Barbara C. (Name der Redaktion bekannt) erinnert sich an den Tag, als sie aus der psychiatrischen Klinik entlassen wurde. «Plötzlich war ich allein. Ich hielt die innere Leere nicht aus - in der Klinik hatte ich immer jemanden zum Reden gehabt. Wenn ich nicht schlafen konnte, plauderte ich mit der Nachtschwester über Gott und die Welt.»

Ein halbes Jahr lang war Barbara C. vieles abgenommen worden. Dann war sie plötzlich wieder selbst für ihr Leben verantwortlich. Das hiess: Haushalt erledigen, monatliche Ausgaben überblicken, Arzttermine einhalten - trotz Depression. Die 42-Jährige fühlte sich überfordert. Als ihr ein Zeitungsartikel über die psychiatrische Spitex in die Hände fiel, dachte sie: «Das ist genau das, was ich brauche. Jemand, der mir hilft, den Alltag besser zu meistern.»

Inzwischen wird Barbara C. seit drei Jahren regelmässig von Caroline von Sanden aus Meilen ZH betreut. Die freischaffende Psychiatriefachfrau sagt: «Am Anfang stellte ich mit der Patientin regelmässig Tages- und Wochenpläne auf. Darauf stand zum Beispiel: Montag Wäsche waschen, Dienstag einkaufen, Mittwoch Spaziergang am See.» Der verbindliche Wochenplan gab Barbara C. Halt. So wie ihr geht es etlichen Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen. Die fixen Termine in der Agenda helfen den Patienten enorm, morgens überhaupt aus dem Bett zu kommen.

Betreuerin muss auch Grenzen setze
Regelmässige Unterstützung im Alltag erhöht die Lebensqualität von psychisch kranken Menschen. Caroline von Sanden beschreibt ihr vielseitiges Tätigkeitsfeld: Mal übt sie mit einer Patientin, die eine Angsterkrankung hat und sich nicht mehr aus dem Haus traut, das Busfahren. Ein andermal erklärt sie einem schizophrenen Patienten, weshalb es wichtig ist, dass er seine Medikamente regelmässig einnimmt. Zudem ist sie oft als Vermittlerin tätig - zum Beispiel wenn es darum geht, Konflikte mit dem Ehepartner oder Angehörigen zu entschärfen. Sie lege viel Wert auf die Zusammenarbeit mit Angehörigen, Hausärzten und Psychiatern, betont sie.

Nicht zur psychiatrischen Pflege gehören Putzarbeiten. Ist dem Patienten die Hausarbeit über den Kopf gewachsen, klärt von Sanden ab, ob er externe Hilfe benötigt. Manchmal brauchen psychisch beeinträchtigte Menschen auch einfach etwas organisatorische Unterstützung, damit sie wieder allein zurechtkommen.

Die Betreuung zu Hause erfordert Fingerspitzengefühl. Die Pflegefachpersonen sehen nicht selten Dinge, die der Patient seinem Psychotherapeuten verschweigt. «Ich habe schon erlebt, dass ein Patient seinem Psychiater versicherte, dass er mit dem Haushalt klarkomme. Als ich ihn dann zu Hause besuchte, stellte ich fest, dass die Wohnung völlig verwahrlost war», so Caroline von Sanden. Es gebe aber auch Patienten, die sich unterschätzten und sich zu wenig zutrauten.

Für Barbara C. hingegen war nicht der Haushalt das grösste Problem, sondern die innere Anspannung und die Einsamkeit. Sie verspürte einen enormen Drang, alles, was sie belastete, sofort loszuwerden. Sie rief ihre Betreuerin mehrmals täglich an - bis die Pflegefachfrau ihr klarmachte, dass das nicht drinliegt. Fortan durfte Barbara C. nur noch zweimal pro Woche anrufen und musste sich an die festgelegten Telefonzeiten halten.

Resultat: weniger Klinikaufenthalte
«Das Ziel ist, dass die Patienten lernen, selber zurechtzukommen», erläutert Caroline von Sanden. «Ich sehe mich als Überbrückungshilfe.» Die Pflegerin achtet darauf, dass sie ihren Patienten keine Aufgaben abnimmt, die sie selbst erledigen können. «Das wäre kontraproduktiv.» Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist es, das Selbstbewusstsein der Patienten zu stärken und brachliegende Ressourcen zu aktivieren.

Zuweilen können dank der psychiatrischen Spitex sogar Rückfälle oder Klinikaufenthalte vermieden werden. Barbara C. jedenfalls ist überzeugt, dass sie ohne die Spitex schon längst wieder in der «Psychi» wäre. In den letzten drei Jahren ist die Zürcher Oberländerin, die insgesamt fünf Jahre ihres Lebens in Kliniken verbrachte, wesentlich selbständiger geworden. Sie hat gelernt, unangenehme Situationen auszuhalten, und greift nicht mehr bei jedem Problem zum Telefon. «Ich traue mir selbst etwas zu», sagt sie stolz. «Es tut mir gut, Verantwortung zu übernehmen.»

Leistungen werden von der Krankenkasse übernommen
Damit Leistungen der psychiatrischen Spitex von der Grundversicherung der Krankenkasse bezahlt werden, muss eine ärztliche Verordnung vorliegen. Die Patienten können von der Gemeindespitex betreut werden (sofern sie eine Pflegefachperson mit psychiatrischer Ausbildung beschäftigt) oder von freischaffenden Psychiatriepflegefachleuten. Die Nachfrage nach ambulanten «Psychiatrieschwestern» stieg in den letzten Jahren stark.