«Täglich melden sich bei mir Mütter, die keinen Kinderarzt finden», sagt Attila Molnar. Er hat in Zürich eine Notfallpraxis für Kinder aufgebaut. Eigentlich wollte er Kindern helfen, deren Arzt gerade keine Zeit hat. Doch heute ist es an manchen Orten schwieriger, einen Kinderarzt zu finden als einen Krippenplatz.

Die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) schlägt Alarm. «Kinder brauchen eine auf sie zugeschnittene Medizin, sie sind nicht einfach kleine Erwachsene», sagt Peter Jenny, der Kinderarzt in Altstätten SG ist und im SGP-Vorstand sitzt. «Es ist gefährlich, wenn ein Kind keinen Kinderarzt hat», sagt auch Molnar. Gerade bei den Kleinen sei es entscheidend, die Krankengeschichte zu kennen, um Akutsituationen zu erfassen und die Entwicklung zu verfolgen: «Rutscht ein Kind auf den Wachstumskurven nach unten, merke ich das nicht, wenn ich es nur einmal sehe.»

Eine teure Spital-Hotline als Notlösung

Dass es zu wenig Pädiater gibt, bekommen auch die Kinderspitäler zu spüren. Das Universitäts-Kinderspital beider Basel musste Anfang Dezember die Notbremse ziehen. Bis zu 90 Anrufe gingen dort täglich ein – die Wartezimmer waren schon voll. Nun gibt es eine Hotline für besorgte Eltern. Sie kostet Fr. 3.23 pro Minute – ebenso wie jene des Kinderspitals Zürich, das eine solche Notfallnummer schon vor einiger Zeit eingerichtet hat.

«Kinderärzte tragen eine grosse Verantwortung», sagt Kinderarzt Peter Jenny. Trotzdem sei ihr Ansehen in den letzten Jahrzehnten gesunken – und damit auch die Bezahlung. Laut der Standesorganisation FMH beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen 173'000 Franken, während andere Spezialisten etwa das Doppelte verdienen. «Gleichzeitig ist der Job sehr anspruchsvoll», erklärt Peter Jenny. «Denn der Arzt muss jeweils nicht nur das kranke Kind behandeln, sondern sich immer auch mit den Eltern auseinandersetzen.»

Es gibt in der Schweiz heute zwar in absoluten Zahlen mehr Kinderärzte als noch vor zehn Jahren. Doch regional existieren grosse Unterschiede, und die Zahlen sind laut Experten irreführend: Nicht erfasst sind die tatsächlichen Prozentwerte, zu denen jemand arbeitet. Der Frauenanteil bei den Kinderärzten stieg in den letzten zehn Jahren an – viele arbeiten Teilzeit. Attila Molnar nennt ein aktuelles Beispiel: Ein Kinderarzt in Wallisellen suchte Nachfolger. Drei Frauen haben seine Praxis in Teilzeitpensen übernommen. Die Statistik weist so zwei Ärztinnen mehr aus, faktisch führen drei die Praxis eines Arztes weiter.

Peter Jenny setzt auf die Initiative «Ja zur Hausarztmedizin», mit der die Position von Haus- und Kinderärzten gestärkt werden soll. «Als erster Schritt müssen die Löhne steigen», sagt er. Das Problem werde sich in den nächsten Jahren verschärfen. «Im Kanton Zürich sind viele Kinderärzte über 50», so Attila Molnar. Schon heute sei es schwierig, Nachfolger zu finden.

«Würde gern Schweizer einstellen, aber...»

Das Parlament bearbeitet zurzeit die Hausarzt-Initiative. Der Bundesrat lehnt sie ab, hat als Alternative aber den Masterplan «Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung» lanciert. Damit sollen kurzfristig Gelder fliessen, um die Hausarzt- und Kindermedizin an den Universitäten zu fördern. Ausserdem will das Bundesamt für Gesundheit das Ärztetarifsystem Tarmed überarbeiten, um so die Haus- und Kinderärzte besser zu entlöhnen.

Bei Attila Molnar arbeiten fünf Kinderärzte – vier von ihnen sind Deutsche. «Ich würde gerne Schweizer einstellen», sagt der Chef, «nur gibt es keine.»

Kein Kinderarzt – was tun?

Eltern, die keinen Kinderarzt finden, sollten sich in den benachbarten Regionen umsehen. Wenn das nichts bringt, kann ein Hausarzt mit Zusatzwissen in Kindermedizin helfen. Und falls man doch in eine Notfallstation muss, sollte man den behandelnden Arzt möglichst präzis über die Vorgeschichte des Kindes informieren.