Wenn es Herbst wird, beginnt die weisse Witwe ihre wundersame Wandlung. Sie legt sich einen weissen Schleier zu, aus Harz. Aus sehr viel Harz. Das macht die «White Widow» - so der Name der Cannabissorte in der Szene - zum Renner. Im Harz nämlich ist das THC enthalten, die berauschende Substanz im Cannabis. Dem weissen Schleier der Witwe ist auch Bruno (Name geändert) erlegen. 20 Pflanzen zieht er in seinem Garten, irgendwo in einer Vorortsgemeinde. Marktwert der Plantage: ungefähr der Preis eines Kleinwagens, 20'000 Franken.

Bruno aber will nicht verkaufen, sondern züchtet für sich selbst. Er will wissen, was er raucht, wenn er sich abends nach getaner Arbeit «einen Ofen bastelt». «In Holland soll einer gestorben sein, weil das Gras mit Glasstaub gestreckt war», erzählt Bruno mit der Lakonie des Mannes, dem man in Sachen Cannabis nichts vormacht. Mit den 20 Pflanzen im blicksicheren Garten erntet er rund zwei Kilo Marihuana. Nach Auszahlung seiner Helfer - die Ernte ist aufwendige Handarbeit - bleibt ihm rund ein Kilo. Das reicht für ein Jahr.

«Meist aus Schweizer Produktion»

Selbstversorger Bruno tut, was immer mehr Schweizer tun. «Der Trend geht hin zum lokalen Kleinanbau und zum Privatverkauf», hält eine im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit erstellte Studie fest. Der Markt, so ein weiteres Ergebnis, wird hauptsächlich über die einheimische Produktion versorgt. Es wird wenig oder gar nichts importiert. Auch Beat Rhyner, Chef Fahndung bei der Stadtpolizei Zürich, sagt: «Das Gros stammt aus Schweizer Produktion, ganz klar.»

Von diesem Trend profitiert etwa die AgriCulture in Walenstadt. Die Firma bietet Gewächshaustechnik an - Produkte, die auch für die Hanfzucht in geschlossenen Räumen, die Indoor-Produktion, verwendet werden können. «Dieser Markt ist rapide am Wachsen», sagt der Geschäftsleiter, der nicht mit Namen genannt werden will. Der Grossteil dieser Kunden seien Privatleute, die in kleinem Rahmen bei sich zu Hause Hanf anbauen wollen. Vermehrt aber würden auch ganze Familien aufkreuzen: Der Vater kaufe seinem Sohn eigenhändig das Nötige, dann müsse der seinen Bedarf nicht auf der Gasse besorgen.

Wem der Weg in die Fachhandlung zu mühsam ist, der findet in Internet-Shops das Nötige. Es gibt Dünger wie «Canna Rhizotonic Wurzelstimulator», extrastarke Natriumdampflampen, Bewässerungsanlagen oder das Komplettsystem «Growbox»: kaufen, giessen, ernten.

Zur jährlich konsumierten Cannabismenge in der Schweiz gibt es keine verlässlichen Zahlen. Sven Schendekehl, Sekretär des Vereins «Legalize it!», versucht eine Hochrechnung, gestützt auf die Verkaufszahlen von besteuertem Zigarettenpapier. Er kommt auf rund 200 Millionen Konsumeinheiten oder 100 Tonnen Cannabis. Der Markt wäre dieser Rechnung gemäss eine Milliarde Franken schwer.

Besser belegte Zahlen gibt es zu den Cannabiskonsumenten. Mit 9,8 Prozent, die innerhalb von zwölf Monaten mindestens einmal zum Joint gegriffen haben, weist unser Land eine der höchsten Konsumraten in Europa auf, hinter Italien (11,9 Prozent) und vor Frankreich (8,5 Prozent), so der jüngste Jahresbericht des Uno-Büros für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung aus dem Jahr 2006.

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Seit 1990 hat die Zahl der Verzeigungen wegen Konsums von Hanfprodukten kontinuierlich zugenommen. Und der Trend ist ungebrochen.

Bei den Jugendlichen dagegen schwindet das Interesse an Cannabis. «Alkohol und Rauchen interessieren die Schülerinnen und Schüler viel mehr», sagt Thomas Steffen vom Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt. Der seit Jahren steigende Konsumtrend scheint gestoppt. «Nachdem der Cannabiskonsum lange banalisiert wurde, sind die Risiken in den letzten Jahren verstärkt wahrgenommen und thematisiert worden. Das hat vermutlich Eltern und Lehrpersonen animiert, stärker Grenzen zu setzen», erklärt Gerlind Martin, Mediensprecherin der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme.

Die Jugendlichen beschaffen sich ihr Rauschkraut bei Freunden und Bekannten oder auf Partys. Selbstanbau ist bei Schülerinnen und Schülern nicht verbreitet. Ebenso wenig der Bezug in der Insider-Szene, etwa bei einem Hanfkurier. Es gibt sie vereinzelt noch in den grossen Städten. Ihre Mobilnummer und das Codewort werden weitergegeben mit dem Hinweis, sie nur wirklich vertrauenswürdigen Leuten mitzuteilen. Sie melden sich heute, und schon morgen bleibt ihr Handy stumm.

Einer nennt sich am Telefon «Boris», an der Tür steht jetzt «Doris» - seine Geschäftspartnerin. Ein kurzes «Hallo», ein Kontrollblick über die Schulter, dann öffnet die Frau ihren Rucksack. Inhalt: geschätzte 100 Gramm Drogenhanf, nach Qualität assortiert. Die besonders guten Sorten tragen Boris’ Gütesiegel «eins a».

Ein wahrlich starker Tobak

Das Labor misst für die vom Beobachter gekaufte Probe einen THC-Wert von 20 Prozent. Der durchschnittliche Gehalt des in der Schweiz konsumierten Cannabis, zu diesem Schluss kam eine Studie des Instituts für Kriminologie und Strafrecht in Lausanne im Jahr 2005, beträgt rund 15 Prozent. Sorten wie etwa Brunos «White Widow» wurden gezielt auf hohen THC-Gehalt hin gezüchtet. In Hallen produziertes Marihuana kann bis zu 36 Prozent erreichen. Mit dem Flowerpower-Gras der sechziger Jahre hat dieser hochpotente Drogenhanf nichts mehr zu tun.

Glücklich, wer Boris’ Nummer kennt - denn der Markt ist ausgetrocknet. «Es ist heute für die THC-Konsumierenden schwieriger geworden, an Hanf zu kommen», sagt Urs Bartenschlager, Chef Kriminalpolizei des Kantons Solothurn. Grund für die Verknappung: das mittlerweile in allen Kantonen rigorose und konsequente Vorgehen der Polizei gegen die offen Marihuana verkaufenden Hanfläden und gegen grosse Cannabisplantagen. Was Letzteren blüht, zeigt sich aktuell in Frieswil im Berner Seeland. Dort schafften es Hanfpflanzen auf einem vier Hektar grossen offenen Feld unbeschadet bis zur Blüte, dann rückten dem Kraut nacheinander Cannabisräuber, Anwohner und zuletzt die Polizei zu Leibe. Der zuständige Untersuchungsrichter Andreas Jenzer gibt keine Details zu den laufenden Ermittlungen preis. Doch er macht klar: «Die Leute, die für den Anbau verantwortlich sind, werden dafür strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen.»

Die Szene hat sich in die Halbwelt zurückgezogen. Die Verkaufslokale tarnen sich heute als Videotheken, DVD-Läden oder Solarien. «Die Läden gehen beim Verkauf der Drogen im Unterschied zu früheren Jahren verdeckt und konspirativ vor. Die klassischen Hanfläden der Hanfaktivisten sind verschwunden», so der Zürcher Fahndungschef Rhyner.

Tim Reiber (Name geändert) verkauft bei sich zu Hause. Ein anonymer Block mit Arztpraxis, Büros und Wohnungen. Hinter halb gezogenen Vorhängen räkeln sich im Wohnzimmer zwei Katzen im Sonnenlicht. Reiber, Typ gealterter Strahlemann, sitzt auf dem orangefarbenen Alcantara-Sofa und sagt: «Wir Marihuanaverkäufer müssen unseren Bedarf durch viele kleine Indoor-Plantagen decken. Grosse Mengen sind nirgends mehr zu beziehen.» Obwohl mehrfach vorbestraft, verkauft Reiber ungerührt weiter. Früher, so schwelgt er, habe er einen Laden besessen, Stecklinge und abgepacktes Gras verkauft. In Spitzenzeiten bediente er bis zu 1000 Kunden täglich. «Ein Tag mit weniger als 100'000 Franken Umsatz war ein schlechter», sagt er.

Der Traum vom Kifferparadies

Vielleicht übertreibt Reiber. Doch die späten neunziger Jahre erscheinen vielen Cannabiskonsumenten aus heutiger Perspektive wie ein Traum, ein sehr guter Trip. Alle Zeichen deuteten damals auf eine baldige Legalisierung. Der Bundesrat hatte im Einklang mit allen grossen Parteien - die SVP ausgenommen - beschlossen, den Konsum von Cannabisprodukten nicht länger zu bestrafen. Die Medien verkündeten das «Kifferparadies Schweiz», die «Süddeutsche Zeitung» fragte: «Die brave Schweiz, eine völlig bekiffte Nation?». Der ganz grosse Rausch schien bevorzustehen - und mit ihm das ganz grosse Business.

In den Hanfläden brummte das Geschäft. Es brummte gewaltig! Umsätze von bis zu 30'000 Franken waren auch laut Polizeiquellen keine Seltenheit - pro Tag. So etwa im «CHanf» im Zürcher Stadtteil Wiedikon. «An manchen Tagen reichte die Warteschlange bis weit in die Strasse hinaus», erinnert sich die ehemalige «CHanf»-Anwohnerin Nicole Gutschalk. Ähnliche Szenen spielten sich auch in Bern ab, in Basel oder Luzern. Gegen 200 Läden im Land, so eine Schätzung des Bundesamts für Polizei, garantierten damals ein nahezu lückenloses Versorgungsnetz mit Hanfprodukten. Angeboten wurden «Trockenblumen», «Duftkissen» und «Duftsäcklein».

«Duftsäcklein» - die Wortprägung und Schlaumeierei erinnert an den unverfrorenen Schalk der Flowerpower-Generation. Die Hanfläden versuchten, sich mit dieser Deklaration den Anstrich der Legalität zu verleihen: Das Betäubungsmittelgesetz stellt Anbau und Handel mit Hanf nur dann unter Strafe, wenn er der Betäubungsmittelgewinnung dient. Duftkissen jedoch, so wurde argumentiert, dienen zur Therapie etwa von - Asthmatikern. Das Bundesgericht aber spuckte im Juni 2000 den Hanffreunden in die Suppe. Es fällte einen Entscheid, der in der damaligen Hanfszene nur widerwillig - wenn überhaupt - zur Kenntnis genommen wurde: Der Verkauf von Hanf-Duftsäcklein mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent sei eine Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und also strafbar.

Die Gewinne waren hoch, Medien und Parteien schürten die Erwartung einer baldigen Freigabe. Viele Ladeninhaber geschäfteten auch nach einer Razzia mit erfolgter Verzeigung ungerührt weiter, teils wenige Tage nach dem Besuch der Polizei.

«Der Staat nahm das Geld gern»

Sechs Razzien überstand der Hanfladen «CHanf», nach der siebten war definitiv Schluss. Die Polizei rückte mit drei Kastenwagen an, rund 30 Mann. Im Laden blieb keine Schublade ungeöffnet, Buchhaltungsordner wurden beschlagnahmt und das ganze Marihuanasortiment. «Schweizer Naturhanf in hoher Qualität, nicht das gepanschte Zeug, das heute auf der Gasse verkauft wird», sagt der damalige Ladenbetreiber Mauro Berini. Dadurch sei der Schwarzmarkt praktisch eliminiert worden. Der ganze Produktions- und Geldfluss habe in der Schweiz stattgefunden - «kontrolliert, ohne Unterstützung von mafiösen oder terroristischen Kreisen», betont Berini.

Heute, fünf Jahre später, wirkt Berini wie einer, dem der Gang der Ereignisse die Illusionen ausgetrieben hat. Mit Bitterkeit sagt er: «Wir waren damals so nah dran. Jetzt sind wir wieder dort, wo wir vor 15 Jahren waren.» Der Laden habe 20 Angestellte ernährt, Lehrlinge inklusive, alle ordentlich angemeldet, 2,8 Millionen Franken Umsatz pro Jahr, die Mehrwertsteuer gesetzeskonform abgeführt. «Der Staat hat das Geld noch so gern genommen.» Für seinen Handel mit Cannabis kassierte Berini 16 Monate Gefängnis, eine Busse und wurde mit staatlichen Ersatzforderungen von rund 60'000 Franken konfrontiert. Er zahlt heute noch ab, 200 Franken jeden Monat.

Die Stimmung war irgendwie vernebelt. «Wenn ich damals die enthusiastischen Ladenbetreiber zur Vorsicht mahnte, wurde ich ausgelacht», sagt «Legalize it!»-Sekretär Schendekehl. Tatsächlich nahmen in der Zeit um das Jahr 2000 weder die Verzeigungen wegen Cannabishandels noch jene wegen Cannabiskonsums ab. Im Gegenteil (vergleiche Grafik).

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Jugendliche: Es wird wieder weniger gekifft

34,2 Prozent der 15-jährigen Schüler und 26,8 Prozent der Schülerinnen gaben 2006 an, «mindestens einmal im Leben» gekifft zu haben. Seit 2002 ist der Trend rückläufig.

Die Hanfpioniere aber wollten weiterträumen. Etwa André Fürst, Inhaber von Hanf-Info. Seine Vision: Schnüre, Säcke, Papier, Medikamente, Kleider, Bauplatten, Biodiesel - alles aus Hanf. Parallel zur Expo.02 organisierte er auf seinem Bauernhof in Murten eine Hanfausstellung. Der Hof zu dieser Zeit: ein Musterbetrieb. Ganz anders heute. Fürst ist inzwischen wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtsgültig zu 29 Monaten Gefängnis verurteilt. Vom Glanz ist nicht viel geblieben, der Hof nur noch ein Schatten seiner selbst. Zwei Überwachungskameras linsen müde vom Dach herunter. Gerät steht ohne Ordnung herum. André Fürst selbst: in U-Haft, seit mehreren Wochen schon. Er soll Drogenhanf produziert und in Handel gebracht haben. Etwa im «Growland» in Bern, dem nach Eigendarstellung ältesten Hanfladen der Schweiz.

Der plötzliche Meinungsumschwung

Jetzt ist der Laden Geschichte, im August hat ihn die Polizei dichtgemacht. Sein Betreiber, Andrea Stafforte, ist irgendwo in Nepal, «zumindest vermute ich das», so Sylvia Weisskopf, eine Mitstreiterin aus alten Tagen. Die feingliedrige, langhaarige Frau trägt Hanf. Aus Hanf ist auch ihre Tasche. Und auch das Papier, das sie vorlegt: Briefe aus dem Gefängnis, von André Fürst. Im August organisierte die Aktivistin eine Solidaritätskundgebung. Die Zeitung «Bund» titelte zwei Tage später: «Wenig Interesse an Hanf-Demo». Gerade mal 50 Unverdrossene hätten auf dem Bundesplatz «Freiheit für den Hanf» gefordert.

Warum die cannabisfreundliche Stimmung kippte, lässt sich heute nicht mehr vollständig nachvollziehen. Sicher ist: Studien über die gesundheitsgefährdende Wirkung des Cannabiskonsums fanden plötzlich stärkere Beachtung, und die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme verblüffte mit der Mitteilung, wonach jeder dritte Jugendliche kiffe. Zu guter Letzt schlug der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer Alarm: Man sei besorgt über den Cannabiskonsum, immer mehr Schülerinnen und Schüler sässen beduselt im Unterricht. «Die Stellungnahme der Lehrer», so der Präventivmediziner und FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller in der «Neuen Luzerner Zeitung», «war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.» Der Rest ist Geschichte: Der Nationalrat entschied, nicht auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes einzutreten. Die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums, wie sie dem Bundesrat vorschwebte, war gestorben.

Als einer der letzten Kantone zog Luzern die Schraube an. Die bis anhin praktizierte Politik der Nadelstiche gegen die Cannabisszene, so beschloss die kantonale Strafverfolgungskonferenz, wurde aufgegeben. Nun sollte «gross eingefahren» werden. Es fiel der Startschuss zur Aktion «Greenfire». Angelegt auf wenige Wochen, beschäftigte sie die Polizei drei Jahre.

Kleingärtner können auf Gnade hoffen

Polizeibilder zeigen: Die geschäftstüchtigen Hanfgärtner überliessen nichts dem Zufall. Die Beamten fanden klimatisierte Hallen mit hochprofessionellen Bewässerungs- und Belüftungsanlagen. Spezielle Filter sorgten dafür, dass der herbe Cannabisgeruch nicht nach draussen gelangen und Verdacht erregen konnte. Überwachungskameras sicherten die Hallen, in denen Arbeiter im Stundenlohn ernteten, trockneten und verpackten. Diese Hilfskräfte stammten vorzugsweise aus dem Osten. Die eigentliche Cannabis-Connection jedoch war fest in Schweizer Hand. «Für die Einvernahmen wurden für einmal kaum Dolmetscher benötigt», sagt der Luzerner Staatsanwalt Georges Frey.

Im August endeten die Ermittlungen der Aktion «Greenfire», die Luzerner Kantonspolizei präsentierte die Ergebnisse: Sie schloss 40 Hanf-Indooranlagen und 14 Hanfläden, führte 188 Hausdurchsuchungen durch, ermittelte gegen 260 Personen, sperrte Konti in Höhe von drei Millionen Franken und beschlagnahmte eine Tonne Hanfpflanzen, Marihuana und Haschisch. Marktwert: zehn Millionen Franken.

Klaus (Name geändert) pflanzt da in einer anderen Liga. Auf seinem Stadtbalkon bringt er vier Stauden zum Blühen. Vor der Polizei muss er sich kaum fürchten. Sie drückt bei kleinen Balkonpflanzern immer noch ein Auge zu. Gut seien sie gekommen dieses Jahr. «Hoffentlich versaue ich es nicht noch beim Trocknen», sagt er und lässt die Blüten zärtlich und zugleich erwartungsvoll durch die Finger gleiten.

Hanf: Von der Kulturpflanze zum geächteten Drogenkraut

Seit rund 5000 Jahren wird Hanf zur Fasergewinnung angebaut. Erste Berichte über medizinischen und rituellen Einsatz finden sich in Indien um 400 vor Christus. Bereits damals wurde Hanf bei Schmerzen und gegen Epilepsie verwendet.

Im 19. Jahrhundert war Cannabis - meist in Form von alkoholischen Extrakten - in Europa eines der meistverschriebenen Medikamente. Das blieb bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts so. Die Internationale Opiumkonferenz erwog 1925 ein Verbot von Cannabis. Zunehmend wurde dessen Wirkung - vor allem in den USA - als Gefahr für die Gesellschaft betrachtet.

Während des Zweiten Weltkriegs brauchte man die Hanffasern wieder in grösseren Mengen: für Uniformen, Verbandszeug und den Flugzeugbau. Nach Kriegsende wurden die Felder vernichtet; Marihuana war von nun an als Droge für Perverse und unwillkommene Einwanderer verschrien.

Die meisten europäischen Staaten erklärten Cannabis für illegal. Darauf hatte Ägypten gedrängt und gedroht, ansonsten die Einfuhr von Kokain und Heroin aus Europa zu verbieten. Heroin wurde damals etwa in Deutschland noch legal produziert.

1961 verbot eine Uno-Konvention Cannabis weltweit - wie Heroin und Kokain. Die Schweiz unterzeichnete das Abkommen. Ab 1968 machte die Hippiebewegung das Kiffen zu einem Symbol des Protests. Die Schweiz führte 1975 ein Konsumverbot für Hanf ein.

Als Cannabis nach 1990 in Europa einen Boom erlebte, eröffneten auch in der Schweiz die ersten Hanfläden. 1996 gab es rund 150 Betriebe, die Strafverfolgungsbehörden wurden zusehends aktiv.

Der Bundesrat wollte den Cannabiskonsum legalisieren - mit der im Jahr 2000 begonnenen Revision des Betäubungsmittelgesetzes. Dazu kam es nicht. Das Parlament schob die Freigabe auf die lange Bank. Die 2006 eingereichte Initiative «für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz» will eine Legalisierung per Volksabstimmung erwirken. Der Urnengang soll 2009 stattfinden.