Da riskieren zwei Mitarbeiterinnen des Sozialamts der Stadt Zürich Job und guten Ruf. Und am Ende klopft man ihnen auf die Schultern und sagt: «Gut gemacht. Es war richtig, dass ihr den Medien Missbräuche im Zürcher Sozialamt gemeldet habt. Ihr habt zwar das Amtsgeheimnis verletzt, aber dies war gerechtfertigt.» Der kürzliche Freispruch von Esther Wyler und Margrit Zopfi war ein Meilenstein für mutige Menschen.

Aber mal ehrlich: Was nützt dieses Urteil jetzt noch? Die beiden Frauen wurden am Arbeitsplatz verhaftet und fristlos entlassen, das Zürcher Sozialdepartement hat einen riesigen Imageschaden, den es hätte vermeiden können, hätte es früher auf Wyler und Zopfi gehört. Und der Steuerzahler hat viel zu lange für unaufgeklärte Missbrauchsfälle gezahlt.

Wieso begreift die öffentliche Hand nicht endlich, dass sie handeln muss, bevor der Schaden entstanden ist? Dafür brauchen die Behörden nicht nur ein gutes Kontrollsystem, sondern auch Anlaufstellen für sogenannte Whistleblower, also Angestellte, die Missstände bei ihrem Arbeitgeber entdecken.

Genau da hapert es beim Staat: Nur gerade der Bund und einzelne bundesnahe Betriebe haben solche Anlaufstellen. Doch oft sind sie untauglich, wie folgendes Beispiel zeigt: Da hört der Leiter eines Rechtsdienstes in seiner Funktion als Anlaufstelle den Whistleblower zuerst an, entlässt ihn später aber auch gleich selbst – weil er nicht nur Anlaufstelle, sondern gleichzeitig auch Mitglied der Geschäftsleitung ist. Anlaufstellen für Whistleblower müssen völlig unabhängig sein und den Schutz der Anonymität garantieren, sonst taugen sie nichts.

Stellen einrichten – und bekanntmachen

Aber auch eine taugliche Anlaufstelle reicht noch nicht aus: Die Angestellten müssen nämlich auch wissen, dass es die Stelle gibt, sie müssen Vertrauen zu ihr haben und geschult werden, wie sie vorzugehen haben, wenn sie im eigenen Betrieb auf Delikte wie Veruntreuung, Bestechung oder Urkundenfälschung stossen.

Grosse Schweizer Firmen wie ABB, Nestlé und Novartis machen es seit Jahren vor: Sie weisen Mitarbeiter bereits beim Anstellungsgespräch auf die Whistleblower-Anlaufstellen hin, schulen die Angestellten regelmässig, wie Missstände korrekt gemeldet werden, verteilen Merkkarten fürs Portemonnaie und machen zum Thema Anschläge am Schwarzen Brett.

Das Resultat lässt sich sehen: Novartis erhielt 2008 insgesamt 884 Hinweise. Davon wurden bisher 390 abschliessend untersucht, 231 waren begründet. Und die aufgedeckten Missstände hatten für die Verantwortlichen Konsequenzen: 162 fehlbaren Mitarbeitern wurde gekündigt, gegen 66 hat Novartis Sanktionen verhängt.

Davon sind Behörden und Verwaltungen noch meilenweit entfernt. Beim Bund weiss kaum jemand, dass die Eidgenössische Finanzkontrolle der Meldeort für Whistleblower ist. Gleiches Problem bei Stadt und Kanton Zürich: Zwar gibt es da Ombudsstellen, denen Angestellte Missstände anonym zutragen könnten – bloss ist das den wenigsten bekannt. Etwas hilflos wies die Ombudsstelle des Kantons vor zwei Jahren auf ihre Funktion auch als Whistleblower-Anlaufstelle hin, gut versteckt im Jahresbericht.

Der Bundesrat agiert verhalten

Bei der öffentlichen Hand braucht es offenbar immer einen Skandal, bis sich etwas ändert – wie zum Beispiel die Immobilienaffäre der Suva im Jahr 2005. Da versuchte ein Bereichsleiter Millionen zu ergaunern und fügte dem Unfallversicherer einen grossen Imageschaden zu. Danach richtete die Suva eine Stelle ein, die auch anonyme Meldungen entgegennimmt, und Mitarbeiter werden seither mit Flyern und Schulungen darauf hingewiesen.

Bei der skandalgeschüttelten Zürcher Sozialbehörde hat das Umdenken noch nicht wirklich eingesetzt. Obwohl bereits vor einem Jahr Gutachter der Hochschule St. Gallen empfohlen haben, sofort eine Meldestelle einzurichten, will das Amt keine Stellung nehmen zur Frage, ob man dieser Empfehlung jetzt zu folgen gedenke.

Eigentlich sollte der Staat das Problem in Ruhe und grundsätzlich angehen. Die Chance dazu hätte er: Beim Bundesrat liegt der Entwurf für ein Whistleblower-Gesetz. Doch was tut unsere Regierung? Sie regelt nur, wann es missbräuchlich ist, Whistleblowern zu kündigen, und verzichtet darauf, die Kantone zu verpflichten, Anlaufstellen einzurichten.

Mutige Mitarbeiter sollen also auch weiterhin zuerst verhaftet, fristlos entlassen und gebrandmarkt werden, bevor dann vielleicht ein gnädiger Richter sie rehabilitiert.