Der Vorfall gilt als Ursünde der Branche: Im Dezember 1969 wird an einem Konzert der Rolling Stones in Kalifornien vor den Augen der Musiker ein Schwarzer getötet. Die Band spielt «Gimme Shelter», als dieser versucht, mit einem Revolver bewaffnet auf die Bühne zu gelangen, und von einem Mitglied der Hell’s Angels erstochen wird. Die Motorradgang war als Ordnungshüterin engagiert worden. Von da an haben private Sicherheitsdienste ein Image. Es ist kein gutes.

Heute sind die Rocker die Musterknaben der Branche. Noch immer werden sie an Open Airs als Ordnungshüter eingesetzt. Auf dem Berner Gurten beispielsweise ist die «Broncos Security GmbH» tätig. Nach Angaben des Veranstalters sichert sie das Gelände, bewacht Ein- und Ausgänge, VIP- und Backstage-Bereich. Ihre Aufgabe sei es, nur präsent zu sein und im Notfall einzugreifen.

Ihre augenfällige Präsenz solle Sicherheit vermitteln, erklärt Micha Günter vom Gurten-Veranstalter «Appalooza Productions». Die Broncos stehen für Autorität, sind aber nicht die Polizei. Das Gurten-Konzept wird gelobt, Vorfälle sind seit Jahren keine zu vermelden. «Die Broncos kennen unser Gelände und unsere Philosophie. Das sind starke Vorzüge», so Günter. Die «Broncos Security» sei dank der langjährigen Zusammenarbeit eng mit dem Festival verbunden, und ihre Mitarbeiter seien mittlerweile auch geschult.

Übergriffe finden heute an anderen Orten statt. In der Innenstadt zum Beispiel. In den meisten Deutschschweizer Kantonen braucht es keine Bewilligung, um einen Sicherheitsdienst zu betreiben. Für Berufsgruppen wie Optiker und Anwälte vergibt der Staat Lizenzen. Er wacht darüber, ob einer fähig ist, seinen Beruf auszuüben, ohne dass andere zu Schaden kommen. Im hochsensiblen Bereich der Sicherheit aber ist dies nicht vorgesehen. In Bern beispielsweise kann eine Sicherheitsfirma ohne weiteres einen vorbestraften Gewalttäter beschäftigen. Dass dieser im Notfall vergessen könnte, was er darf und was nicht, ist Risiko - und mit Konsequenzen muss der Privatpolizist auch nicht rechnen, falls er mal aus Versehen jemanden verletzt.

Ein Ladendetektiv wird rabiat
Das musste der IV-Bezüger Jürg Brechbühl schmerzlich erfahren. Im Mai 2003 wird er vor einer Buchhandlung in Bern von einem Ladendetektiv angehalten. Als er sich der Kontrolle zu widersetzen versucht, wird er niedergeworfen und verletzt. Obwohl Brechbühl beweisen kann, dass er nichts gestohlen hat, spricht das Berner Obergericht den rabiaten Angreifer vom Vorwurf der Körperverletzung frei. Man könne von einem Ladenüberwacher nicht erwarten, dass er «theoretisches Wissen im entscheidenden Moment kurzfristig und situativ richtig» umsetzen könne, so die Urteilsbegründung. Dass Brechbühls Angreifer als Gewalttäter aktenkundig war, fand vor Gericht keine Würdigung. Die wenig nachvollziehbare Argumentation: An einen privaten Sicherheitsmenschen können nicht höhere Anforderungen gestellt werden als an jeden anderen Bürger.

Wegen dieses und anderer Fälle lancierte Markus Meyer, Präsident des Polizeiverbands des Kantons Bern, im Berner Grossrat eine Motion. Sein Vorstoss fordert die Regulierung privater Sicherheitsdienste. «Sie sollen eine Bewilligung einholen müssen, die an Auflagen gebunden ist und auch wieder entzogen werden kann», so der SP-Parlamentarier und Rechtsanwalt aus Roggwil. Auch die Berufsausübung müsse an eine abgeschlossene Ausbildung und einen reinen Leumund gebunden werden. Zudem soll ein Gesetzesartikel endlich klären, was ein Privatpolizist darf und was nicht.

«Völlig unbestritten ist eigentlich nur die Regelung des ruhenden Verkehrs», sagt Meyer. Gemeint ist das Verteilen von Parkbussen, und selbst hier befinde man sich schnell in Grauzonen: «Darf ein Privater eine Busse gleich einziehen? Darf er nach Ausweispapieren fragen? Darf er sagen: ‹Sie riechen nach Alkohol und sollten nicht mehr fahren›?» Der Jurist liefert die Antworten sogleich selbst: dreimal Nein. Ein Privatpolizist könne auch im Extremfall nur als Bürger intervenieren und müsse die Polizei aufbieten, argumentiert er.

Solch strenge Regeln sind auch in allen anderen Bereichen, in denen Private polizeiliche Aufgaben übernehmen, dringend nötig, sagen Staatsrechtler der Universität Bern. Professor Walter Kälin und seine Mitarbeiter kommen in einem Rechtsgutachten zum Schluss, dass die privaten Sicherheitsdienste heutzutage als Ergänzung zur Polizei zwar notwendig seien, es aber einer Regulierung bedürfe, unter anderem bei den fachlichen Anforderungen, den Tätigkeitsfeldern, der Leistungssteuerung sowie bei der Aufsicht und Staatshaftung. «Gewalt als letztes Mittel muss staatlichen Behörden vorbehalten bleiben», sagt Walter Kälin (siehe Nebenartikel «Gewaltmonopol: ‹Private Kräfte unterstehen keiner demokratischen Kontrolle›»).

Teilprivatisierte Bahnpolizei
Die Durchsetzung des Gewaltmonopols dürfte schwierig werden, wenn der Trend zu immer mehr parapolizeilichen Kräften anhält; mittlerweile sind knapp 13'000 Personen in der Branche tätig - eineinhalbmal mehr als noch vor zehn Jahren.

Einer der Orte, an denen sich der Wandel am anschaulichsten vollzieht, ist der Bahnhof. Galt er noch bis vor kurzem als öffentlicher Raum, wird er heute weitgehend vom Gewerbe dominiert. Die SBB bewerben ihre um Läden erweiterten Stationen mit Slogans wie «Das grösste Einkaufszentrum». Eine zentrale Lage und viele Passanten garantieren den SBB gute Mieteinnahmen - nur logisch, dass das Gewerbe seinerseits hohe Ansprüche an Sicherheit und Ordnung stellt. Dafür sorgt die Bahnpolizei.

Im Zugverkehr gelten - wie in der Schifffahrt - hoheitliche Befugnisse: Weil die Züge permanent Gemeinde- und Kantonsgrenzen überqueren, sind die SBB während der Fahrt für die Gewährleistung der Sicherheit verantwortlich. Deshalb gibt es die Bahnpolizei. 2001 haben die SBB diese Aufgabe mit der Gründung der Firma Securitrans ausgelagert. Die Aktiengesellschaft gehört zwar zu 51 Prozent den SBB, die anderen 49 Prozent hält aber die Securitas. Diese Teilprivatisierung ist höchst umstritten.

«Die Bahnpolizei arbeitet in einer Grauzone», sagt Max Hofmann, Generalsekretär des Verbands Schweizer Polizeibeamter (VSPB). Sie dürfe grundsätzlich nur das sogenannte Hausrecht ausüben; überall, wo durchgegriffen werden muss, sei sie verpflichtet, die Polizei aufzubieten. «Bahnpolizisten absolvieren zwar die Polizeischule. Sie arbeiten aber in einem halbprivaten Konzern und dürften keine polizeilichen Kompetenzen haben», hält der oberste Polizeigewerkschafter fest. Also ist ihnen auch nicht erlaubt, Personen festzuhalten und zu kontrollieren. Doch genau das tut die Securitrans. Nicht nur im Zug führt sie Billett- und Ausweiskontrollen durch, sondern auch in den Bahnhöfen. Dort kann es auch vorkommen, dass Leute von Sicherheitsbeamten, deren Uniform ein «Police» ziert, abgeführt werden - was aus Sicht der SBB rechtens ist.

Die SBB stützen sich auf das Eisenbahngesetz, das sie zur Ausübung der Bahnpolizei verpflichte; Artikel 12 des Bahnpolizeigesetzes regle die hoheitlichen Kompetenzen und stelle diese den Kompetenzen einer Kantonspolizei gleich, lässt Railcity-Chef Hans Zimmermann ausrichten. Ausserdem trage Railcity mit ihrem «breiten, kundenfreundlichen Angebot» wesentlich zur Attraktivität von Bahnhöfen bei. Sie würden dadurch belebt, was «gemäss allgemeiner Erkenntnis der Gewaltprävention» dienlich sei, schreibt Mediensprecher Roland Binz.

Security lässt Schläger gewähren
Die Railcity-Stellen mit ihren Läden sind längst nicht mehr die einzigen Shoppingwelten, in denen private Sicherheitskräfte für ungestörtes Verweilen sorgen sollen. Auch in den grossen Einkaufszentren gibt es sie, zum Beispiel im neuen Zürcher Riesenkomplex Sihlcity. Zur «kleinsten Grossstadt» gehören Läden, Restaurants, Hotels, Kinos, Discos und vieles mehr. Die von der Credit Suisse angebotenen rund 100'000 Quadratmeter Mietfläche sind «Privatgrund mit öffentlichem Charakter». Ein schwieriges juristisches Konstrukt, wie sich im Ernstfall zeigt.

Am 26. Mai wird ein 25-Jähriger vor dem Klub «Platins» im Sihlcity brutal verprügelt - vor den Augen der Sicherheitskräfte, die an der Eingangstür stehen. Der junge Mann fällt ins Koma und schwebt noch immer in Lebensgefahr. Der Vorgang ist ungeheuerlich: Bevor die beiden Schläger zur Tat geschritten sind, haben sie den Türsteher noch gefragt, was geschehe, wenn sie die Person schlagen. Das berichtet Marcel Hirschi, Einsatzleiter der Sicherheitsfirma «CAS Security», für welche die Türsteher arbeiteten. Seine Angestellten hätten den Tätern erwidert, dafür seien sie nicht zuständig - was für diese quasi grünes Licht bedeutete. «Solche Vorfälle haben wir hier jeden Abend», beklagt Hirschi und betont, dass die Patrouillengänge mit den Türsteher-Mandaten nichts zu tun haben - obwohl beide Aufträge von der CAS erledigt werden. Als Besucher interessieren einen solche Differenzierungen nicht. Dafür ist nun klar: Wo Sicherheitsleute sind, darf nicht Sicherheit erwartet werden. Von den Gewalttätern fehlt weiterhin jede Spur.

Trotz solchen Vorfällen ist das Vertrauen in die privaten Sicherheitsfirmen anscheinend ungebrochen. Nicht nur Firmen heuern sie an, sondern auch Gemeinden und Schulen, die mit privaten Ordnungshütern beispielsweise Ruhestörung und Vandalismus verhindern wollen. Im aargauischen Oberentfelden patrouillieren seit April Angestellte der Firma «Daru Wache» auf dem Schulhof. Im Frühjahr hätten Vandalen grosse Schäden angerichtet, teilt Schulleiterin Eva Kuhn mit. Nun werden die Jugendlichen nach 22 Uhr konsequent weggewiesen. «Wir setzen nur das Hausrecht um», erklärt Francisco Sanchez von «Daru Wache». Im Eskalationsfall werde die Polizei beigezogen. Ganz wohl ist der Schulleitung dennoch nicht. Die Patrouillen sollen kein Dauerzustand werden, sagt sie. «Eine Arbeitsgruppe wird bis Mitte September klären, mit welchen pädagogischen und baulichen Massnahmen die Probleme gelöst werden können», so Kuhn. Jurist Markus Meyer meint dazu: «Ein Abwart und eine Schulleitung, die ihre Aufgaben wahrnehmen, sollten diese Probleme ohne private Sicherheitskräfte bewältigen können.»

Die Beispiele machen deutlich, wie wichtig eine klare Regelung der Befugnisse und Pflichten von privaten Sicherheitsdiensten wäre. Dringend wäre auch eine Vereinheitlichung der Gesetze, eine gesamtschweizerische Lösung, gerade auch im Hinblick auf die Euro 08. Auch der Verband Schweizerischer Sicherheits-Dienstleistungs-Unternehmen (VSSU) drängt auf eine gesamtschweizerische Lösung. «Heute hat jeder Kanton seine eigenen Gesetze - wenn er überhaupt welche hat», sagt VSSU-Geschäftsführer Wolfram Manner. Das sei vor allem für Unternehmen, die kantonsübergreifend tätig sind, problematisch. Dass es bis heute keine gesamtschweizerische Lösung gibt, erachtet die VSSU als Hindernis für die Einführung von Zulassungs- und Ausbildungsstandards, die für einheitlich hohe Qualität sorgen könnten.

Doch die Angelegenheit wird von den kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) «lauwarm» behandelt, sagt der Berner Grossrat Markus Meyer. Tatsächlich: Während in der Romandie bereits seit 1996 ein Konkordat in Kraft ist, liegt für die Deutschschweiz erst seit Oktober 2005 ein Vorschlag der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten vor. Er soll im November von der KKJPD diskutiert werden. Die Sache sei aber noch nicht ausgereift, sagt etwa der Polizeidirektor des Kantons Solothurn, Peter Gomm. Und Meyer vermutet, dass es wohl bei unverbindlichen Empfehlungen bleiben wird.

Herausforderung Euro 08
Ob das für die EM-Spiele ausreichen wird? Ausserhalb der Stadien ist die Polizei zuständig, aber drinnen sind es private Ordnungskräfte. Obwohl unbestritten ist, dass der Veranstalter für die Sicherheit im Stadion die Verantwortung trägt, spitzt sich hier eine staatsrechtliche Auseinandersetzung zu. «Die Gewaltbereitschaft in den Stadien nimmt nach wie vor zu», sagt Christian Schöttli von der «Delta Security AG», die auf grosse Sportveranstaltungen spezialisiert ist. Schöttli sitzt im Sicherheitsausschuss der Swiss Football League und wird an der Euro 08 als Sicherheitschef des Letzigrund-Stadions wirken.

Inszenierte gewalttätige Ausschreitungen habe es im Fussball schon immer gegeben, sagt er, aber heute müsse man von unkontrollierten Gewaltexzessen sprechen. Da es sich im Stadion auch um sogenannte «Einsätze mit hoher Gewalt» handelt, wäre hier gemäss Staatsrechtler Walter Kälin der Einsatz der Polizei angezeigt. Denn nur sie ist befugt, Zwang auszuüben. Für den Sicherheitsdienstleister Schöttli ist dies aber kein Argument. Er geht davon aus, dass sich die Gewalt durch die verbesserten Bedingungen im Inneren des Stadions eher nach draussen verlagern wird - und dort ist ja wiederum die Polizei für Ruhe und Ordnung verantwortlich.

«Die Europameisterschaft wird eine grosse Herausforderung für unsere Branche», sagt auch VSSU-Geschäftsführer Wolfram Manner. Die Verbandsmitglieder Securitas und Protectas hätten ein Konsortium gegründet, um die Aufgaben zu koordinieren. Der VSSU geht davon aus, dass pro Match bis zu 1000 Sicherheitsleute mehr benötigt werden als an anderen Fussballspielen. Denn die Menschen werden nicht nur in den Stadien mitfiebern und Bier trinken, sondern auch dort, wo Grossleinwände aufgestellt sind. Bleibt zu hoffen, dass die Sicherheitskräfte bis dahin wissen, was sie dürfen und was nicht.


  • Wie andere Privatpersonen haben Angestellte privater Sicherheitsfirmen kein Recht, Gewalt oder Zwang anzuwenden. Ausnahmen: im Fall von Notwehr, in Notsituationen oder um auf frischer Tat ertappte Personen bis zur Ankunft der Polizei festzuhalten.
  • Mehrere Kantone sehen zwar vor, dass das Tragen von Waffen für Privatpolizisten möglich ist. Sie dürfen aber nur in Notwehr eingesetzt werden.
  • Veranstalter von Fussballspielen oder Konzerten argumentieren, dass die Zuschauer beim Kauf eines Tickets stillschweigend ihre Massnahmen am Veranstaltungsort - im Extremfall auch Gewalt - akzeptieren.
  • Seit 2001 gibt es einen eidgenössischen Berufsausweis für Sicherheitsbeamte. Die Ausbildung ist freiwillig. Sie wird nur von einem Teil des privaten Sicherheitspersonals absolviert.