeder von euch hat seine Stärken und Schwächen. Frag doch deinen Bruder, ob er dir helfen kann.»
 

«Das kannst du sowieso nicht!»

Der Satz untergräbt das Selbstbewusstsein. Warum soll sich ein Kind anstrengen, wenn die Eltern überzeugt sind, dass es etwas sowieso nicht schafft? Besser: «Es spielt keine Rolle, wenn es nicht sofort gelingt. Probier es einfach noch einmal.» Oder: «Wenn du mich brauchst, ruf mich, ich helfe dir.»

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