Der Unternehmer aus der Westschweiz neigt eigentlich nicht zu Verschwörungstheorien. Doch was in diesem Fall passiert, kann sich Christoph Schütz nur so erklären: «Da wird jemand geschützt. Zuerst vom Berner Establishment und jetzt von der Berner Justiz.»

Mit «jemand» meint er den prominenten Berner Medienrechtler Franz A. Zölch. Eine ganze Reihe Geschädigter hatte diesen angezeigt, wegen Betrugs. Seit Jahren geht der prominente Jurist ehemalige Kunden, Geschäftspartner und Bekannte um Darlehen an, die er in wenigen Tagen zurückzahlen will. Meist gaukelt er ihnen vor, eine grosse Summe für endlich abgeschlossene Geschäfte zu erhalten. Einmal sollte es ein 9/11-Fall sein, dann ging es um Überweisungen aus dem Nahen Osten. Um das Geld aber «auslösen» zu können, müsse er kurzfristig nach Genf reisen und dort Konten eröffnen. Gegenüber dem Beobachter sprach Zölch von «First in, second out»-Geschäften – erst muss man Geld einzahlen, danach wird der Einsatz mit Gewinn zurückgezahlt.

Auf ihr «Out» warten die Gläubiger bis heute. Zölch räumt ein, die Darlehen noch nicht zurückgezahlt zu haben. Er werde sich melden, sobald es so weit sei.

Letzten Herbst hatte der Beobachter Zölchs Masche publik gemacht. Mehrere Betroffene reichten eine Strafanzeige wegen Betrugs ein. Nicht in der Hoffnung, an ihr Geld zu kommen – der Inhaber einer Berner Kanzlei für Medienrecht ist gemäss Betreibungsregister massiv verschuldet. Zölch sollte nach Meinung der Kläger aber wenigstens eine Strafe dafür erhalten, dass er hilfsbereite Menschen systematisch über den Tisch zieht. Vielleicht würde ihn das von der Aufnahme weiterer «Darlehen» abhalten.

Doch nun ist klar: Zölch ist kein Betrüger. Sämtliche Strafanzeigen, von denen der Beobachter Kenntnis hat, wurden von verschiedenen Berner Staatsanwaltschaften nicht weiterverfolgt, oder das Verfahren wurde eingestellt. Der Grund: Zölch soll nicht arglistig vorgegangen sein. Anders gesagt: Die Opfer sind selber schuld, sie hätten Zölchs Geschichten nicht glauben sollen und seine Kreditwürdigkeit hinterfragen müssen.

Genau das aber hatte einer der Gläubiger getan. Er hatte sogar eine Inkassofirma damit beauftragt, Zölchs Bonität zu überprüfen – und einen positiven Bericht erhalten. «Wir legten Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens ein und beantragten bei der Staatsanwaltschaft sowie beim Obergericht, Abklärungen bei anderen Gläubigern vorzunehmen. Mit geringem Aufwand hätte sich gezeigt, dass der Beschuldigte nach dem immer gleichen Muster vorgeht», sagt der Anwalt des Opfers, Peter Obrecht. Die Anträge wurden abgelehnt. Sie seien nicht geeignet, etwas über die Arglist des Täters auszusagen, befand das Berner Obergericht.

Franz A. Zölch: Sucht weiterhin Darlehen

«Für einen Geschädigten ist das absolut unverständlich», so der Anwalt. Zölch war Brigadier im Militär, Dozent an mehreren Hochschulen, Gatte einer Regierungsrätin, Präsident des Eishockeyverbands und ein gut vernetzter Firmenberater. Ihm hatten die Darlehensgeber solche Machenschaften nicht zugetraut. «Im Nachhinein gesehen, waren wir wohl etwas blauäugig», sagt ein Geschädigter. Aber warum soll der Täter von der Justiz profitieren? Laut der Pendlerzeitung «20 Minuten» sucht Zölch weiterhin Darlehen und erzählt seine Geschichten von grossen Summen, die bald einträfen.

Die Geschädigten haben mittlerweile das Vertrauen in die Justiz verloren. Sie bezweifeln, dass diese gegen solche Machenschaften überhaupt etwas unternehmen will. Den finanziellen Schaden müssen sie ohnehin selber tragen. «Auf den Spott der Gerichte verzichten wir aber gern», sagt einer, der mehrere zehntausend Franken verloren hat.

Betrug? Für Gerichte noch lange nicht

Der Schwyzer Oberstaatsanwalt Benno Annen kennt solche Reaktionen aus eigenen Fällen. «Wir bewegen uns immer weiter weg von dem, was jeder normale Bürger unter Betrug versteht. Das ist ein gefährliches Spiel mit der Glaubwürdigkeit der Justiz», warnt er. In einem seiner Fälle hatte das Schwyzer Kantonsgericht die Betreiber eines fragwürdigen Internetregisters freigesprochen.

Die Firma B + P Dienstleistungen hatte Formulare an Kleingewerbler verschickt und unter Zeitdruck Angaben für ein Branchenverzeichnis im Internet verlangt. Wer das Formular ausfüllte, erhielt eine Jahresrechnung über mehr als 800 Franken – der Hinweis auf die Kosten wird leicht überlesen. Viele Geschädigte waren der Ansicht, mit dem amtlich anmutenden Formular würde ohnehin bloss die Richtigkeit von Angaben für ein bestehendes Verzeichnis überprüft.

Das Gericht sah im Vorgehen der Firma keine arglistige Täuschung. Eine solche ist in der Schweiz aber eine Voraussetzung, damit der Tatbestand des Betrugs erfüllt ist. Gerade von Geschäftsleuten müsse man erwarten können, dass sie auch das Kleingedruckte genau lesen, urteilte das Gericht. Zu einer anderen Einschätzung kommt das Bundesgericht in der Beurteilung einer Zivilklage gegen dieselbe Firma: Die Formulare der B + P seien «erheblich irreführend».

Seit April ist das Geschäft mit den Registereinträgen harziger geworden: Das überarbeitete Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verbietet solche Offerten, wenn nicht besonders deutlich auf Kosten und Verbreitung der Publikation hingewiesen wird.

Um in der Schweiz juristisch überhaupt zum Betrüger zu werden, muss der Täter seine Opfer mit einem «komplexen Lügengebäude» übertölpeln. Sonst gilt sein Vorgehen als nicht arglistig, der «Täter» bleibt straffrei, und die Opfer sind für den Schaden selber verantwortlich.

Arglistige Täter oder naive Opfer?

Hinter dieser täterfreundlichen Gerichtspraxis steckt System – und für das Schwyzer Strafgericht sogar «die Systemfrage». Es schreibt in seinem Urteil: «Wenn schon der Ruf nach einer liberalen Marktwirtschaft und Zurückhaltung des Staates in privatwirtschaftlichen Problemstellungen durch sämtliche politischen und gesellschaftlichen Reihen laut wird, so sind e contrario [im Umkehrschluss] auch die Konsequenzen aus der Realität jener Bedürfnisse individuell zu tragen.» Sind einfache «Betrügereien» also hinzunehmen, als Preis für ein freiheitliches System?

Das sei nie die Idee des Gesetzgebers gewesen, sagt der Zürcher Staatsanwalt für Wirtschaftsdelikte Marc Jean-Richard. Er hat die Entwicklungsgeschichte des Betrugs im Strafgesetz genauer untersucht. Sein Fazit: «Die Gerichte entfernen sich mit ihren Urteilen immer mehr von dem, was bei der Einführung des Tatbestands beabsichtigt war.» Als die Betrugsnorm 1942 in Kraft trat, sei mit Arglist nämlich lediglich gemeint gewesen, dass der Täter sich im vollen Umfang bewusst sein müsse, was er tut. «Darin waren sich alle Experten jener Zeit einig», so Jean-Richard. Die Idee, die Unüberprüfbarkeit der Lüge zur Voraussetzung zu machen, sei im Gesetzgebungsverfahren sogar verworfen worden. Erst in den neunziger Jahren habe sich aus einer Überinterpretation der Arglist der unheilige Begriff der «Opfermitverantwortung» entwickelt.

Und der treibt seltsame Blüten. Ob heute einer ein Betrüger ist, hängt mitunter davon ab, wie gebildet und erfahren seine Opfer in Geschäftsbelangen sind. Bei Unerfahrenen wird eher von einem Betrug ausgegangen. Ein Täter, der straflos bleiben will, muss also darauf achten, dass die Opfer seine Absichten theoretisch durchschauen könnten. Für die Staatsanwälte entsteht dadurch ein absurder Abklärungsaufwand: «Wir müssen Psychogramme von Tätern und Opfern erstellen, um begründen zu können, dass jemand nicht in der Lage war, die Absicht eines Täters zu erkennen», sagt Jean-Richard. Dass es auch einfacher geht, zeigt sich in Deutschland oder Österreich. Dort reicht die erfolgreiche Täuschung des Opfers aus, damit der Täter wegen Betrugs verurteilt wird.

Als «stossend» empfindet es Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch, wenn «Betrüger» wegen der Opfermitverantwortung durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen. Im Juni reichte der Zürcher SP-Nationalrat einen Vorstoss ein, um das zu ändern. Mit einem «Betrug light» könnte die Hürde «Arglist» gesenkt oder ganz abgeschafft werden. Die Strafen für leichten Betrug würden etwas tiefer ausfallen. Jositsch: «Heute werden Konsumenten dazu gedrängt, Kaufentscheide immer schneller zu fällen. Dass sie jedes Mal Vorgeschichte und mögliche Hintergedanken eines Anbieters abklären, ist realitätsfremd.»

Per Knopfdruck läuft die Sache flotter

Die Anzeigen wegen Internetbetrügereien nehmen zu. Per Knopfdruck können heute Hunderttausende potentielle Opfer angeschrieben werden. Auch wenn nur wenige bezahlen, sahnen die Täter gross ab. Zudem häufen sich Fälle, in denen bestellte Produkte nach der Bezahlung einfach nie geliefert werden.

Oberstaatsanwalt Annen warnt vor ermunternden Signalen an die Täter: «Wenn wir sie wegen der Opfermitverantwortung nicht bestrafen können, laden wir sie ja geradezu ein, mit ihrer Masche weiterzumachen.»

Über den «Betrug light» muss das Parlament noch entscheiden. Für Massnahmen gegen ein anderes Übel haben sich die Politiker bereits ausgesprochen: Serienpleitiers, die sich auf Kosten der Allgemeinheit sanieren und dann mit neuen Firmen weitergeschäften.

Anfang Jahr stellte sich das Parlament hinter eine Motion von Hans Hess (FDP), die das Konkursrecht verschärfen und Serienpleitiers bremsen soll. «Ich habe selber erlebt, wie Unternehmer das Konkursverfahren dazu missbrauchen, Schulden loszuwerden, um kurze Zeit später unter neuem Namen und zum Teil mit denselben Angestellten weiterzumachen», sagt Hess. Produktionsanlagen könnten zudem meist billig aus der Konkursmasse der alten Firma herausgelöst werden.

Vor allem im boomenden Bausektor werde diese Masche zunehmend zu einem Problem. «Solche Firmen verzerren den Wettbewerb. Denn wer Rechnungen und Löhne nicht richtig bezahlt, kann seine Leistungen billiger auf dem Markt anbieten als seine seriösen Konkurrenten», sagt Hans Hess.

Marco Gloor: Sozialabgaben nicht bezahlt

Dass man nach der Pleite auch unter demselben Namen weiterwirtschaften kann, zeigt die Putzfrauenvermittlung.ch AG. Der Beobachter machte publik, wie die Zürcher Firma mit mehreren hundert Angestellten Pensionskassen- und AHV-Beiträge über Jahre nicht eingezahlt hat. Seit April ist die Aktiengesellschaft in Konkurs. Nach aussen hat sich aber nichts geändert. Denn statt bei der AG sind die Putzfrauen jetzt bei gleichnamigen GmbHs angestellt, die ebenfalls als Putzfrauenvermittlung.ch auftreten. Firmengründer Marco Gloor ist erneut mit von der Partie. Für die ausstehenden Sozialabgaben der konkursiten Aktiengesellschaft können die neuen GmbHs aber nicht zur Verantwortung gezogen werden, wie Daniela Aloisi von der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich bestätigt.

Für Marco Gloor war es nicht der erste Konkurs. Er war bereits als Pleitier in der Gastro- und in der Werbebranche aufgefallen. Auf Fragen des Beobachters antwortete er nicht.

Für Heinz Ellenberger, Liquidator der Aktiengesellschaft, ist es unverständlich, dass sich in einer Firma mit 200'000 Franken Eigenkapital Schulden in Millionenhöhe für nicht bezahlte Sozialleistungen anhäufen konnten. «Hier wurde zu lange zugewartet.» Ellenberger versichert aber, dass sich die früheren Verwaltungsräte zu Rückzahlungen an die AHV-Kassen verpflichtet hätten.

Jürgen Käfer: Wertlose Kulissen

Am 28. Oktober 2010 explodierte eine Rohrbombe direkt vor einem Bürogebäude in Pfäffikon SZ. Der Sachschaden war beträchtlich, verletzt wurde aber niemand. Ein anonymes Bekennerschreiben machte klar, wem der Anschlag galt: zwei schillernden Unternehmern aus Deutschland. Einer von ihnen ist Jürgen Käfer. Vor dessen schneeballartigen Verkaufsfirmen warnte der Beobachter bereits in den neunziger Jahren. Als Gruppentherapeut organisierte er in Schweizer Wäldern auch Feuerlaufen und Umarmungsübungen für Manager. 2004 sorgte er in Deutschland für Schlagzeilen: Als Mentaltrainer sollte er die deutsche Skispringer-Nationalmannschaft wieder zum Fliegen bringen.

In der Schweiz kreierten Käfer und seine Überflieger derweil neue Geschäftsideen, für die redegewandte Telefonverkäufer nach Investoren suchen mussten. Die Firmen entpuppten sich als wertlose Kulissen, auf der Strecke blieben geprellte Anleger. Hatten einige von ihnen die Nerven verloren oder gar das Vertrauen in die Justiz? Wer hinter dem Bombenanschlag steckte, ist bis heute nicht bekannt.

Die beiden Deutschen gehören einem losen Netzwerk von emsigen Firmengründern und Aktienverkäufern an, die in wechselnder Zusammensetzung Investoren suchten und mehrere Pleiten produzierten. Mit ihren Geschäften bewegen sie sich am Rande der Legalität.

Vor zwei Jahren analysierte das Wirtschaftsmagazin «Bilanz», welche Nationalitäten in Firmen vertreten sind, die von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) wegen Verstössen auf eine schwarze Liste gesetzt wurden. Bei 77 Prozent der Firmen erwähnte die Finma deutsche Staatsbürger als Verantwortliche. Mit ihrem milden Wirtschaftsstrafrecht und ihren überforderten Staatsanwälten bietet sich die Schweiz für fragwürdige Geschäfte geradezu an. Die Justiz tut sich schwer, die zum Teil internationalen Firmengeflechte zu entwirren und Verantwortliche vor den Richter zu bringen.

Mehr als 300 Geschädigte hinterliess die Max Entertainment Group. Die Firma hätte 2006 die Kampfsportart Mixed Martial Arts in die Schweiz bringen sollen. Telefonverkäufer bearbeiteten potentielle Investoren und köderten sie mit einem geplanten Börsengang. Doch der grosse Teil der Gelder versickerte, das Unternehmen entfaltete kaum eine Geschäftstätigkeit.

2008 liquidierte die damalige Bankenkommission die Max Entertainment mangels Aktiven. Anleger verloren über acht Millionen Franken. Die Zuger Staatsanwaltschaft ermittelte, doch die Geprellten warteten vergeblich auf eine Anklage. 2011 stellte eine neu zuständige Staatsanwältin die Verfahren ein. Für eine Anklage wegen Betrugs hätten die Erkenntnisse nicht gereicht. In dubiose Geschäfte der Max Entertainment war auch der Geschäftsleiter der ASE Investment in Frick AG involviert, die seit Mai für Schlagzeilen sorgt. Über 500 Anleger müssen nach obskuren Devisengeschäften mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe rechnen.

Seit der Max-Pleite sind längst neue Kartenhäuser entstanden – und zusammengebrochen. Die Firma Cendoo etwa, die einen elektronischen Butler, eine Software für Handys und Computer, ankündigte. Zwei Tage nach dem Bombenanschlag war eine Cendoo-Präsentation geplant. Der Anlass wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Letzten August löste ein Gericht die Firma auf – nachdem alle Verwaltungsräte ausgestiegen waren. Käfer war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Labuyla: Das Verfahren läuft

Der Italiener G. P. und der Deutsche A. K. sind zwei besonders umtriebige Verkäufer, die bereits für Max Entertainment unterwegs waren. Als Verwaltungsräte sind sie für die Handelsplattform Labuyla.ch verantwortlich. 2009 engagierten sie die Vize-Miss-Schweiz Rekha Datta als Werbeträgerin. Nette Berichte in den People-Spalten der Medien waren das Ergebnis. Im selben Jahr tanzten die Massen zu Labuyla, die Firma war Hauptsponsor der Zürcher Street Parade. Ihr virtuelles Warenhaus kam dagegen nie in Schwung.

Seit wenigen Wochen ist Labuyla.ch im Internet nicht mehr erreichbar. Und die Telefone am Sitz in Zumikon ZH bleiben stumm. Gegen die Firmenverantwortlichen ist ein Strafverfahren wegen Wirtschaftsdelikten eröffnet worden, wie eine Sprecherin der Zürcher Staatsanwaltschaft bestätigt. Selbstverständlich gilt die Unschuldsvermutung. Koch betont, er sei nicht mehr im Verwaltungsrat, P. antwortete nicht. «Man erklärte uns, Labuyla werde bald unter neuem Namen aus dem Ausland wieder aktiv werden», sagt eine Aktionärin, die Geld aus ihrer Lebensversicherung in das Projekt gesteckt hat. Labuyla ist Teil einer Holding mit denselben Verwaltungsräten. Zu ihr gehört auch eine Finanzierungsgesellschaft, die Jacro Financière SA. Sie ist seit Juli in Konkurs.

Ein ehemaliger Labuyla-Verwaltungsrat ist auch für die Pleite der Leonor Swiss AG mitverantwortlich. Leonor köderte Kunden mit Anlagen in angeblich krisensicherem Gold und hatte es dabei auf die Lebensversicherungen der Anleger abgesehen. Eine Drittfirma animiert jene, ihre Forderungen gegenüber der Versicherung abzutreten und gegen Goldbarren einzutauschen. Die hätten im Zürcher Zollfreilager deponiert werden sollen. Dort sind sie aber nicht. Im Mai verhaftete die Polizei in Deutschland einen gesuchten Leonor-Verwaltungsrat.

Berresheim und Piroth: Nicstic-Pleite

Alte Hasen im Geschäft mit aufgeblähten Firmen sind Michael Lothar «Micky» Berresheim und Heinz Heinrich Hensley Piroth (bürgerlich: Heinz Knöpfel). Einen grossen Coup landeten die Deutschen mit dem Projekt Nicstic, für das sie über Drittfirmen Aktien verkauften. Nicstic wollte eine rauchlose Zigarette auf den Markt bringen. Das Produkt kam nie, verbrannt wurden aber 300 Millionen Franken von über 800 Aktionären, Nicstic wurde 2007 liquidiert. Mehrere Strafverfahren sind hängig, die meisten hat die Schweiz inzwischen an deutsche Behörden abgetreten. Heute sollen die kreativen Köpfe hinter Nicstic zerstritten sein. Doch längst sind in ihrem Umfeld neue Firmen entstanden – und wieder liquidiert worden.

Die Abzocke läuft nach dem immer gleichen Drehbuch ab. Alles beginnt mit einer originellen Geschäftsidee: die rauchlose Zigarette, ein Energydrink, hocheffiziente Solaranlagen oder das Bergen von Meeresschätzen. Früheinsteigern werden besonders hohe Gewinne durch einen geplanten Börsengang in Aussicht gestellt.

Damit Investoren Geld lockermachen, müssen die Kulissenbauer und ihre Schweizer Strohmänner zuerst bestehende Anlagen schlechtreden. Feindbild Nummer eins sind Banken und Versicherungen, die vom Geld der Anleger profitierten, ohne diese angemessen zu beteiligen. Besonders potente Investoren halten die Aktienverkäufer durch eine Eins-zu-eins-Betreuung bei Laune, manche werden in die «Familie» aufgenommen, ohne in die wahren Pläne eingeweiht zu werden. Parallel dazu wird die Firmenkulisse mit Prominenz und oft ahnungslosen Experten geschmückt. Sie werden die kleineren Anleger blenden.

Gegen ein Dutzend Telefonverkäufer reisten für Nicstic aus Deutschland in die Schweiz ein, um Aktien zu verhökern, erinnert sich ein Geschädigter. Der Verkauf lief über Drittfirmen, die unter der Kontrolle der Nicstic-Initianten standen. Mit Sonderangeboten animierten sie die Anleger in einer späteren Phase zum Nachzahlen. So wurde behauptet, ein grosser Investor sei ausgefallen, weil er gar kein Geld habe. Nun ergebe sich die Chance, Aktien zu einem speziell tiefen Preis nachzukaufen.

Kartenhäuser für Leichtgläubige

Wird den Anlegern klar, dass ein Projekt nicht vom Fleck kommt, folgt eine Phase von Streit und Wechsel in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Nach der Pleite ist oft schwierig zu unterscheiden, wer von den Verantwortlichen Täter und wer Opfer ist. Bricht das Kartenhaus schliesslich zusammen, erhalten die Investoren oft ein Angebot, ihre Aktien gegen die einer neuen, besonders innovativen Firma einzutauschen – vorausgesetzt, sie sind bereit, weitere Aktien dazuzukaufen. Und schon sind sie bei der nächsten Abzocke mit von der Partie.

Die Drahtzieher hinter solchen Firmen vermeiden es, als Zeichnungsberechtigte in Erscheinung zu treten. Vielleicht weil einige in Deutschland wegen Wirtschaftsdelikten Gefängnisstrafen absassen und in der Schweiz von der Finma Verkaufs- und Werbeverbote erhalten haben. Das könnte Investoren abschrecken.

Michael «Micky» Berresheim, der sich in Deutschland als erfolgreicher Manager im Rockmusik- und Filmgeschäft ausgibt, engagiert sich zurzeit für das Projekt Open Market TV (OMTV). Die Firma mit Sitz in den USA und Niederlassung in Deutschland will ein Fernsehformat produzieren, in dem sich börsengelistete Konzerne gleich selbst vorstellen. Seit März hat OMTV eine Tochterfirma an der Zürcher Löwenstrasse. Bereits sollen OMTV-Aktien zum Tausch angeboten werden. Berresheim war für Fragen nicht erreichbar. Er habe mit der Firma eigentlich nichts zu tun, zudem sei er krankgeschrieben, erklärte eine seiner Mitarbeiterinnen.

Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Daniel Fischer vertritt seit Jahrzehnten Opfer von Wirtschaftskriminellen. Seine nüchterne Bilanz: «Die Schweiz ist ein Eldorado für Betrüger.» Nicht nur wegen der täterfreundlichen Gerichtspraxis beim Betrug. «Polizei und Staatsanwaltschaften sind bei solchen Delikten – da personell unterbesetzt – restlos überfordert, die Ermittlungen laufen deshalb extrem langsam.»

Diese Zeit nutzen die Täter. Ist später überhaupt noch Geld in der Firmenkasse, werden zuerst die Untersuchungskosten gedeckt. Danach wird das Unternehmen oft mangels Aktiven in den Konkurs geschickt. «Die eigentlichen Opfer bleiben auf der Strecke. Forderungen können sie zwar über eine Zivilklage geltend machen. Das scheitert aber meist schon an den immensen Vorschüssen, die sie dafür leisten müssten», sagt Fischer.

Er fordert darum, dass in Zivilprozessen Gruppenklagen zulässig sind. Das würde die Kosten für einzelne Geschädigte massiv senken. Fischer: «Der Finanzplatz Schweiz ist durch diverse Skandale schon schwer angeschlagen. Verunmöglichen wir den Opfern von Wirtschaftskriminellen praktisch auch noch den Zugang zum Recht, sehe ich schwarz für diesen Standort.»

Seien Sie auf der Hut!

Betrügerische Machenschaften weisen häufig dieselben, sich ständig wiederholenden Merkmale auf. Die Schweizerische Kriminalprävention hat die Warnsignale zusammengetragen.

  • «Nur noch heute»: Das Erzeugen von Zeitdruck und Knappheit weckt Überlebensinstinkte, die ein Angebot begehrenswerter machen. Viele Geschäftemacher arbeiten darum mit dem Jetzt-oder-nie-Effekt.

  • «Gratis kann teuer werden»: Wir sind so gestrickt, Geschenke und Gefallen mit einer Gegenleistung zu beantworten. Gerissene Geschäftemacher geben wenig, fordern aber sehr viel.

  • «Nur für Sie»: Erklärt einer, man sei der Auserwählte, der von einer Insiderinformation oder einem einmaligen Angebot profitieren könne, sollte man seine Finger von dem Geschäft lassen.

  • «Geheuchelte Sympathie»: Geschäftemacher sind Meister im Sich-Verstellen und Sympathie-Erzeugen. Sympathie aber schwächt die Vorsicht. Darum gebärden sich Geschäftemacher oft übermässig kumpelhaft und betonen häufig Gemeinsamkeiten.

  • «Das machen alle so»: Ein gewünschtes Verhalten wird von Geschäftemachern als völlig normal dargestellt. Wer auf ihr Angebot nicht eingeht, verstösst gegen den gesunden Menschenverstand. Angebliche Kunden – oft sind es Mittäter – geben gern vor, mit dem Kauf- oder Investitionsentscheid bereits Geld und Glück gewonnen zu haben.

  • «Mehr Schein als Sein»: Statussymbole sollen Autorität vortäuschen. Titel, Ehrungen, teure Autos und Häuser blenden und machen hörig. Dagegen ist kaum jemand gefeit, wie Experimente immer wieder zeigen.

Weitere Infos: www.den-trick-kenne-ich.ch