Die Gäste, die sich am 6. Dezember 1977 im edlen Zürcher Hotel Baur au Lac zum Diner trafen, waren handverlesen: Am Kopf des Tisches sass der Direktor der Kreditanstalt (heute Credit Suisse), zu seiner Linken nahmen zwei Direktoren des Bankvereins (heute UBS) Platz. Die Spitzen der Maschinenhersteller Sulzer und BBC, der Direktor des Kunstseideherstellers Viscosuisse (heute Nexis) sowie ein Vertreter des Uhrenherstellers SSIH (heute Swatch) sassen am Nachbartisch.

Mitten in der Crème de la Crème der Schweizer Wirtschaft thronte jener Mann, mit dem alle ins Geschäft kommen wollten, der aber so ziemlich das Gegenteil von allem verkörperte, was die Vertreter der freien Marktwirtschaft für gut und richtig hielten: Dr. Gerhard Beil, Staatssekretär im Aussenwirtschaftsministerium der DDR und somit Vertreter eines totalitären Staates, mit dem man grundsätzlich nichts zu tun haben wollte – zumindest offiziell.

«Einladung in kleinem Kreis»

Der Vorort, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, der das Diner zusammen mit den Grossbanken organisierte, hatte sich schon Monate zuvor beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) versichert, dass das Treffen unter grösstmöglicher Diskretion stattfinden würde. Dem Wunsch der heutigen Economiesuisse wurde entsprochen: «Selbstverständlich werden wir – soweit es an uns liegt – Ihrem Wunsche Rechnung tragen, wonach Ihre Einladung in kleinem Kreis und ohne grosse Publizität durchgeführt werden sollte», versicherte das EVD umgehend. Was beim Treffen herauskam, ist nicht bekannt. Doch der Zweck war klar: Wie konnte die Schweizer Wirtschaft dem Honecker-Regime wirtschaftlich beistehen – und wie konnte man vom Deal am meisten profitieren?

Die grossen Abwesenden am Geheimtreffen im Zürcher Nobelhotel waren die Vertreter der Chemie- und Pharmaindustrie. Sie hatten DDR-Staatssekretär Gerhard Beil bereits am Vortag bei sich zu Gast gehabt – exklusiv. Beil verbrachte einen Tag bei Ciba-Geigy in Basel, ass mit den Spitzen von Ciba-Geigy und Sandoz im Direktionsrestaurant Rosenthal am Ciba-Hauptsitz zu Mittag. Das hatte seine Gründe, wie Recherchen des Beobachters jetzt zeigen: Die Schweizer Chemie- und Pharmabranche – insbesondere Ciba-Geigy – war damals mit der DDR bereits bestens im Geschäft. Ciba liess dort bis Ende der achtziger Jahre gegen Westdevisen umfangreiche Medikamententests durchführen, unter teils menschenunwürdigen Zuständen (siehe Artikel «Medikamentenversuche: Wie Schweizer Pharmafirmen DDR-Patienten ausnutzten»).

Wie bereits zu den fragwürdigen Medikamentenversuchen will Novartis, die Nachfolgefirma von Ciba-Geigy und Sandoz, nichts zu den ausgedehnten Gegengeschäften mit der sozialistischen Diktatur sagen. Die Akten, die der Beobachter in Archiven in Bern, Zürich und Berlin fand, zeigen aber: Ciba-Geigy hatte unter Verwaltungsratspräsident Louis von Planta am 1. Dezember 1976 mit dem Arbeiter-und-Bauern-Staat einen wirtschaftlich lukrativen, aber politisch denkwürdigen Vertrag abgeschlossen. Für vier Jahre vereinbarte man mit der DDR Geschäfte im Umfang von 400 Millionen Franken. Das entspricht heute 800 Millionen Franken.

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Pillen gegen Polstergruppen

Dass die DDR-Führung nur 14 Tage zuvor mit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann in Europa für Empörung gesorgt hatte, kümmerte die Ciba-Spitze nicht. Vorsichtshalber erwähnte man die Geschäfte mit dem Honecker-Staat aber nicht in der Öffentlichkeit: In den Ciba-Jahresberichten wurden die Geschäfte mit osteuropäischen Ländern jeweils in mageren drei Sätzen abgehandelt. Der lukrative 400-Millionen-Deal ist nirgends erwähnt.

Die chronisch klamme DDR kam über den Vertrag nicht nur zu harten Währungen, sie sicherte sich auch den Zugang zu Chemie- und Pharmaprodukten aus dem Westen. Ciba-Geigy ihrerseits festigte mit dem Vertrag von 1976 die Stellung als einer der wichtigsten westlichen Handelspartner der Branche. Der Basler Konzern konnte nicht nur Medikamente verkaufen, sondern auch chemische Produkte für die Landwirtschaft oder für Farben absetzen.

Ein Problem für Ciba-Geigy: Der Arbeiter-und-Bauern-Staat beharrte auf Gegengeschäften. Konkret: Statt mit Devisen zahlte die DDR mit Produkten aus heimischer Produktion. Doch ihre chemischen Produkte entsprachen nicht den Wünschen der Basler. Deshalb musste Ciba-Geigy auf branchenfremde Produkte ausweichen. Zu den wichtigsten Exportprodukten Ostdeutschlands gehörten damals Möbel – also griff der Chemiemulti auch hier zu. In einem Brief an die Branchenorganisation Schweizerische Gesellschaft für Chemische Industrie (heute Scienceindustries) schrieb die Ciba-Spitze am 22. Mai 1978: «Eine traditionelle Basis unserer Beteiligungen an Nicht-Chemie-Geschäften bildet der Import von DDR-Möbeln.» Den Jahresumsatz bezifferte Ciba-Geigy auf vier bis fünf Millionen Franken.

Ciba-Geigy wurde so zum Möbelhändler. Ende der siebziger Jahre war sie für rund ein Prozent der Schweizer Möbelimporte verantwortlich – ein Geschäftszweig, der ihr aber Sorgen bereitete: Die Möbel aus der DDR würden mit Zöllen bis zu 30 Prozent belastet, beklagte sich Ciba-Geigy bei der Branchenorganisation: «Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie das Problem den zuständigen Behörden zum Studium unterbreiten würden.»

Handel via Generalimporteur

In den Schweizer Handel gelangten die DDR-Möbel über den Möbelgrosshändler A. Schwarz AG aus Murgenthal. Die Firma hatte mit der DDR einen Exklusivvertrag für den Vertrieb in der Schweiz. Und so landeten Polstergruppen, Tische und Stühle bei Schweizer Kunden, ohne dass diese je von den Schattengeschäften der Ciba-Geigy erfahren hätten. Bis heute weiss die Öffentlichkeit nichts davon – sogar in der Möbelbranche reiben sich heute einstige Kaderleute die Augen, wenn der Beobachter sie mit den Recherche-Ergebnissen konfrontiert. «Möbel Pfister hatte nie Produkte aus der DDR im Sortiment», sagt Helmut Hillen, in den achtziger Jahren Direktionsmitglied bei Pfister. Hillen spricht von einer «grundsätzlichen Ablehnung von Importen aus dem Ostblock».

Das Problem der DDR-Möbelproduktion: Die sogenannten Volkseigenen Betriebe (VEB) griffen wegen Arbeitskräftemangels oft auf Häftlinge zurück. Weil das DDR-Regime zwischen kriminellen und politischen Gefangenen keinen Unterschied machte, wurden auch politische Häftlinge als Hilfskräfte eingesetzt. In einem externen Untersuchungsbericht des Möbelkonzerns Ikea, der letztes Jahr seine DDR- Vergangenheit aufarbeitete, heisst es dazu: Die Strafanstalten seien entweder als Zulieferer von VEB tätig gewesen oder hätten Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. «Der Staat bediente sich auch inhaftierter Personen, die nach heutigem Verständnis zu Unrecht verurteilt und inhaftiert waren.» Daraus wird klar: Da der Arbeitskräftemangel die ganze DDR-Möbelindustrie betraf, muss man davon ausgehen, dass politische Gefangene auch für die von Ciba-Geigy bis Anfang der achtziger Jahre importierten Möbel arbeiten mussten.

Der Beobachter wollte von Novartis wissen, wie Ciba-Geigy sicherstellte, dass die importierten Möbel nicht von politischen Häftlingen gezimmert worden waren. Doch auch dazu schweigt Novartis.