«Dann gehen wir halt rumänisch einkaufen», raunen sich Schweizer Jugendliche neuerdings zu, wenn das Sackgeld aufgebraucht ist. Oder: Der Rumäne trage oft «zu kleine Jacken mit grossen Taschen», witzelte die Wochenzeitung WOZ in einer Persiflage auf das nie erschienene SVP-Organ «Der Schweizer». Und als im Sommer vor einem EM-Match in Zürich gewohnheitsmässig vor Taschendieben gewarnt wird, brüllt die wartende Menge vor Vergnügen – schliesslich spielen die Rumänen, und die haben viele Fans mitgebracht.

Witz und Satire sind zuverlässige Sensoren, um Ressentiments zu orten. Hier besagen sie: Rumänen klauen wie die Raben. «Fast alle Witze bauen auf Vorurteilen auf», sagt der Lausanner Soziologe Jörg Stolz, der die Einstellung der Schweizer gegenüber Ausländergruppen untersucht hat. Unterschwellig seien negative Stereotype meist schon gegeben. «Dann passiert etwas, die Bevölkerung wird darauf aufmerksam und verbindet das Stereotyp mit dem Ereignis», erklärt Stolz den Mechanismus. Das können etwa Medienberichte über rumänische Diebesbanden sein – und bald schon trägt ein Volk einen Stempel (siehe «Staffellauf der Bösewichte»).
Ist dieser Boden einmal gelegt, haben die Angstmacher leichtes Spiel. So verwundert es nicht, dass die Gegner der erweiterten Personenfreizügigkeit, über die am 8. Februar abgestimmt wird (siehe «Personenfreizügigkeit», weiter unten), ihre Kampagne an den angeblich furchterregenden Rumänen aufziehen. «Nein zur importierten Kriminalität aus dem Osten», hiess es dick und fett auf den Unterschriftenbögen der Jungen SVP, die das Referendum federführend auf die Beine stellte. Schon zuvor wurde bei der Debatte im Parlament mit dem Schreckgespenst von unkontrolliert einfallenden Rumänen operiert. Fernsehbilder aus Italien, wo straffällige und illegal anwesende rumänische Fahrende einen Volksaufstand provozierten, sorgten für willkommenen Rückenwind.

Unangenehm, wenn das Image der eigenen Nation derart im Keller ist: Wie gehen die Rumänen in der Schweiz damit um? Sie kämpfen dagegen an, rücken schiefe Bilder gerade. Cora Saurer Dragos tut es am eigenen Beispiel. Als sie, ausgebildete Linguistin, 1988 ins Land kam, habe sie niemandem etwas weggenommen, sagt sie. Im Gegenteil: Damals herrschte Lehrermangel, man war froh, dass sie eine Lücke füllte. «Die Schweiz brauchte meine Kompetenzen gleich stark wie ich das Leben hier.» Die quirlige Frau, die als Gymnasiallehrerin und Übersetzerin arbeitet, fühlt sich längst als «Zweidrittel-Schweizerin». «Ich bin zu einem Arbeitstier geworden, das hat mir hier Anerkennung verschafft.»

Unauffällig und meist gut situiert

Vor fünf Jahren ist ihr heutiger Ehemann, Dorin Dragos, zu ihr nach Bern gezogen. Die beiden kannten sich seit der Kindheit in Timi¸soara, ehe sie in der Fremde wieder zusammenfanden. Wäre die Liebe nicht gewesen, hätte es den 40-jährigen Schauspieler kaum hierher verschlagen. «Für Rumänen ist die Schweiz eine viel zu ordnungsliebende Gesellschaft», sagt er. Auch ihm selber gelinge die soziale Integration nur langsam, die Mentalitätsunterschiede seien gross. Nur schon deshalb ist Dragos überzeugt, dass es die Rumänen aufgrund der kulturellen und sprachlichen Nähe viel eher nach Italien oder Spanien zieht. «Hierher kommen sie nur, wenn die Schweiz sie als Fachkräfte braucht.»

Gegenwärtig leben rund 4400 Personen rumänischer Staatsangehörigkeit in der Schweiz. Gekommen sind sie in drei Wellen: Zuerst, Ende der 1940er-Jahre, Angehörige der aristokratischen Oberschicht, die unter sich geblieben sind. In den 1970ern/80ern dann jene Gruppe, die vor dem Ceausescu-Regime flüchtete: Beruflich gut qualifizierte Leute – Ingenieure, Lehrer, Ärzte, Pflegepersonal –, die ohne viel Aufhebens ihren Platz in der Schweizer Gesellschaft fanden. Schliesslich, seit dem Umsturz in Rumänien, die «Goldjäger», wie Cora Saurer Dragos sie nennt, etwa junge IT-Spezialisten, die sich als Weltbürger verstehen.

Die Kontakte untereinander sind lose. Auch hängen Rumänen im Exil keine Landesflaggen an ihre Balkone, um eine Zusammengehörigkeit zu demonstrieren, die über den gemeinsamen Pass hinausgeht. Alles in allem: gut situiert, gut integriert, unauffällig. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Schweizer im Allgemeinen nicht besonders für die Rumänen unter ihnen interessieren. «Sie kennen von Rumänien nur die Klischees», hält Dorin Dragos fest: Bilder von desolaten Waisenhäusern, von ärmlichen Dörfern, durch die Eselskarren gezogen werden. Dazu Dracula, Ceausescu und vielleicht noch Gheorghe Hagi, der als «Karpaten-Maradona» einst die Fussballwelt verzauberte.

Das verbreitete Halbwissen zeigt sich auch in der aktuellen Debatte um die Personenfreizügigkeit. «Man redet von den Rumänen und meint eigentlich die Roma», sagt der Zürcher Historiker Thomas Huonker, ein Kenner dieser Ethnie, die in ganz Südosteuropa lebt; in Rumänien sind es rund zwei Millionen. Wenn nun Politiker nach Sonderregelungen für Roma rufen, etwa spezielle Arbeitsverträge, sind das für Huonker «peinliche Reflexe im Stil früherer Vorurteile und diskriminierender Einreiseverbote». Tatsache ist: In der Schweiz leben heute schätzungsweise 30'000 Leute mit Roma-Abstammung. Der überwiegende Teil von ihnen ist sesshaft, berufstätig und integriert. Von der Gesellschaft werden sie als Ex-Jugoslawen wahrgenommen. Von dort reisten sie in den 1960er-/70er-Jahren als Saisonniers ein und liessen später als Niedergelassene ihre Familien nachkommen. Eine weitere Gruppe, vor allem aus dem Kosovo, fand in den Neunzigern als Kriegsflüchtlinge Aufnahme.

«Wir sind korrekt»: Marina Bafaro

Quelle: Tomas Wüthrich
Distanz zu den schwarzen Schafen

Mit den berüchtigten Einbrecherbanden, die zurzeit oft für Schlagzeilen sorgen, haben diese Leute nichts zu tun. Ebenso wenig, wie es bei der bevorstehenden Volksabstimmung um die Reisefreiheit geht: Staatsangehörige aus Rumänien und Bulgarien – ob Roma oder nicht – können seit 2004 visumsfrei für bis zu drei Monate in die Schweiz kommen. Arbeiten dürfen sie hier nicht, so versuchen sie mit «schwarzen» Gelegenheitsjobs zu Geld zu kommen, sie betteln – oder werden straffällig. Gemäss der Strafurteilserhebung des Bundesamts für Statistik wurden 2006 (neuere Zahlen liegen nicht vor) 148 rumänische Staatsangehörige in der Schweiz wegen Diebstahls verurteilt; in den Jahren davor waren es 179 respektive 177 Personen.

Ob man das nun viel oder wenig findet: Den Ruf fördert es nicht. Hiesige Rumänen leiden darunter, in einen Topf mit einer Minderheit geworfen zu werden, die sich nicht an die Regeln hält. Wenn etwa die 2003 eingewanderte Marina Bafaro derartige Pauschalurteile hört, lässt sie diese nicht unwidersprochen. «Ich verurteile das Verhalten solcher Leute. Doch mit den allermeisten von uns hat das nichts zu tun, wir sind korrekt», sagt die Frau, die in Männedorf ZH einen Secondhand-Laden aufgebaut hat.

«Wir zeigen das Gute, das Schlechte kommt von selbst in die Zeitungen»: Lucian Popescu

Quelle: Tomas Wüthrich
Charme-Offensiven sind im Trend

Lucian Popescu aus Nussbaumen AG kennt Landsleute, die ihre Herkunft aus Scham verschweigen. Der 72-jährige frühere Typograph, schon mehr als sein halbes Leben in der Schweiz, gehört nicht dazu: Er engagiert sich in einem Kulturverein, um Rumäniens positive Seiten nach aussen zu tragen. «Es gibt überall Gutes und Schlechtes. Wir wollen das Gute zeigen, denn das Schlechte kommt von selbst in die Zeitungen.»

Ende November wurde auf der Internetplattform Casa Românilor eine Aktion lanciert, damit sich die Rumänen in der Schweiz im Vorfeld der Freizügigkeitsabstimmung in einem besseren Licht darstellen können. An Ideen mangelt es nicht. So schlägt jemand vor, jeder solle ein Foto schicken, «zu dem er schreibt, was er zum Wohlstand der Schweizer Gesellschaft beiträgt». Derlei Charme-Offensiven sind im Trend. Selbst die rumänische Regierung steckt Millionen in eine PR-Kampagne, um das ramponierte Image des Landes aufzupolieren. Auch die Politiker drängt es in die westlichen Medien, um auf den wirtschaftlichen Aufschwung in der Heimat hinzuweisen, wo es derzeit gegen 200'000 freie Arbeitsstellen gibt.

In Schweden, das die volle Personenfreizügigkeit mit Rumänien kennt, haben sich im letzten Jahr bloss 110 Rumänen niedergelassen. Das Beispiel zeigt: Es ist nicht so, dass alle losrennen, wenn der goldene Westen seine Türen öffnet. «Die meisten Rumänen, die den Wunsch haben, im Ausland zu leben und zu arbeiten, haben diesen Schritt bereits getan», wurde Innenminister Cristian David in der «NZZ am Sonntag» zitiert. Der Satz findet in der Dachwohnung in der Berner Altstadt Zustimmung. «Ohne Not verlässt kein Rumäne seine Heimat, dafür ist ihm sein dortiges soziales Umfeld zu wichtig», meint Cora Saurer Dragos. Ihr Mann Dorin, die eigenen Erfahrungen noch im Kopf, ergänzt augenzwinkernd: «Weshalb sollte jemand freiwillig Schweizerdeutsch lernen?»

Staffellauf der Bösewichte

Laut dem Soziologen Jörg Stolz werden Einwanderer nach einem wiederkehrenden Muster zur Zielscheibe von Überfremdungsängsten: «Das Stereotyp des kriminellen, unzivilisierten, nicht integrierbaren Ausländers wird auf neue Volksgruppen übertragen – wer zuletzt einwandert, wird zum Sündenbock.» Dieses Image verbessert sich dann wieder, wenn die Nachfolgegeneration hier aufwächst und sich gesellschaftlich etabliert. Der Staffellauf der Bösewichte seit Mitte des letzten Jahrhunderts:

  • 1960er-/70er-Jahre: die «Tschinggen». Als Billigarbeiter ins Land geholte Italiener – beschimpft als «Tschinggen» – brachten südländische Lebensgewohnheiten mit, was zum Angriff auf die Schweizer Identität hochstilisiert wurde. Mehrere Volksinitiativen strebten an, die Ausländerzahl zu begrenzen; die «Schwarzenbach-Initiative» von 1970 brachte es auf 46 Prozent Ja-Stimmen. Später wurde die Italianità zunehmend als Bereicherung empfunden.

  • 1980er-Jahre: die Tamilen. Die erste nichteuropäische Immigrantengemeinschaft, geflüchtet vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka, stiess anfangs auf offene Ablehnung. Die Boulevardpresse zeichnete das Bild der «Heroin-Tamilen in Lederjacken». Die Gastrobranche lernte sie jedoch als willige Angestellte kennen, und zumindest in der Arbeitswelt gelang den Tamilen dank Tugenden wie Fleiss, Pünktlichkeit und Sauberkeit die Integration rasch.

  • 1990er-Jahre: die «Jugos». Die Kriegsflüchtlinge aus dem Balkan wurden, obwohl verschiedenen Völkern und Religionen angehörig, in einen Topf geworfen: der «Jugo» – verschlagen, egoistisch, gewalttätig. Durch neue Stereotype wie jene des skrupellosen Rasers steigt die Akzeptanz nur langsam. Doch die Fronten weichen auf – symbolisch: Heute prägen Junge aus der Nachfolgegeneration die Schweizer Fussball-Nati.

  • Seit 2000: Multikulti. Zusätzlich wird das Sündenbock-Etikett heute kleineren Kolonien angehängt: etwa aus afrikanischen oder osteuropäischen Staaten oder – spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 – auch nichtchristlichen Gruppen wie Muslimen.
Personenfreizügigkeit: Bleiben darf nur, wer Arbeit oder Geld hat

Am 8. Februar 2009 nimmt das Schweizer Stimmvolk zum dritten Mal zum Freizügigkeitsabkommen mit der EU Stellung. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was wurde mit der ersten Volksabstimmung beschlossen?
Am 1. Juni 2002 wurde die Personenfreizügigkeit mit den 15 (alten) EU-Staaten Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Spanien, Portugal, Grossbritannien, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Griechenland eingeführt. Bis am 1. Juni 2007 galten Inländervorrang und Kontingente. Seither gilt die uneingeschränkte Personenfreizügigkeit (ebenso mit den Efta-Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein).

Was bedeutet «uneingeschränkte Personenfreizügigkeit»?

EU-Bürger erhalten generell eine Aufenthaltsbewilligung, sobald

  • ein gültiger Arbeitsvertrag vorliegt;
  • jemand selbständigerwerbend ist (Kontrolle durch Schweizer Behörden);
  • Nichterwerbstätige genügend finanzielle Mittel für ihren Lebensunterhalt haben (Kontrolle durch Schweizer Behörden).


Was änderte nach der zweiten Abstimmung?
Am 1. April 2006 wurde die Personenfreizügigkeit auf Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, Malta und Zypern ausgedehnt. Für diese Länder gelten bis 2011 Inländervorrang und Kontingente, bei Bedarf bis 2014. Ausnahme: uneingeschränkte Freizügigkeit für Malta und Zypern.

Um die Zulassung von Arbeitskräften zu steuern, gelten Inländervorrang und Kontingente – was bedeutet das?

  • Der Inländervorrang verpflichtet Schweizer Firmen, zuerst im Inland und in der (alten) EU suchen zu müssen, bevor sie jemanden zum Beispiel aus Slowenien anstellen dürfen.

  • Kontingente beschränken die Zuwanderung von Arbeitskräften auf festgelegte Höchstzahlen, die pro Jahr und Land verbindlich sind.


Worum gehts bei der Vorlage vom 8. Februar?
Zwei Bundesbeschlüsse sind in einer Abstimmungsvorlage zusammengefasst:

  • Weiterführung der Personenfreizügigkeit insgesamt und auf unbestimmte Zeit; ursprünglich wurde das Abkommen nur für sieben Jahre abgeschlossen. Künftig wäre eine Kündigung des Abkommens jederzeit möglich. Und kommen neue EU-Länder hinzu, könnte das Volk darüber erneut abstimmen.

  • Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien mit folgenden Beschränkungen während sieben Jahren: Inländervorrang; Kontrolle der orts- und berufsüblichen Arbeits- und Lohnbedingungen; jährlich steigende Kontingente an Aufenthaltsbewilligungen von 684 auf 1207 und an Kurzaufenthaltsbewilligungen von 6355 auf 11'664 für beide Länder zusammen. Bei Bedarf können die Kontingente bis 2019 angewendet werden.


Was, wenn die Konjunktur nachlässt?
Das Bundesamt für Migration (BFM) geht davon aus, dass sich Rumänien und Bulgarien bis zum Wegfall der Kontingente und des Inländervorrangs in spätestens zehn Jahren wirtschaftlich gut entwickeln. Zudem sind EU-Bürger laut BFM weniger gefährdet, arbeitslos zu werden, weil siein der Regel jünger und gut qualifiziert sowie mobil sind. Auch ist die Rückwanderungsquote relativ hoch (im Durchschnitt der letzten Jahre über 50 Prozent). Bei schlechter Konjunktur dürfte deshalb ein gewisser Anteil der Zugewanderten die Schweiz wieder verlassen.

Was aber klar ist: EU-Arbeitnehmer haben Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach einer Beitragszeit von einem Jahr.

(Text: Verena Walther)