Was an ihm zuerst auffällt: dieses Ungebrochene und Gutgelaunte, diese ungeheure Absenz von finsterem Selbstzweifel. Toni Brunners Vorrat an Heiterkeit würde für zwei Leben reichen. Im Gespräch unter vier Augen kicherts und krachts aus ihm hervor, es gurgelt und gigelet immerzu. Würde man ihn auf den Kopf stellen, es purzelte lauter Frohsinn aus seinem Mund. Es gibt den Spruch: Die mit den lustigen Worten sind oft die traurigsten Menschen. Auf Toni Brunner, 35, trifft er bestimmt nicht zu.

Ein Problem zumindest habe er nicht, frotzelt ein politischer Gegner, der ihn von der Kommissionsarbeit im Parlament her kennt: Er verheddere sich nie im Gestrüpp von Argumenten – weil er gar nicht argumentiere. Brunner würde darüber lachen. Akademikergeschwätz. Überhaupt: Schweizer, vor allem die Linken, die seien so griesgrämig. Deshalb fährt er gern nach Italien und Spanien, «ich bin eher der Südländertyp». Mental natürlich, nicht äusserlich. Die nähmen nicht alles so supergenau, seien keine Tüpflischiisser. Auch deshalb forderte Brunner den Bundesrat auf, die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen («Rauchen ist tödlich») abzuschaffen – «zwecks Hebung der Stimmung im Lande».

Nicht einmal Vandalen können ihm die Stimmung verderben. Verschmieren ihm solche die Schindelmauer seines Bauernhofs mit Farbe, wie am letzten 1. August geschehen, kommentiert er das mit Gelassenheit: «Man ist diesen Sachen schon ein bisschen ausgesetzt.» Er zuckt dann mit den Schultern. Was solls? Wahrscheinlich Linksautonome aus der Stadt. Sein Vorgänger im Präsidentenamt, Ueli Maurer, habe Schlimmeres erlebt. Bis zum abgehackten Chüngelkopf. «Begleiteffekte» eben.

Man kann ihn nicht hassen

Alles wirkt so friedlich, so harmlos aus seinem Mund. «Er macht ja alles mit seiner angenehmen Ausstrahlung», erinnert sich ein Lehrer aus der landwirtschaftlichen Schule, die Toni Brunner 1992 besuchte. Deshalb habe er sich immer mehr erlauben können als andere. Es ist eben auch der Ton, der die Musik macht. Wenn Brunner redet, hat das nie die schneidende Kälte eines Christoph Mörgeli oder den missionarischen Eifer eines Christoph Blocher. Selbst wenn er das Gleiche meint. Er kommt gut an, vor allem im Fernsehen, wo es nicht entscheidend ist, was einer sagt, sondern wie er es sagt. Selbst ein Auftritt bei Fernsehsatiriker Giacobbo, wo andere Politiker schon brutal abgestürzt sind, wird für ihn zum Heimspiel. Toni Brunner ist ein begnadeter Verkäufer.

Dieses Talent ist Gold wert für den Chef einer Partei, die immer wieder Krach macht, aufstachelt und verhöhnt. Blocher oder Mörgeli kann man hassen – einen Toni Brunner nicht. Sogar politische Gegner müssen einräumen, Brunner sei «en Gäbige». Es ist seine stärkste Waffe: diese Leichtigkeit, dieses Gäbige und Unverbissene, das in seiner Herkunft wurzelt.

Der Bendel hat ihn hervorgebracht. Ein Weiler von einigen Dutzend Toggenburger Höfen, 1050 Meter über Meer, ein nach allen Seiten offenes Hochplateau auf der Sonnenseite, anderthalb Stunden Fussmarsch von Ebnat-Kappel herauf. Von weitem grüssen die Churfirsten, im Rücken der Speer, der höchste Nagelfluhberg Europas, drunten im Tal glitzert die Thur und lärmt die Zivilisation. «Das ist jetzt eben Heimat», sagt Brunner, hier lebt er auf dem Bauernhof auf dem Hundsrücken, den er kürzlich von seinen Eltern offiziell übernommen hat – übernehmen musste, weil der Vater ins Pensionsalter kam und sonst der Anspruch auf Direktzahlungen erloschen wäre. Vor einem Jahr ist seine langjährige Freundin aus Bern, eine studierte Politikwissenschaftlerin, im Hundsrücken eingezogen, wo man nun in wilder Ehe lebt. Eine vier Meter durch den Fels getriebene und 200 Meter erdwärts gerammte Sonde versorgt den Hof mit Erdwärme. Zum Feuern steht Brennholz parat. Sie seien völlig unabhängig, schnalzt Brunner.

Hier oben also ist er aufgewachsen mit seinen vier älteren Geschwistern, hier oben besuchte er die Primarschule, begleitete den Vater ins Holz. Hier züchtete er Chüngel, sang im Männerchor, führte ein braves Bergbauernleben in der Hügelzone 2. Als Einziger konnte er am Beginn der landwirtschaftlichen Lehre noch nicht Traktor fahren, denn dafür sind die Hänge zu gäch und stotzig im Toggenburg, viel zu gefährlich für einen Buben. Schon sein Vater Hannes Brunner ist Bergbauernsohn, stammt von der Rigelschwendi, eine Dreiviertelstunde zu Fuss entfernt. Mutter Heidi Brunner wuchs auf einem Pächterhof ob Krummenau auf, ohne Strom und Strassenzugang.
Von klein auf ist sich Toni Brunner gewohnt zu krampfen. Er war ein braves Kind, hatte wenig Flausen im Kopf, sagt die Mutter, ein blonder Schnügel, tollte am liebsten mit dem Hofhund, flüsterte mit dem Vieh. Überhaupt seine Tierliebe, die fällt auf. Als Schüler war er mittelmässig, glänzte nicht durch Ehrgeiz, suchte immer den Weg des geringsten Widerstands. Auch war er kein Anführertyp, ein Aufschneider schon gar nicht. Weder ehemaligen Klassenkameraden noch Lehrern fällt eine Anekdote zu ihm ein. Als Hobbys pflegt er heute anzugeben: Lesen und Wandern, doch tue er weder das eine noch das andere, verrät er. Ein ehemaliger Lehrer von ihm sagt: «Ich dachte immer, der wird Bauer.» Sicher nicht Politiker. Das dachten auch seine Eltern.

«Es war an sich ein Unfall»

Bis «es» passierte. Brunner wird mit 21 Jahren in den Nationalrat nach Bern gewählt. Katapultiert, müsste man präzisieren. Vater Brunner ist wie betäubt, regelrecht geschockt. Und die Mutter hat Angst, dass ihr Jüngster um seine Jugend betrogen würde. Sogar der damalige SVP-Präsident Hans Uhlmann, der Brunner in einem Sonntagstelefon quasi als Füller auf die Liste befohlen hatte, ist völlig überrascht. Und wohl auch Toni Brunner selber: Am Wahlsonntag besucht er die Olma. Die Journalisten müssen ihn dort fürs Interview erst aufspüren. «Es war an sich ein Unfall, dass man so jung auf Bern hinauf gewählt worden ist», kommentiert Brunner. Man? Geht es um seine Karriere, redet Brunner merkwürdig oft in der dritten Person, als ob nicht er, sondern ein anderer in dieses Politikerleben hineingestolpert wäre.

Wie kommt ein 21-jähriger Bergbauernsohn in die Politik? Vater Brunner war in der FDP-Ortspartei, wer protestantisch war, ging zur FDP; eine SVP gab es in St. Gallen noch nicht. Wenn der Vater heimkehrte von einer Sitzung im Tal, hatte er oft einen «sturmen Grind», wie er sagt, von den vielen «geschwollenen Wörtern», wenn die wieder «näbis» geredet hätten und er es nicht verstand. Viel Geschwafel und wenig dahinter. Deshalb ist Toni wie elektrisiert, als er einmal im Thurgau, als 17-Jähriger, den SVP-Präsidenten Uhlmann reden hört. So verständlich. So klar. Statt Töffli zu frisieren wie andere Jungs in diesem Alter oder mit Mädchen zu liebäugeln, packt ihn die Politik. Es war für ihn «ein Hobby wie für andere das Skifahren». Und als 1992 die EWR-Frage das Land spaltet, ist für den jungen Bergler die Sache klar. Er schreibt einen Brief ans Generalsekretariat der SVP in Bern, ob man nicht in St. Gallen eine SVP gründen könne. Er gehört zu den Mitbegründern, wird 1993 Präsident der ersten Bezirkspartei Obertoggenburg. Damals lernt er auch Christoph Blocher kennen, auf dessen Anti-EU-Kurs die junge Partei setzt. 1995 wird Toni Brunner als jüngster Nationalrat aller Zeiten nach Bern gewählt.

Familie durch SVP-Familie ersetzt

Bei ihm stellt sich zuerst der Erfolg ein, erst anschliessend kommt die klassische Ochsentour. Als ob er seinen Erfolg abverdienen müsste wie als Korporal im Militär, der er ist. Es folgen zehn Jahre im Präsidium der St. Galler SVP, die heute die stärkste Partei im Kanton ist – eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Dann Vizepräsidium der SVP Schweiz, wo er Ueli Maurer, dem erfolgreichsten Parteichef der letzten Jahre, assistieren darf. 2007 Ständeratskandidat. 2008 ist Toni Brunner, 34-jährig, Parteipräsident und auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. Brunner ist zweifellos einer mit der politischen Witterung. Er braucht den Auftritt, es gefällt ihm, wenn es rumpelt und kracht. So wie er gern laut herauslacht: «Natürlich macht es mir Spass, sonst wäre ich schon lange nicht mehr in Bern.»

Brunner gibt gern den braven Bauern. «Nichts von dem war gesucht. Es hat sich so ergeben.» Er sei da hineingerutscht, nichts sei geplant gewesen. Das sagt sich leicht, wenn die Karriere sich von selber macht, wenn er einfach immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, wie er kokettiert. «Gibst du den kleinen Finger, nimmts dir die ganze Hand.» Er sei kein Ehrgeizling. Das Wort schmeckt für ihn nach Schwefel. Wie Karrierist. Pfui! Brunner musste nie richtig kämpfen. Immer war er der Jüngste, in seiner Familie, die er einfach durch die SVP-Familie ersetzt hat, wo er umgeben ist von Männern, die seine Väter sein könnten. Er profitierte immer vom Jüngsten-Bonus. Noch heute, mit 35 Jahren, scheint er kaum gealtert, wirkt er wie ein Lausbub im steifen Anzug, der seine Steinschleuder verloren hat.

Er ist höchstens ein Viertelbauer

Halb ist das angeboren, halb Taktik: Harmloser scheinen, als man ist, so wie das die Schweiz jahrhundertelang erfolgreich gegen aussen vorgemacht hat. Er klebe nicht an der Politik, könnte morgen damit aufhören, behauptet er. Er sei Landwirt, Melken sei seine Leidenschaft. Und er kann sich vorstellen, Bauernschwänke zu schreiben. Irgendwann. In der Jugend habe er mal einen verfasst, «Dä Beeribodechläus», einen Dreiakter um einen alten Bauern, sein Heimetli und seine Tochter.

Das ist pure Romantik. Toni Brunner ist schon längst Berufspolitiker, der auf einem Bauernhof lebt, den im Übrigen seine Eltern bewirtschaften müssen. Denn zu 50 Prozent ist er Nationalrat, zu 25 Prozent Parteipräsident, wie er dem «Schweizer Bauern» mitgeteilt hat. Also ist er nicht mal ein halber Bauer, höchstens ein Viertelbauer. Und als Bauer empfängt er Subventionen vom Staat, den er als Politiker bekämpft.

«Neid und Missgunst»

Brunner besitze diese notwendige Doppelbödigkeit, um die SVP zu führen, sagt ein linker Politiker. Die Frage, wie viel Direktzahlungen er erhalte, quittiert Brunner mit einem Prusten, als wäre die Frage obszön. «Kleinkarierte Neid-und-Missgunst-Einstellung», ist seine Antwort. Auf den Einwand, es handle sich um Steuergelder, räumt er immerhin ein, es seien höchstens 40'000 Franken. Als Nationalrat erhält er inklusive aller Spesen 100'000 Franken. Toni Brunner bekommt vom Staat also 140'000 Franken. Seine Partnerin erhält vom Staat mindestens nochmals so viel. Sie ist seit einem Jahr Generalsekretärin beim St. Galler SVP-Regierungsrat Stefan Kölliker, einem Brunner-Vertrauten seit vielen Jahren. Postenschacher warf die SVP jahrelang der FDP vor. Jetzt fällt der Vorwurf auf sie zurück. Man könne ja in der Verwaltung nachfragen, ob seine Freundin ihre Sache recht mache, verteidigt sich Brunner ärgerlich.

Kleinkarierte Missgunst, wird er sich denken. Er wird sich wohl das nächste Theaterstück des Männerchors Bendel anschauen, ein Stück über das Alpfahren. Da weitet sich die Brust, es weht Freiheit um die Gipfel. Zum Abschied des Reporters versetzt Vater Brunner die drei Kuhglocken ins Schwingen, die er im Flur hängen hat, mit denen die Sennen einst zur Alp hochstaksten. Rhythmisch, in feierlicher Haltung, wie ein Priester, der eine heilige Handlung vollzieht.

Das ist Toni Brunners Welt. Hier ist er verwurzelt. «Wenn die Schweiz irgendwann Richtung EU davonläuft, rufen wir den Freistaat Bendel aus», droht er. Und lacht.