Am 12. April rennt ein 16-Jähriger in Olten über eine Strasse und zwingt damit einen Autofahrer zum Abbremsen. Die Fahrzeuginsassen geraten derart in Rage, dass sie aussteigen und Pascal Kunz* verprügeln. Der Jugendliche verliert vorübergehend das Gehör, hört wochenlang schlecht und hat Kieferschmerzen.

Als er auf dem Polizeiposten Olten Anzeige erstatten will, wimmelt man ihn zuerst ab. Er könne seine Behauptungen nicht belegen. Dabei kennt Pascal Kunz die Autonummer und hat die Natelnummern von drei Personen, die den Tatablauf bezeugen. Deshalb geht er drei Tage später nochmals auf den Posten und reicht Strafanzeige ein.

Nach sechs Wochen schreibt ihm die Solothurner Staatsanwaltschaft, er müsse innert zehn Tagen 600 Franken «Prozesskostensicherheit» leisten – sonst werde der Fall zu den Akten gelegt.

Strafrechtliche Untersuchung nur gegen Vorauskasse? «Das geht doch nicht!», protestiert Kunz Mutter. «Wir zahlen doch alle Steuern – auch dafür, dass der Staat Strafdelikte aufklärt.»

Im Kanton Solothurn gelten andere Regeln. Bei einfacher Körperverletzung wird in der Regel ein Kostenvorschuss verlangt. «Da herrscht eine strenge Praxis», bestätigt der Solothurner Staatsanwalt Toni Blaser. Auch bei solchen Delikten wolle man, dass die Parteien das Problem in erster Linie untereinander regeln und nicht sofort den Staat einschalten. Wie der 16-Jährige den Konflikt mit solch brutalen Schlägern allein regeln soll, bleibt Blasers Geheimnis.

Beschwerde kostet womöglich noch mehr

Die meisten Kantone handhaben das bürgerfreundlicher. Bei einfacher Körperverletzung wird auf Antrag immer untersucht – ohne Kosten für die Betroffenen. Zur Kasse gebeten werden höchstens Leute, die ein sogenanntes Treppenhausdelikt wie Ehrverletzung oder Sachbeschädigung zur Anzeige bringen – aber auch das erst, wenn ein Verfahren erfolglos eingestellt wurde.

Solothurn steht nicht nur allein da, sondern handelt auch noch rechtswidrig: «Will ein Opfer, dass eine einfache Körperverletzung untersucht wird, muss der Staat das auch tun», sagt der Luzerner Strafrechtsprofessor Felix Bommer. «Verlangt ein Kanton dafür einen Kostenvorschuss und versucht so, Opfer abzuwimmeln, verletzt er Bundesrecht.»

Aber nicht mehr lange: In sechs Monaten gibt es kein Solothurner Strafprozessrecht mehr, weil 2011 für die ganze Schweiz eine einheitliche eidgenössische Strafprozessordnung eingeführt wird. Kosten können dann nur noch Antragstellern auferlegt werden, die ein Verfahren mutwillig oder grob fahrlässig einleiten.

Trotzdem ziehen die Solothurner Staatsanwälte ihre harte Praxis eisern bis zum Ende durch: «Wenn ein Opfer mit dem Kostenvorschuss nicht einverstanden ist, kann es dagegen Beschwerde einreichen», sagt Staatsanwalt Blaser.

Das kostet aber unter Umständen zusätzlich – wenn nämlich die Beschwerde vom Obergericht abgewiesen wird. Pascal Kunz hat es trotzdem gemacht.

*Name geändert

Neue Regelung ab 2011

Juristen bezeichnen Ehrverletzung, Tätlichkeit, Sachentziehung oder Hausfriedensbruch salopp als «Treppenhausdelikte», weil sie häufig bei Streitereien unter Nachbarn begangen werden. In vielen Kantonen können dem Anzeigeerstatter Kosten für die Strafuntersuchung dieser Delikte auferlegt werden, wenn das Verfahren eingestellt wird. Denn die Streithähne sollen sich gut überlegen, ob sie für die Schlichtung den Staat bemühen wollen.

2011 ist damit aber Schluss. Dann nämlich tritt die neue Strafprozessordnung des Bundes in Kraft. Damit können Kosten einem Anzeigeerstatter nur noch aufgebrummt werden, wenn er mutwillig oder grob fahrlässig ein Verfahren eingeleitet hat. «Wir rechnen aber nicht mit vielen zusätzlichen Anzeigen», meint dazu Daniel Burri, leitender Staatsanwalt des Kantons Luzern.