Beobachter: Das Testament gilt als der «letzte Wille», der Vorsorgeauftrag als «der zweitletzte Wille». Wieso?
Daniel Rosch: Das Testament wird erst dann relevant, wenn jemand stirbt. Und wenn ich gestorben bin, dann kann es mir im Prinzip egal sein, ob sich die Erben ums Geld streiten – ich kriege ja nichts mehr mit. Der zweitletzte Wille dagegen, der Vorsorgeauftrag, ist so gesehen wichtiger, weil die betreffende Person noch lebt. Vom Vorsorgeauftrag kann unter anderem abhängen, wer für meine Finanzen verantwortlich zeichnet, wenn ich nicht mehr urteilsfähig bin.

 

Beobachter: Die Wichtigkeit eines Vorsorgeauftrags wird unterschätzt.
Rosch: Er ist vor allem ein Instrument zur Selbstbestimmung. Ich entscheide, wer sich um mich kümmert, wenn ich das nicht mehr alleine machen kann. Dass der Vorsorgeauftrag noch kaum bekannt ist liegt daran, dass es diese Möglichkeit erst seit dem Jahr 2013 gibt – das Testament beispielsweise gibt es ungleich länger.

 

Beobachter: Was wird im Vorsorgeauftrag geregelt?
Rosch: Man trifft Vorkehrungen im nicht-medizinischen Bereich für den Fall, dass man urteilsunfähig wird und setzt eine Person für die Umsetzung des Auftrages ein. Man muss ihn also von der Patientenverfügung abgrenzen. Im Vorsorgeauftrag wird beispielsweise geregelt, wer das Vermögen verwaltet, wer die Steuererklärung ausfüllt oder wie die persönliche Pflege aussehen soll.

 

Beobachter: Wieso ist der Vorsorgeauftrag einer Vollmacht vorzuziehen?
Rosch: Zunächst einmal liegt der Unterschied in der Form: Der Vorsorgeauftrag hat strenge Formvorschriften, er muss handschriftlich geschrieben oder öffentlich beurkundet sein. Bei der Vollmacht dagegen gibt es keine expliziten Anforderungen: Hier statte ich eine Person mit einer Vollmacht aus, solange ich noch urteilsfähig bin. Damit habe ich auch die Möglichkeit, die zuständige Person selber auszuwechseln, sofern ich unzufrieden bin. Nicht möglich ist es ausserdem, eine Vollmacht auf den Zeitpunkt der Urteilsunfähigkeit auszustellen; das kann man nur mit dem Vorsorgeauftrag tun.

Mustervorlagen «Vollmacht» bei Guider

Für Beobachter-Abonnenten gibt es hilfreiche Vorlagen für eine Vollmacht. Wollen Sie jemanden beauftragen, der Sie nur bei einer bestimmten Handlung vertritt, zum Beispiel bei finanziellen Angelegenheiten, ist die Spezialvollmacht geeignet. Wer hingegen eine Vertretung für alle Arten von Rechtsgeschäften benötigt, sollte dies mit der Generalvollmacht tun.

 

Beobachter: Macht mein Treuhänder einen schlechten Job, so kann ich ihm die Vollmacht wieder entziehen.
Rosch: Genau. Beim Vorsorgeauftrag fehlt diese Möglichkeit, da dieser erst in Kraft trifft, wenn ich nicht mehr urteilsfähig bin. Jemand müsste hier zwingend die Kesb anrufen, damit diese die Handlungen des Treuhänders prüft.

 

Beobachter: In welchem Fall ist ein Beistand sinnvoll?
Rosch: Ein Beistand wird von der Kesb zugeteilt. Dieser ist sinnvoll, wenn es mir nicht so wichtig ist, wer sich um mich kümmert – und wenn ich finde, dass es der Staat bzw. die Kesb schon richten wird. Zudem muss man hier kaum etwas selber regeln, man löst quasi ein Pauschal-Arrangement.

 

Beobachter: Und wann kommt ein Vorsorgeauftrag in Frage?
Rosch: Es gibt für mich zwei wichtige Aspekte: Einerseits wenn ich gewisse Lebensbereiche selbständig und genau regeln will, beispielsweise meine Finanzen. Andererseits sollte ich entscheiden, ob es mir wichtig ist, dass die Kesb möglichst wenig involviert ist. Dabei muss ich mir bewusst sein, dass die Ausführung des Vorsorgeauftrags nicht staatlich kontrolliert wird, wie es beim Beistand der Fall ist. Ich muss also eine Person bestimmen, die ich schon jahrelang kenne und der ich blind vertraue.

«Mit einem Vorsorgeauftrag erreiche ich, dass die Kesb möglichst wenig involviert ist. Ganz im Gegensatz zum Beistand.»

Daniel Rosch, Professor FH für Sozialrecht

 

Beobachter: Wann ist jemand nicht mehr urteilsfähig?
Rosch: Es handelt sich um einen rechtlichen Begriff, der die Fähigkeit bezeichnet, vernunftgemäss zu handeln. Grundsätzlich nehmen wir an, dass sich eine erwachsene Person einen Willen bilden und dementsprechend reagieren kann – sie ist also per se urteilsfähig. Wenn jemand beispielsweise eine Strasse überqueren will, dann macht er das nicht, wenn ein Auto auf ihn zufährt; sondern er wartet, bis die Strasse frei ist. Er kann sich also einen Willen bilden und dem Willen entsprechend handeln. Wenn er diese Fähigkeiten nicht mehr besitzt, dann ist er urteilsunfähig, die Strasse zu überqueren. Die Urteilsfähigkeit bezieht sich also immer auf eine konkrete Situation. Ich kann urteilsfähig sein, die Strasse gefahrlos zu überqueren, aber nicht mehr urteilsfähig, meine Rechnungen zu machen.

 

Beobachter: Und wer entscheidet darüber?
Rosch: Das bestimmen letztlich Mediziner oder Psychiater. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob sich die Person noch dessen bewusst ist, was sie tut. Eine höchst komplexe Frage, für die es keine Formel gibt.

 

Beobachter: Kommt es häufig vor, dass sich Verwandte bei der Kesb melden und die Urteilsfähigkeit ihrer Liebsten anzweifeln? 
Rosch: Ja, das gibt es. Ich erinnere mich hier an einen vieldiskutierten Fall: Eine vermögende Frau, etwa 70 Jahre alt, hat sich einen deutlich jüngeren Liebhaber geangelt. Dieser junge Mann aber hatte es auch auf das Geld der alten Dame abgesehen. Er hat ihr sogar gestanden, dass er schon wegen solcher Delikte vorbestraft war. Doch der Frau war das egal, es machte ihr nichts aus. Ganz anders natürlich ihre Kinder, die sich berechtigte Sorgen um ihr Erbe machten. Sie machten bei der Kesb eine Gefährdungsmeldung und behaupteten, dass ihre Mutter nicht mehr urteilsfähig sei – sie habe eine psychische Störung und realisiere nicht, was sie da tue. Die Behörde gab ein Gutachten in Auftrag, welches zum Schluss kam, dass die Frau absolut urteilsfähig ist und auch kein Schwächezustand vorhanden ist. Sie wisse, worauf sie sich einlasse, und sie sei sich der Konsequenzen bewusst. Also blieb alles beim Alten: Die Frau und ihr Liebhaber genossen das Leben nach ihren Vorstellungen und die Kinder konnten nichts dagegen tun.

Mehr zum «Vorsorgeauftrag» bei Guider

Was sollte in einem handschriftlichen Vorsorgeauftrag enthalten sein? Beobachter-Abonnenten erhalten verschiedene Mustervorlagen zum Vorsorgeauftrag als praktische Anleitung. Zudem informiert das Merkblatt «Was müssen vorsorgebeauftragte Personen wissen?», ob man gegenüber der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Bericht erstatten muss.

 

Beobachter: Was lehrt uns diese Geschichte?
Rosch: Sie bringt uns zu einem Kern des Erwachsenenschutzes: Ist die gesellschaftliche Wertung und diejenige von Angehörigen oder des Umfeldes entscheidend – oder das Einzelinteresse der betroffenen Person? Für das Erwachsenenschutzrecht gibt es hier keinen Interpretationsspielraum: Diese Frau kann, solange sie urteilsfähig ist und an keinem Schwächezustand leidet, machen, was sie will. Sie führt ein selbstbestimmtes Leben, auch wenn das für Dritte zum Teil unvernünftig erscheint.

 

Beobachter: Ist das mit ein Grund, warum die Kesb immer wieder in die negativen Schlagzeilen gerät?
Rosch: Sicherlich, das auch. Die Kesb entscheidet nach diesem Grundsatz – und dass solche Entscheide nicht immer bei allen Beteiligten auf Wohlwollen stossen, ist nachvollziehbar. Zudem gibt es die Organisation Kesb erst seit 2013. Entsprechend befindet sie sich in einer Aufbau- und Entwicklungsphase, in der es unterschiedliche Ausgangslagen und Rahmenbedingungen gibt. So ist die Kesb mancherorts schon sehr professionell aufgestellt, an anderen Orten besteht noch Aufholbedarf. Mittelfristig aber darf man erwarten, dass das System mit der Kesb als professionell arbeitender Fachbehörde besser funktioniert und auch qualitativ bessere Entscheide fasst, als es früher mit der Vormundschaftsbehörde der Fall war.

Zur Person

Daniel Rosch ist Jurist, Sozialarbeiter (FH) und Non-Profit-Manager. Er war an diversen Orten im Bereich des Kinder- und Erwachsenenschutzes tätig und ist heute Professor (FH) für Sozialrecht an der Hochschule Luzern. Zusammen mit Walter Noser ist er Autor des Buches «Erwachsenenschutz», das in der Beobachter-Edition erschienen ist.

Quelle: Thinkstock Kollektion
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