Auf den Knien wühlt Melanie Gasser in einer Kiste, die am Stand Nummer 88 steht, und sucht nach jenem Ding, das ihren Tag perfekt machen würde. «Ein Oberschenkelholster für meinen Revolver», sagt sie mit geröteten Wangen. Die 18-Jährige ist aus Escholzmatt LU angereist und konnte sich bereits kurz nach Eröffnung der Waffensammlerbörse auf der Allmend Luzern einen Traum erfüllen: Sie hat «eine Smith&Wesson, Modell Lady-Smith» reservieren lassen, der Preis bleibt ihr Geheimnis. «Ich schiesse sehr gern», sagt die zierliche Frau. «Ich habe einen Jungschützenkurs gemacht und einen Karabiner gekauft; mich fasziniert dieser Sport.»

Damit ist sie nicht allein: Die Schweizer Schützenvereine zählen 160'000 Mitglieder, die Hälfte sind Aktive. Zur Luzerner Messe, die seit 33 Jahren stattfindet, reisen an drei Tagen 11'000 Amateure aus der ganzen Schweiz und dem Ausland an. Auf dem Parkfeld stehen auffällig viele Subarus und Geländewagen, vor der Halle haben sich Wurststände ausgebreitet, drinnen bieten rund 100 Aussteller ihre Waren an, darunter Abzeichen, Bücher, Gürtel, Helme, Uniformen und Gerümpel. Doch vor allem gibt es Waffen jeder Gattung: Sackmesser, Revolver, Säbel, Schrotflinten, Sportwaffen, Luftpistolen, Vorderlader, Sturmgewehre, Jagdgeräte und, und, und.

Wie halten Sies mit der Dienstwaffe?
Das Schweizer Volk und seine Waffen: ein heikles Thema. Für das Lager der Fans bedeutet Waffenbesitz ein fundamentales Bürgerrecht, das der Staat nicht antasten soll. Die Gegner wiederum sehen in einer zu liberalen Gesetzgebung ein grosses Gefährdungspotential. Erst kürzlich, Mitte März, gingen in Bern wieder die Wogen hoch, als das Parlament über die Revision des Waffengesetzes debattierte und die Frage stellte, ob Schweizer Soldaten ihre Dienstwaffe weiterhin zu Hause haben sollen. Exakt einen Tag zuvor hatte ein 29-jähriger Mann aus Chur seine Freundin mit dem Sturmgewehr erschossen. Der neuste Fall ereignete sich Mitte April: In Baden AG lief ein 26-Jähriger Amok und tötete einen Passanten, vier Personen wurden teils schwer verletzt.

Josef Thalmann ist zusammen mit der Clique von Melanie aus dem Entlebuch angereist. Der 22-Jährige aus Flühli gesteht: «Die Sammlerbörse ist für mich wie Weihnachten, Geburtstag, Ostern und Neujahr zusammen.» Der Bauarbeiter hat für diesen Tag eigens Urlaub beantragt, und er hat bereits frühmorgens einen Revolver für 1100 und eine Pistole für 1700 Franken gekauft. «Das ist es mir wert, es macht mir Freude.» Die Frage der Ordonnanzwaffe geht er differenziert an: «Wer das Gewehr nicht heimnehmen will, für den muss man eine andere Lösung finden. Denn es ist wegen der Unfallgefahr doch recht riskant, einen Vollautomaten nach Hause zu geben.»

Total 280'000 Gewehre und Pistolen haben die aktiven Angehörigen der Armee zu Hause stehen, zudem befinden sich über anderthalb Millionen Militärwaffen in Privatbesitz. Diese Waffen kommen nicht selten bei Selbstmorden zum Einsatz: Von den jährlich rund 1500 Suiziden werden gegen 300 mit Militärwaffen verübt; auch Amokläufer greifen manchmal zu Sturmgewehr oder Dienstpistole. Rechnet man die Militärwaffen zusammen mit den unzähligen Sammler- und Jagdflinten, ergibt dies eine bis an die Zähne bewaffnete Schweiz: In 36 Prozent aller Haushalte steht mindestens ein Gewehr.

Souvenirs aus dem Dritten Reich
Wenigstens die Armeewaffen sollten künftig im Zeughaus bleiben, fordern besorgte Kreise seit Jahren. Das Parlament entschied anders, an der Heimabgabe der Ordonnanzwaffe wird nicht gerüttelt. Die SP, die Grünen, die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee und weitere Verbände wollen eine Volksinitiative lancieren, um die Armeewaffen doch noch aus den Haushalten zu verbannen. Eine Petition der «Annabelle» mit demselben Ziel brachte letztes Jahr 17'400 Unterschriften.

Peter Kunz aus Schaffhausen sitzt am Stand 111 und nimmt Vorbestellungen für sein neues Buch entgegen - Titel: «Die Geschichte der Feuerwaffen bis zum 19. Jahrhundert». Zufällig sei er zu seinem Hobby gekommen, sagt der 70-jährige Ingenieur, auf einem Flohmarkt habe er seine erste Waffe erstanden. Bald spezialisierte er sich auf Nachbau und Restaurierung historischer Feuerwaffen. So hat er eine Büchse aus der Zeit um 1470 nachkonstruiert. Er besitzt über 100 Trouvaillen. Früher, sagt Kunz mit leiser Stimme, habe er für die Kinder Modelleisenbahnen gebaut. Als sie erwachsen wurden, habe er etwas Neues gebraucht: «In der Werkstatt konnte ich immer am besten zur Ruhe kommen.»

Seit 18 Jahren restauriert der Rentner nun Schiesseisen und investiert dafür unzählige Stunden. Aufwendig sei etwa das Herstellen der Munition; Kunz giesst die Bleikugeln selbst und führt dann Versuche in einem Schiessstand durch. Und die Heimabgabe der Ordonnanzwaffe? «Ich fände es falsch, wenn der Soldat seine Waffe nicht mehr nach Hause nehmen könnte. Aber ich hätte Verständnis, wenn man ihm keine Munition mehr abgeben würde.»

Waffe ja - Munition nein: Die Waffenbörse ist eine stete Gratwanderung. Direkt neben dem lärmigen Luftgewehrstand hat eine Hörgerätefirma ihren Platz, zwischen den vielen Gewehrläufen gibt es eine Tombola, eine Schuhfettdemonstration, eine Cüplibar, einen Stand der Waffenlobby Pro Tell. Einen rhetorischen Spagat vollzieht Nationalrat Felix Müri (SVP, LU), der die Börse eröffnet. «Wer zur Milizarmee steht, steht auch zur Waffe zu Hause. Wo der Bürger selber die Waffe bei sich hat, kann man die Waffe nicht gegen das eigene Volk richten.» Und die Suizide und Amokläufe mit Militärwaffen? «Tragisch, aber Einzelfälle», meint Müri resolut. «Das wird von der Presse hochgespielt.»

Einen biographischen Spagat macht Charles Wüest junior von Stand Nummer 47. Der Initiant des Militärmuseums in Kriens LU zeigt Uniformen, Waffen und Militaria von 1860 bis heute - obwohl er selbst nie einen Tag Dienst geleistet hat: untauglich. Aber sein Vater war ein glühender Soldat und sammelte alles, was ihm in die Finger kam. Bei Wüest gibt es zum Beispiel die trockenen Militärbiskuits zu erstehen, zum Spülen wird Bier gezapft. Zur Frage der Ordonnanzwaffe meint
Wüest schlüssig: «Man soll die Soldatenwaffe zu Hause haben, denn man hat sie bis jetzt auch immer zu Hause gehabt.»

«Das ist eine schwierige Frage», sagt Felix Germann vom Stand 163, «ich will mich dazu nicht äussern.» Ob die Militärwaffe in den heimischen Kleiderschrank oder ins Zeughaus gehört, lässt der Verkäufer von Westernartikeln aus Oberaach TG lieber offen. An der Börse sehe er viele Stammkunden, das seien «alles nette Leute», es herrsche «eine gute Atmosphäre». Mit Politik hat der ehemalige Gefreite der Luftabwehr nichts am Cowboyhut: «Da habe ich zu wenig Hintergrund.» Zudem macht er sich die Finger nicht mit Waffen schmutzig; er verkauft nur «Gürtel, Schnallen, Hüte und Westernkrawatten».

Heftig ins Feuer redet sich Bernard Stucki, Stand 22. Der Notar und Militaria-Händler aus Moutier BE hat Plakate aufgehängt mit der Schlagzeile: «Schweizer Sammler, an dieser Börse werden Ihre Grundrechte in unverträglicher Weise eingeschränkt!» Stucki, seit über 20 Jahren Stammgast in Luzern, erhielt vom Stadtrat einen Rüffel, denn er hat sich auf Souvenirs aus dem Dritten Reich spezialisiert. Abzeichen, Uniformen, Waffen, Bücher - alles, was das einschlägige Sammlerherz begehrt. Nun ist die Ware offiziell verboten, doch versteckt in der zweiten Reihe erblickt man immer noch dieses und jenes. Jugendliche mit Kurzhaarschnitt schreiten vor dem Stand verstohlen auf und ab. Gegen das Verbot setzt sich Stucki mit einer Petition zur Wehr. «Warum geht die Stadt nicht gegen die Dealer vor, die den Jungen am Bahnhof Drogen verkaufen? Merci, damit ist alles gesagt.»

Kein Freund leiser Töne ist auch Ernst Grenacher, 60, Sammler aus Zürich. An seinem Stand zeigt er Faustfeuerwaffen der Schweizer Armee von 1817 bis heute. Wie viele Waffen er hat, sagt er nicht, aus Angst vor Unannehmlichkeiten. «Obwohl bei mir daheim alles gepanzert ist und die Alarmanlage direkt zur Polizei führt.» Grenacher, von Beruf Gastwirt, wünscht sich ein Recht auf Waffenbesitz in der Bundesverfassung. Und zur drohenden Verbannung der Armeewaffe aus dem Kleiderschrank meint er: «Nie, das würde die Entmachtung des Volkes bedeuten und zum Tod der Milizarmee führen!» Grenacher hat nie Militärdienst geleistet: untauglich.

Dafür machte er als Bub Landdienst, musste bei einem Bauern «chrampfen gehen». In der Stube gab es einen Säbel, der nach den Worten des Landwirts «vom Napoleon» stammte. Dabei war es ein kommunes Schweizer Armeebajonett. Doch das Objekt entfachte Grenachers Leidenschaft. Mit zwölf Jahren ging er an eine Ausmusterung und fragte die Soldaten, ob er ihre Waffe bekommen könne. Drei Gewehre und zwei Revolver waren die Ausbeute, mit der er ins Tram stieg - wo er prompt von der Polizei angehalten wurde. Nach einer Kontrolle setzten die Beamten den Jungen ins Polizeiauto und fuhren ihn nach Hause, wo ihn der Vater mit einer Tracht Prügel empfing. Trotzdem machte Grenacher weiter, legte eine hübsche Sammlung an, spezialisierte sich auf Ordonnanzwaffen. Heute gilt er als Koryphäe; ausgefallene Stücke können Liebhaberpreise bis zu 70'000 Franken erzielen.

Für 540 Franken hat Benjamin Distel eine «Taurus Modell 66, 357 Magnum» gekauft. Der 19-Jährige aus Schüpfheim LU ist der Freund von Melanie und bezeichnet sich als «angefressenen Waffensammler und Pistolenschützen». Die Taurus sei nicht seine erste Waffe, gesteht er verschmitzt. Bereits im Alter von drei Jahren besuchte er die Luzerner Messe, seither hat er keine einzige verpasst. «Und ich komme immer alle drei Tage, Freitag bis Sonntag», sagt er stolz.

«Es hat doch immer funktioniert»
Im Hintergrund tätscht es blechern aus dem Luftgewehrstand des Schützenvereins, vom Restaurant riecht es nach Älplermagronen und Schweinsbraten. Distel, der bald in die Rekrutenschule geht, hat sich auch Gedanken gemacht zur Verbannung von Sturmgewehr und Armeepistole aus dem privaten Heim. Der Kommentar des Entlebuchers: «Es hat doch immer funktioniert bis jetzt. Und daher würde ich es so bleiben lassen.»

Der Badener Amokläufer, offenbar ein verwirrter Mann, hatte mit dem Sturmgewehr 20 Schuss seiner militärischen Taschenmunition abgefeuert - die restlichen 30 Patronen hatte er zum Glück in der Wohnung gelassen.