Wohl nirgendwo ist das Feld für Meinungsverschiedenheiten so ergiebig wie im Strassenverkehr. Sei es auf der Unfallstelle, am Stammtisch oder zu Hause unter Familienangehörigen: Zu einzelnen Fragen im Strassenverkehrsrecht geistern ganz unterschiedliche Behauptungen herum. Aber welche stimmen und welche sind frei erfunden? Der Beobachter liefert die richtigen Antworten:

Auch wenn ich mit einer Freisprechanlage telefoniere, kann ich bestraft werden.
Richtig. Zwar ist nur das Verwenden eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung strafbar - und zwar mit einer Busse von 100 Franken. Daraus ergibt sich aber kein Freibrief für das Telefonieren am Steuer mit einer Freisprechanlage. Kann die Polizei etwa aufgrund Ihrer Fahrweise feststellen, dass Sie wegen eines Telefongesprächs nicht bei der Sache - nämlich dem Fahren - sind, droht eine Busse wegen Unaufmerksamkeit am Steuer.

Wenn ich angetrunken auf dem Beifahrersitz mitfahre, bleibe ich immer straflos.
Falsch. Grundsätzlich macht sich nur der Lenker eines Motorfahrzeugs strafbar, wenn er alkoholisiert unterwegs ist. Der Beifahrer kann nicht wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestraft werden. Anders sieht es aus, wenn der Beifahrer selbst zum Lenker wird: Wenn Sie in alkoholisiertem Zustand eingreifen - indem Sie zum Beispiel die Handbremse ziehen oder das Lenkrad herumreissen -, müssen Sie mit Konsequenzen rechnen.

Schon mit 0,5 Promille Alkohol im Blut drohen Sanktionen.
Richtig. Bereits eine Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille gilt als Grenzwert für das Fahren in angetrunkenem Zustand. Wer seither mit 0,5 Promille und mehr Alkohol im Blut am Steuer erwischt wird, gilt unwiderlegbar als fahrunfähig und muss mit einer Busse rechnen. Wer sogar mit 0,8 Promille und mehr im Blut unterwegs ist, begeht eine schwere Widerhandlung; es drohen eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Zudem verfügt das Strassenverkehrsamt einen Führerausweisentzug von mindestens drei Monaten.

Ich darf immer so schnell fahren wie die allgemeine oder signalisierte Höchstgeschwindigkeit.
Falsch. Die geltenden Höchstgeschwindigkeiten sind nicht absolut: Sie müssen das Tempo immer den Umständen anpassen - ganz besonders den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Das heisst konkret: Sie dürfen nur so schnell fahren, dass Sie innerhalb der überblickbaren Strecke noch halten können. Das Bundesgericht hat in einem wegweisenden Entscheid festgehalten, dass 120 km/h nachts auf der Autobahn eindeutig zu schnell sind, weil man mit dieser Geschwindigkeit auf Sichtweite gar nicht mehr anhalten kann.

Bei Stau darf ich auf dem Pannenstreifen bis zur nächsten Ausfahrt fahren.
Falsch. Der Pannenstreifen ist kein zusätzlicher Fahrstreifen; er ist vorgesehen für Stopps bei einem technischen Defekt und anderen Notfällen. Das hat das Bundesgericht in einem Entscheid bestätigt: Wer im Stau auf den Pannenstreifen ausweicht, um an der nächsten Ausfahrt die Autobahn zu verlassen, verletzt sowohl das Verbot des Rechtsüberholens wie auch dasjenige der Benützung des Pannenstreifens. Es drohen eine saftige Strafe und ein Ausweisentzug.

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Wenn ich anhalte und im Fahrzeug sitzen bleibe, gilt das bereits als Parkieren.
Richtig. Als Parkieren gilt das Anhalten des Fahrzeugs, das weder einen Nothalt darstellt, noch dem Ein- und Aussteigenlassen von Personen oder dem Güterumschlag dient. Massgebend ist also primär der Zweck des Halts und nicht die Zeitspanne. Es spielt auch keine Rolle, ob Sie im Auto sitzen bleiben oder - verbotenerweise - den Motor laufen lassen.

Auf Privatgrund darf man Autos von Fremden ohne Vorwarnung abschleppen lassen.
Falsch. Als Eigentümer, Mieter oder Pächter eines Grundstücks können Sie zwar selbst entscheiden, ob Sie illegal parkierte Autos abschleppen lassen wollen. Zu eigenmächtiges oder übertriebenes Vorgehen kann sich aber als Bumerang erweisen - vor allem, wenn sich der Fahrer des abgeschleppten Wagens gegenüber dem Abschleppdienst weigert, die Kosten zu bezahlen. In diesem Fall müssen Sie als Auftraggeberin oder Auftraggeber dafür einstehen. Zwar können Sie versuchen, die Kosten auf dem Gerichtsweg vom Parksünder zurückzufordern. War Ihr eigenes Verhalten aber unverhältnismässig - zum Beispiel, weil Sie den Halter ganz einfach hätten ausfindig machen können -, besteht ein gewisses Risiko, dass Sie mit Ihrer Schadenersatzklage nicht durchkommen.

Mein Arzt darf meine Fahrunfähigkeit ohne mein Einverständnis dem Strassenverkehrsamt melden.
Richtig. Zwar gilt für Ärzte das Berufsgeheimnis. Dieses erfährt aber im Strassenverkehr eine wichtige Ausnahme: Gemäss Strassenverkehrsgesetz kann jeder Arzt Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheiten, Gebrechen oder wegen Süchten zur sicheren Führung von Motorfahrzeugen nicht fähig sind, dem Strassenverkehrsamt melden.

Die Polizei muss auch gerufen werden, wenn die bei einem Unfall verletzte Person das überhaupt nicht will.
Richtig. Verkehrsunfälle mit Verletzten müssen der Polizei immer gemeldet werden. Nicht einmal die Einwilligung des Verletzten entbindet Sie von dieser Pflicht. Die Meldung unterlassen dürfen Sie nur bei kleinen Schürfungen oder Prellungen - oder wenn nur Sie selbst als Fahrzeuglenker oder Ihre Familienangehörigen geringfügig verletzt und keine Drittpersonen involviert sind. Allerdings sind diese Ausnahmebestimmungen zurückhaltend anzuwenden. Im Zweifelsfall sollten Sie die Polizei benachrichtigen.

Wenn bei einem Unfall nur Blechschaden entstanden ist, muss ich die Polizei nie rufen.
Falsch. Wenn die geschädigte Person - zum Beispiel der Halter eines parkierten Autos - nicht anwesend ist, müssen Sie sofort die Polizei benachrichtigen. Das heisst: Sie können nicht frei entscheiden, wie und wann Sie sich beim Geschädigten melden wollen. Das gilt selbst dann, wenn der Unfall mitten in der Nacht stattgefunden hat. Wichtig: Wenn eine am Unfall beteiligte Person anwesend ist und auf den Beizug der Polizei besteht, müssen Sie ebenfalls auf der Unfallstelle verharren, bis die Beamten eingetroffen sind.

Wenn ich an einem Unfall nicht beteiligt bin, muss ich auch nicht helfen.
Falsch
. Auch Unbeteiligte - allen voran Mitfahrende und Zeugen - dürfen den Beteiligten auf der Unfallstelle nicht einfach beim Helfen zuschauen. Das Gesetz verpflichtet auch sie zur Mithilfe. Insbesondere sollten sie bei herabgefallener Ladung, ausfliessendem Öl, Verkehrshindernissen oder anderen Gefahren sofort Sicherheitsmassnahmen treffen, Ambulanz und Polizei rufen, den Verkehr sichern und die Unfallsituation auf der Strasse einzeichnen. Zur Ersten Hilfe sind Sie als unbeteiligte Person dagegen nur verpflichtet, soweit es Ihnen zumutbar ist.

Wenn ich wegen eines Notfalls zu schnell fahre, mache ich mich nicht strafbar.
Falsch
. Nur wenige Notfälle rechtfertigen eine Geschwindigkeitsüberschreitung: Es muss eine unmittelbare und nicht anders abwendbare Gefahr vorliegen. Konkret: Wegen einer Schnittverletzung, die nicht lebensgefährlich ist, dürfen Sie mit Ihrer Fahrt ins Spital keine Menschenleben aufs Spiel setzen. Geben Sie trotzdem zu viel Gas, müssen Sie mit happigen Konsequenzen rechnen. Ein Druckverband wäre angemessener gewesen.

Auf engen Bergstrassen hat grundsätzlich das aufwärts fahrende Fahrzeug Vortritt.
Richtig
. Auf Bergstrassen und steilen Strassen muss grundsätzlich das abwärts fahrende Fahrzeug zurückfahren, sofern nicht das andere näher bei einer Ausweichstelle ist. Ausnahme: Treffen Fahrzeuge verschiedener Typen aufeinander, muss das leichtere zurückfahren.

Die Polizei darf mich auch kontrollieren, wenn sie keinen Verdacht hat.
Richtig
. Die Polizei darf allgemeine Verkehrskontrollen durchführen: Sie müssen also damit rechnen, auch ohne konkrete Verdachtsmomente angehalten und kontrolliert zu werden. Dabei dürfen die Beamten bei Ihnen auch einen Atemalkoholtest durchführen, ohne dass Sie Anzeichen einer Alkoholisierung zeigen.

Nur wenn mein Fahrverhalten zu einem Unfall führt, muss ich mit Strafe und Ausweisentzug rechnen.
Falsch. Dass bei dem fehlerhaften Fahrmanöver nichts passiert ist, spielt für die Strafbarkeit keine Rolle. Die Verkehrsregeln wollen ja gerade vermeiden, dass es zu gefährlichen Situationen oder gar zu Unfällen kommt. Für die Bestrafung reicht deshalb bereits eine abstrakte Gefährdung. Diese liegt vor, wenn durch Ihr Fahrverhalten eine erhöhte Möglichkeit für einen Unfall geschaffen wird. Halten Sie sich zum Beispiel nicht an die Vortrittsregeln, schaffen Sie allgemein die Gefahr, mit einem vortrittsberechtigten Fahrzeug zusammenzustossen.

Mehr zu Verkehrsregeln bei Guider

Zu Verkehrsregeln existieren viele Mythen bei Fahrzeuglenkern. Guider räumt mit Unsicherheiten auf: Beobachter-Abonnenten informieren sich hier nicht nur über aktuelle Änderungen im Strassenverkehrsrecht, sondern sehen zum Beispiel auch im Bussenkatalog, wie hoch die Geldstrafe je nach Geschwindigkeitsüberschreitung ist.