Tamer* nippt an seinem Mineralwasser und lächelt. Er wirkt befreit. «Es ist gut, wieder hier zu sein», sagt der 21-Jährige. «Es ist gut, endlich diese Sorgen nicht mehr zu haben, die Ungewissheit, ob und wann ich heimkehren kann.» Tamer, Sohn eines ägyptischen Vaters und einer Schweizer Mutter, ist seit wenigen Tagen zurück in Zürich. Drei Monate lang sass er in Ägypten fest, weil ihn die Behörden nicht gehen liessen. Dass die Ausreise nun doch geklappt hat, war wohl pures Glück – ein nicht ganz so strenger Zollbeamter an einem nicht ganz so stark frequentierten Flughafen. Die Mutter war dabei, vielleicht hat das auch geholfen.

Die Mutter erwartete ihn

Rückblende: Ende April, ein heisser Tag in Kairo. Tamer fährt mit seinem Vater zum Flughafen. Er hat ein halbes Jahr in dessen Herkunftsland verbracht, Arabisch gelernt, ist viel gereist. Nun steht die Rückreise in die Schweiz an, in seine Heimat – seine Mutter erwartet ihn bereits, der Vater wird noch eine Weile bei den Verwandten bleiben.

«Es muss einem doch jemand von einer Schweizer Behörde zur Seite gestellt werden.»

Mutter von Tamer

Doch der Grenzbeamte am Flughafen sieht nur Tamers dunkle Hautfarbe und seinen arabischen Namen im Schweizer Pass. Er fragt nach den ägyptischen Papieren. Tamer, eingeschüchtert, wiederholt ständig, er habe nur einen Pass, diesen roten mit dem kleinen weissen Kreuz darauf, einen anderen habe er nie besessen. Doch der Beamte bleibt stur: Er schickt Tamer zurück, lässt ihn nicht ausreisen. Tamer ruft seinen Vater an, sagt, er könne ihn wieder am Flughafen abholen. Er scherzt: «Mir gefällts hier so gut, ich bleibe noch eine Weile.»

Als sich die Geschichte am nächsten Tag wiederholt, verliert er die Lust am Scherzen. Dafür dämmert ihm langsam, in welch unmögliche Situation er geraten ist. Denn in seinem Schweizer Pass befindet sich unter dem ägyptischen Einreisestempel ein handschriftlicher Vermerk, der festhält, dass Tamer Sohn eines Ägypters ist. Der junge Schweizer hat nie darauf geachtet; er war schon oft auf Verwandtenbesuch am Nil, und jedes Mal haben die Zöllner den Vermerk von der vorherigen Einreise bemerkt und erneut in den Pass gekritzelt. Grundsätzlich ist das für ihn ja auch eine praktische Sache: Der ägyptische Staat bevorzugt so die Kinder von ägyptischen Vätern bei der Einreise – sie können sich bis zu einem halben Jahr ohne Visum im Land aufhalten.

Doch Tamer hat das halbe Jahr um ein paar Tage überschritten. Darum scheinen ihn die lokalen Behörden auf einmal als einen ihrer Staatsbürger anzusehen, der zuerst seine ägyptischen Papiere in Ordnung bringen muss, bevor er ausreisen darf. Und da er keine ägyptischen Papiere hat, muss er sie eben erlangen. Sprich: Er muss sich gegen seinen Willen in Ägypten einbürgern lassen.

Amt um Amt abgeklappert

Tamer erfährt das alles stückweise, als er mit seinem Vater in Kairo Ministerien und Ämter abklappert, Stunden in stickigen Warteräumen verbringt. Er erfährt dabei auch, dass er in Ägypten militärdienstpflichtig sein soll. Tamer schüttelt den Kopf, wenn er an den Offizier denkt, der ihm dies mitgeteilt hat. «Militärdienst in einem Land, in dem die Lage derart angespannt ist? Keine angenehme Aussicht.» Die Schweizer Botschaft in Kairo ist ihm keine Hilfe. «Ich schilderte dort, was mir passiert war», sagt er. «Doch ich erhielt bloss die Antwort: ‹Wenn das so ist, müssen Sie tun, was die Ägypter sagen.›»

In der Schweiz reagiert Tamers Mutter noch am Tag der ersten gescheiterten Abreise. Auch sie kontaktiert die Botschaft in Kairo, meldet sich beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), doch auch sie muss feststellen: Niemand fühlt sich offenbar für den Fall zuständig. Die ägyptische Botschaft in Bern ist ebenfalls keine Hilfe: «Keiner auf der ägyptischen Botschaft hat verstanden, warum Tamer nicht ausreisen durfte.»

Die Mutter, zunehmend in Sorge um ihren Sohn, lässt nicht locker. Sie telefoniert, baut Kontakte auf. Fliegt schliesslich gar nach Kairo, um den dortigen Behörden Dokumente abzuliefern, die die Schweizer Staatsbürgerschaft ihres Sohnes belegen: Familienbüchlein, Auszug aus dem Geburtsregister, Aufgebot zur Rekrutierung in der Schweiz.

«Da ist man schnell ruiniert»

Doch statt dem kafkaesken Treiben ein Ende zu setzen, bestehen die lokalen Behörden darauf, dass die Papiere alle von der Schweizer Botschaft abgestempelt werden. Diese weigert sich zuerst und lenkt erst ein, als sich auf wiederholtes Drängen von Tamers Mutter das EDA einschaltet; allerdings zum Preis von 40 Franken pro Stempel. «Wenn man alle Dokumente drei- bis vierfach stempeln und beglaubigen lassen muss, ist man schnell ruiniert», sagt Tamers Mutter. Denn die ägyptische Botschaft in Bern hat die Dokumente ebenfalls schon abgestempelt – für bis zu 75 Franken pro Dokument und Seite. Rund 2000 Franken gibt die Familie für Dokumente und amtliche Stempel aus.

«Die beiden Parteien mussten eine Lösung finden. Die Schweiz konnte nicht intervenieren.»

Pressestelle des EDA

Das EDA gibt sich in dieser Angelegenheit wortkarg. Auf Anfrage des Beobachters bestätigt es lediglich, Tamers Fall zu kennen und dem jungen Mann «konsularische Dienstleistungen» geboten zu haben. Weitere Angaben zu seinem Fall oder zu ähnlichen Fällen könne man aufgrund des Persönlichkeits- und Datenschutzes nicht machen, so Mediensprecher Stefan von Below. Er betont, dass die Schweizer Botschaft die Souveränität des Landes zu respektieren habe. Es handle sich bei der Geschichte um «eine rechtliche Angelegenheit zwischen dem Betroffenen und den Behörden seines zweiten Heimatstaats». Daraus geht hervor: In den Augen der Schweizer Behörden ist Tamer ägyptisch-schweizerischer Doppelbürger. Wie das EDA darauf kommt, behält es für sich. Auch die Frage, ob man ganz allgemein keine Hilfe erhält, wenn einen die Feriendestination unerwartet als eigenen Bürger und potenziellen Soldaten sieht, bleibt unbeantwortet.

Und während die ägyptische Bürokratie ein unheimliches Eigenleben entwickelt, stehen Tamer und seine Familie ohne Unterstützung da. «Ich fühlte mich alleingelassen», sagt die Mutter des jungen Mannes. Die Familie gesteht den eigenen Fehler ein: «Es stimmt, dass Tamer zu lange im Land geblieben ist. Wer zählt denn schon die Tage beim Buchen des Flugs?» Doch für die Mutter ist es unbegreiflich, dass man sie von Schweizer Seite dann einfach alleingelassen hat: «Es muss einem doch jemand von einer Schweizer Behörde zur Seite gestellt werden», nicht unbedingt, um die eigenen Fehler auszubügeln, aber um aufzuklären, wo man stehe und welche Möglichkeiten man habe. Nach zwei Monaten des Bohrens gab es immerhin einen regelmässigen Kontakt zum EDA, der allerdings wenig bewegen konnte.

Disput zwischen Ägypter und Ägypten?

Sowohl Tamer als auch seine Mutter sind sich einig: «Die Schweizer Behörden wollten sich einfach raushalten.» So sei es diesen gelegen gekommen, Tamer ebenfalls als Doppelbürger zu bezeichnen und die ganze Geschichte zu einem «Disput zwischen Ägypter und Ägypten» zu erklären, in den man sich nicht einmischt. Bei der Pressestelle des EDA weist man den Vorwurf der Bequemlichkeit von sich, verweist auf die 50000 Anfragen, die jährlich über die Helpline bearbeitet werden, und schreibt: «Die beiden Parteien mussten eine Lösung finden. Die Schweiz konnte in dieser Sache nicht intervenieren.»

Die Sache ist für Tamer nun abgehakt. Er blickt nach vorn, und in dieser Zukunft behält auch das Land seines Vaters seinen Platz: Trotz den Mühen wird er es wieder besuchen – dabei aber peinlich genau auf die Formalitäten achten. «Ich werde dann die sechs Monate einhalten.» Er lächelt verschmitzt, als er dies sagt.

*Name geändert