Roberto Gasser hält sich im Hintergrund, als Delfintherapeutin Graciella Bianca das neue Winterprogramm des Conny-Land vorstellt. Mit gespreizten Beinen steht der Juniorchef da, die Arme hinter dem Rücken. Nur als sich Bianca für den Chlorgeruch im Kuppelzelt entschuldigt, verzieht er missbilligend den Mund. Entsprechend schnell reagiert Bianca: «Verglichen mit dem Gift in den Meeren ist das Wasser hier besser.»

Die fünf Delfine des Conny-Land kreisen im Bassin, vor der Kulisse eines gemalten Palmenstrands. Seit Anfang Dezember betreut Bianca im Delfinarium bei Lipperswil Gruppen von jeweils 15 Kindern. Einzelne dürfen ins Wasser, andere spielen mit den Tieren. «Die Delfine haben eine Message an uns», erklärt Bianca. Inhalt der Botschaft: «Wir sind schuld, dass es den Delfinen in Freiheit so schlecht geht.» Preis dieser Message pro Kind: 120 Franken.

«Das Delfinarium gehört weg»
Allerdings ist es fraglich, ob es den Tieren im Bassin des Conny-Land tatsächlich besser geht als in den Weiten der Ozeane. Noëlle Delaquis, tätig bei der Arbeitsgruppe zum Schutz der Meeressäuger (ASMS) und aktivste Schweizer Kämpferin für die Belange der Delfine, steht jedenfalls mit Conny Gasser und seinem Sohn Roberto seit Jahren im Dauerstreit. Delaquis’ erklärtes Ziel: «Das Delfinarium gehört weg.» Auch das Gehege mit den Seelöwen sollte ihrer Meinung nach geschlossen werden. Weil ihr aufgrund eines Hausverbots der Zugang ins Innere der Anlage verwehrt ist, fehlten Delaquis bis anhin allerdings die harten Beweise für die Zustände im letzten Delfinarium der Schweiz. Nun hat sie unerwartet Unterstützung erhalten.

Knapp fünf Jahre stand Sigi Clemens als Werbe- und Organisationsleiter in den Diensten der Familie Gasser; seine Visitenkarte zieren noch immer zwei Delfine. Doch kurz vor Weihnachten 1999 kam es zum Bruch. Er sei freiwillig gegangen, sagt Clemens; man habe ihn «fristlos» entlassen, erklärt Seniorchef Conny Gasser.

Clemens bezeichnet Vater und Sohn Gasser zwar weiterhin als «hervorragende Geschäfts- und Showleute», denen es gelingt, jährlich rund 350'000 Besucher ins Thurgauische zu locken – doppelt so viele, wie der Nationalpark zählt. Aber für die Tierhaltung im sogenannten Vergnügungspark findet der ehemalige Gasser-Vertraute inzwischen nur noch eine Bezeichnung: «Das ist eine Tragödie.»

Brutale Erziehungsmethoden
An Beweisen für diese Aussage fehlt es nicht. Beispiel Delfintrainer: Für die Jahre 1998 und 1999 hatten Vater und Sohn Gasser einen Mann aus Spanien geholt, der als Star der Branche galt, seine Erfolge aber mittels eines gewaltsamen Erziehungsstils erzwang. «Es war im ganzen Conny-Land bekannt, dass er mit Füssen auf die Delfine losging, wenn sie nicht gehorchten», sagt Clemens. Er ärgert sich vor allem über die Tatenlosigkeit seiner Arbeitgeber: Nichts hätten sie unternommen, um die Quälerei zu unterbinden.

Auf der Homepage des Parks war damals die Rede von der «besten Delfin-Show der Welt». Die «Schützlinge» des Trainers könnten es kaum erwarten, bis er die Handzeichen gebe und sie «noch mehr als bisher zu Höchstleistungen» animiere – für Clemens ein unfassbarer Widerspruch.

Er ist nicht der einzige Zeuge. Janusz Chlopicki, in Polen zu Hause, arbeitete sieben Jahre in Lipperswil: «Es war normal, dass dieser Trainer auf die Delfine losging. Alle wussten es.» Mehrfach habe er ihn die Tiere misshandeln sehen. Chlopicki ist im Juni dieses Jahres nach Hause zurückgekehrt. Sein Kollege Tomas Havarik, der das Conny-Land bereits Ende 1999 verliess, bestätigt die Beobachtungen: «Ich habe hier Dinge erlebt, die ich in meinem ganzen Leben nie zu sehen hoffte.» Havarik blieb nur eine Saison lang, als Tierpfleger und Mitarbeiter der Delfinshow. Dann kehrte er zurück nach Ungarn. Den Umgang mit den Tieren bezeichnet er als «Katastrophe». «Ich bereue es zutiefst, je im Conny-Land gearbeitet zu haben.»

Tatenlosigkeit wirft Clemens seinem ehemaligen Arbeitgeber in einem weiteren Punkt vor. Mindestens zwei Mal hat Clemens frühmorgens beim Gang durch die Anlage festgestellt, dass ein Delfin in der Nacht aus dem Bassin gesprungen war, auf den Beton der Umrandung «knallte» und nicht mehr ins Wasser zurückfand. Bauliche Massnahmen oder eine regelmässige Kontrolle in der Nacht seien zwingend nötig. «Die Delfine lagen jeweils hilflos da – eine lebensgefährliche Situation.»

Zum selben Schluss kommt Janusz Chlopicki, der früh am Morgen «immer wieder» Tiere ausserhalb des Beckens entdeckt hat. Manchmal seien die Meeressäuger völlig erschöpft gewesen, und zwar so sehr, dass sie «im Verlauf der nächsten Stunde gestorben wären, hätte ich sie nicht gefunden». Doch passiert sei nichts, sagt Clemens. «Die Gassers sind so gleichgültig.»

Der Grund für die nächtlichen Sprünge liegt für Clemens auf der Hand: «Das Conny-Land verfügt über die weltweit einzige Unterwasserdisco.» Für die Delfine mit ihrem empfindlichen Sonarsystem sei die permanente Geräuschquelle «eine Tortur». Jeden Tag sei das Dancing bis morgens um zwei Uhr geöffnet, weshalb die Tiere «kaum je zur Ruhe kommen». Der damit verbundene Stress ist laut Clemens auch mitverantwortlich dafür, dass in diesem Sommer zwei Delfinbabys gestorben sind.

Ebenso erschreckend ist für Clemens der Umgang der Conny-Land-Besitzer mit den Seelöwen, neben den Delfinen die wichtigste Attraktion des Vergnügungsparks. Clemens: «Was ich hier gesehen habe, werde ich nie vergessen.»

Am 24. November 1995 erhielt er einen Anruf: Auf der A7 bei Frauenfeld habe ein Transporter des Conny-Land soeben einen Seelöwen verloren. Am Telefon war Peter Stocker aus Kreuzlingen, der direkt hinter dem Lieferwagen gefahren war: «Bei Tempo 80 bis 100 öffnete sich die Hecktür. Das Tier schlug auf dem Asphalt auf und überkugelte sich mehrmals.» Dann sei es mehr oder weniger unverletzt aufgestanden, und der Fahrer habe es wieder eingefangen. «Als wenig später die Medien anriefen, habe ich als PR-Mann der Gassers natürlich alles abgestritten. Aber tatsächlich hat es sich so ereignet», sagt Clemens heute. Fahrer des Transports war Roberto Gasser. «So etwas», findet Clemens, «darf einfach nicht passieren.»

Dann verdichteten sich Gerüchte, die die Angestellten bereits seit längerem diskutierten. Wenn Roberto Gasser schlecht gelaunt sei, lasse er seine Stimmung an den Tieren aus. Eines Tages erhielt Clemens den Beweis dafür. Er beobachtete, wie der Juniorchef mit einem Besenstiel auf die Flossen des Seelöwen Adolph einschlug – «auf die sensibelste Stelle des Tiers».

Zur Strafe in den Transportwagen
Einige Zeit später ertappte Clemens den jungen Gasser wieder. Als sich das Tier dann rächte und Roberto Gasser beim Training biss, «und zwar sehr kräftig», zeigte der Schausteller, wie er mit missliebigen Tieren umgeht. «Gasser verbannte Adolph in den Transportwagen, mit einem Wasserbecken, kaum grösser als eine Badewanne.» Hier sei der Seelöwe «wochenlang» geblieben, ohne Beschäftigung. «Das war knallharte Isolationshaft.»

Adolph, über viele Jahre nicht nur Star im Conny-Land, sondern auch zu Showeinlagen missbraucht wie einem Boxkampf gegen Stefan Angehrn, ist 1999 gestorben. «Altershalber», erfahren Besucher des Conny-Land, wenn sie an der Kasse nachfragen. «Nein», sagt Janusz Chlopicki. «Adolph ist eine Treppe hinuntergefallen.» Drei Monate danach sei das 310 Kilo schwere Tier den Spätfolgen erlegen.

Der ehemalige Pfleger Tomas Havarik verweist schliesslich auf den wohl tragischsten Umstand im Leben der Conny-Land-Tiere: «Drei der insgesamt elf Seelöwen haben weisse Augen. Sie sehen schlecht oder sind bereits blind.» Traurig sei es, mit anzusehen, wie die Tiere herumtappen. Als Ursache vermutet Havarik eine zu tiefe Salzkonzentration des Wassers. Georg Müller, für das Conny-Land zuständiger Tierarzt, bestätigt dies: «Die Tiere leiden tatsächlich an einer Trübung der Hornhaut. Die Gründe dafür sind unbekannt.» Dass die Anlage trotz offensichtlichem Leiden der Tiere nicht geschlossen wird, kann Havarik nicht verstehen: «Die Tiere gehören weg. Das ist ihre einzige Rettung.»

Conny Gasser, Seniorchef des Vergnügungsparks, bestreitet sämtliche gegen sein Unternehmen erhobenen Vorwürfe. «Mit Nachdruck» verwehre er sich gegen die Behauptung, Roberto Gasser habe den Seelöwen Adolph geschlagen. Sein Sohn sei «weltweit als Tierlehrer bekannt» und international ausgezeichnet. Auch Misshandlungen, wie dem spanischen Delfintrainer zur Last gelegt, seien «nie» beobachtet worden. Der Trainer sei beruflich sehr erfolgreich. Seelöwe Adolph habe die Hecktür des Transporters selbst geöffnet; darum sei er aus dem Auto gefallen. Die Mechanik sei sofort abgeändert worden. Völlig falsch sei auch der Vorwurf, bei mehreren Seelöwen sei die Sehkraft beeinträchtigt. Nur ein Tier sei betroffen, erklärt Gasser, die «dienstälteste Dame namens Bony». Im Gegensatz zu Tierarzt Georg Müller kennt Conny Gasser auch die Ursache der Trübung: Es sei der graue Star.

Gesetzliche Bestimmungen erfüllt
Und was sagen die Ämter? Thomas Althaus, Artenschutzexperte beim Bundesamt für Veterinärwesen, bezeichnet prinzipielle Einwände gegen Delfinarien, wie sie Noëlle Delaquis äussert, als grösstenteils «unwahr» oder gar «völlig haltlos». Die gesetzlichen Bestimmungen seien in Lipperswil erfüllt, und «emotionelle Argumente» gegen Delfinarien könne man nur «schwer» beurteilen. Von Misshandlungen ist zudem noch nie etwas bis Bern gedrungen.

Ebenso wenig Anlass zu konkreten Be-anstandungen hat Hans Stettler, Chef des Thurgauer Departements für Landwirtschaft und seit der Abwahl des Kantonstierarztes für den Tierschutz verantwortlich: «Ich konnte mich bei mehreren Besuchen im Conny-Land davon überzeugen, dass es an der Tierhaltung nichts auszusetzen gibt.» Allerdings schränkt er ein: «Was in der Zeit zwischen meinen Besuchen passiert, kann ich nicht beurteilen.»