Wenn Chirurgen bestimmte Operationen selten durchführen, fehlt ihnen die Erfahrung. Bei gut eingespielten Teams kommt es dagegen seltener zu Komplikationen – weniger Nachoperationen, Nachblutungen, Infektionen, weniger Todesfälle. Darum wäre es gut, wenn sich die Spitäler mehr als bisher auf bestimmte Eingriffe konzentrierten.

Die neusten Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigen jedoch: Viele Spitäler führen bestimmte Operationen nur einmal pro Monat oder noch seltener durch. Wer wissen möchte, wie das bei «seinem» Spital ist, kann die Fallzahlen für 2014 auf der BAG-Website nachschlagen.

Fallzahlen als Entscheidungskriterium

Wie oft eine Operation durchgeführt wird, ist zwar nur eines von mehreren Qualitätskriterien. Auch unter Chirurgen gebe es «gute Handwerker», die selbst bei seltenen Eingriffen erfolgreich operieren, und «weniger geschickte», die trotz viel Übung zu viele vermeidbare Fehler machen, sagt der Basler Orthopädieprofessor Marcel Jakob, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie.

Doch wenn Patienten wählen können, wo sie operiert werden, entscheiden sie oft auf gut Glück. Sie wissen nicht, wie es um die Erfolgsquoten steht. Daher sind Fallzahlen ein wichtiges Entscheidungskriterium. In den Niederlanden etwa müssen Krankenkassen Operationen nicht zahlen, wenn ein Spital sie zu selten durchführt.

Die Spitäler geizen mit Daten

Einzelne Kantone wie Zürich schreiben den Spitälern minimale Fallzahlen vor, meist allerdings nur zehn Eingriffe pro Jahr. Das BAG schreibt, dass «eine Vorgabe von einer minimalen Zahl von Operationen» die Qualität verbessern könne. Die meisten Kantone sind aber untätig geblieben. Dennoch will das BAG bis heute keine konkreten Empfehlungen abgeben.

Eigenartig. Schon vor Jahren kam das «British Medical Journal» zum Schluss, für etliche Eingriffe brauche es nicht nur ein «Spital, das viel operiert», sondern auch einen «Chirurgen, der viel operiert». In den USA gilt daher die Empfehlung: «Chirurgen mit vielen Fällen in Spitälern mit vielen Fällen». Doch das BAG hat es bisher «aus Datenschutzgründen» sogar unterlassen, die Fallzahlen der einzelnen Chirurgen einzufordern. Nur vereinzelte Spitäler veröffentlichen diese im Jahresbericht. Zudem ist das BAG schon zufrieden, wenn die Fallzahlen pro Spitalgruppe und nicht pro Standort gemeldet werden. Das verfälscht Vergleiche. Eine Begründung gibt das BAG nicht.

«Fallzahlen müssen pro Spitalstandort erhoben werden», fordert auch Chirurgenpräsident Marcel Jakob. Der Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern (ANQ) würde das ebenfalls «sehr begrüssen». Er vereint Spitäler, Ärzte, Kantone und Krankenkassen mit dem Ziel, die jährlich mehr als 2000 vermeidbaren Todesfälle und 60000 vermeidbaren Komplikationen in Spitälern zu reduzieren.

Das zögerliche Handeln von Kantonen, BAG und Spitälern setzt Patienten unnötigen Risiken aus. Ein extremes Beispiel dafür ist die heikle Entfernung der Bauchspeicheldrüse. Der Zürcher Professor Pierre-Alain Clavien hält «mindestens 20 bis 30 Pankreas-Eingriffe pro Jahr» für das Minimum. Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), die auch die Interessen ihrer eigenen Spitäler schützen, wollte nur zehn Operationen vorschreiben. Doch selbst dagegen klagten etliche Spitäler, so dass auch dieses Minimum immer noch nicht in allen Kantonen verbindlich ist. Die Namen der prozessierenden Spitäler will die GDK nicht nennen.

Quelle: 123 RF
Operationen zum Teil nur einmal im Jahr
«Deutlich weniger Patienten starben»

Die Zahl der Spitäler, die Bauchspeicheldrüsen nur sporadisch operieren, nimmt zwar ab, aber viel zu langsam. 2011 führten in der Deutschschweiz 19 Spitäler diesen Eingriff weniger als zehnmal durch, 2014 immer noch 13 (siehe Tabelle). Trotzdem erklärte der Bundesrat im Mai, die Kantone würden die Planung der hochspezialisierten Medizin «kompetent umsetzen».

Josef Hunkeler, früher Gesundheitsexperte beim Preisüberwacher, hat die BAG-Statistiken der letzten Jahre ausgewertet. Sein Resultat: «Die publizierten Zahlen suggerieren, dass in den Universitäts- und Zentrumsspitälern mit hohen Fallzahlen deutlich weniger Patienten starben, als nach ihrem Risikoprofil erwartet werden konnte. In kleineren Allgemeinspitälern starben dagegen deutlich mehr.» Hunkeler bemängelt, die Qualität der BAG-Zahlen sei nach wie vor ungenügend. So gibt das BAG die Todesfälle von mehr als der Hälfte der Spitäler nicht bekannt. Begründung: «Datenschutz».

Manchmal buhlen Spitäler am gleichen Ort um Patientinnen. So in Basel: Das St. Claraspital operierte 2014 nur alle sechs Wochen eine Gebärmutter, das Merian-Iselin-Spital nur alle vier Wochen – und das seit mehreren Jahren. 2015 operierte das Merian Iselin fast jede Woche einmal, allerdings mit unterschiedlichen Belegärzten. Das Unispital Basel dagegen führt diese Operation zweimal pro Woche durch.

Erstimplantationen von Knieprothesen dürfen in Deutschland nur Spitäler vornehmen, die mindestens 50 solche Operationen pro Jahr durchführen. In der Deutschschweiz gab es 2014 noch immer 15 Spitäler, die Knieprothesen weniger oft einsetzten. Die spezialisierte Zürcher Schulthess-Klinik führte den Eingriff 766-mal durch, das Basler Merian-Iselin-Spital 719-mal, das Luzerner Kantonsspital 541-, das Kantonsspital Winterthur 366-mal.

Erstimplantationen von Hüftprothesen führten 2014 noch 15 Spitäler weniger als 50-mal durch (siehe Tabelle).

Deutschland macht es vor

Ein weiteres Beispiel sind die planbaren Frühgeburten von Säuglingen, die weniger als 1250 Gramm wiegen. Für sie schreibt Deutschland seit 2015 eine Fallzahl von mindestens 14 pro Jahr vor. Etliche Spitäler gingen gerichtlich dagegen vor. Das Bundessozialgericht kam aber zum Schluss, dass ein «wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Behandlungsqualität» wissenschaftlich belegt sei. In der Deutschschweiz gab es 2014 noch 26 Spitäler, die nur auf eine bis acht solcher Frühgeburten kamen.

Dass Mindestfallzahlen auch problematisch sein können, darauf verweist Jürg Schmidli, Chefarzt am Berner Inselspital. Chirurgen könnten versucht sein, «Diagnosen grosszügig auszulegen», um auf die nötige Zahl von Operationen zu kommen.

Diese Gefahr besteht tatsächlich in Spitälern, die die geforderten Fallzahlen knapp verfehlen. Dass Schweizer Chefärzte immer häufiger happige Boni erhalten, wenn sie viel operieren, verstärkt diesen Trend. Schmidli ruft deshalb das Parlament auf, mengenbezogene Anreize in Arbeitsverträgen mit Ärzten zu verbieten – wie das in Deutschland längst der Fall ist.