Eltern müssen ihre Kinder finanziell unterstützen, bis diese volljährig sind oder eine angemessene Erstausbildung abgeschlossen haben. Das regelt das Zivilgesetzbuch ZGB in Art. 277 Abs 2. Was unter der «angemessenen Ausbildung des Kindes» genau zu verstehen ist, steht nirgends im Gesetz und ist daher aufgrund des Einzelfalles zu entscheiden. Im Weiteren soll der Unterhaltsbeitrag den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen.

Nun hat das Bundesgericht im Fall eines Studenten diese Bestimmungen präzisiert. «Studienjahre sind keine Herrenjahre», kommentiert Helena Ott, Expertin Fachbereich Familie im Beobachter-Beratungszentrum, das neuste Urteil des Bundesgerichts (5A_481/2016).

Ein Student (und seine Mutter) wollen mehr Geld

Und um diese komplexe Geschichte geht es: Ein 22-jähriger Student der HSG in St. Gallen wohnt bei seiner Mutter in der Nähe von St. Gallen, der Vater in der Nähe des Bodensees. Die zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hatte nun zu entscheiden, in welcher Höhe der junge Mann bis zum Abschluss des Masters Unterhaltszahlungen vom Vater erhalten soll. Die Vorinstanzen legten den monatlichen Bedarf des Studenten bei 1635 Franken pro Monat fest, der Sohn forderte aber eine Aufstockung auf 1830 Franken. Ausgehend von diesem Betrag wird die Höhe der Unterhaltszahlung berechnet, die derzeit bei 530 Franken liegt.

Zudem soll der Vater dazu verpflichtet werden, dem Sohn weitere 320 Franken monatlich zu bezahlen, falls er eines Tages bei der Mutter ausziehen sollte.

Rechenbeispiel für Unterhaltszahlungen

So hat das Gericht im vorliegenden Fall den Bedarf des Studenten berechnet:

  • Grundbetrag: 850.–
  • Krankenkassenprämie: 255.–
  • Fahrtkosten: 100.–
  • Verpflegung auswärts: 50.–
  • Semestergebühren: 205.–
  • Weitere Studienkosten: 100.–
  • AHV-Beitrag: 40.–
  • Militärpflichtersatz: 35.–
  • Total: 1635.–


Abgezogen wird ein hypothetischer Lohn von 500.– sowie eine Ausbildungszulage von 250.–. Damit bleiben 885.– übrig. Da das jeweilige Vermögen der beiden Elternteile nicht weit auseinander liegt, steht das Verhältnis der Unterhaltspflicht bei 60:40. Der Vater bezahlt folglich 530.– pro Monat, die Mutter 355.–. In der Abrechnung fehlen die Mietkosten sowie die Kosten für die Verpflegung zuhause, da der Sohn die Möglichkeit hat, gratis beim Vater zu wohnen.

Aufschlussreich war die Aussage des Sohnes vor Gericht, dass seine Mutter hinter dem Verfahren stehe. Nur vordergründig geht es um die Wohnsituation des jungen Mannes. Kern des Verfahrens ist ein noch nicht beigelegter Streit der seit mehr als 15 Jahren geschiedenen Eltern. Die Mutter vermutet beim Vater verstecktes Vermögen in Millionenhöhe, das im Rahmen der Verhandlung publik werden sollte. Das Verfahren sei «initiiert worden, um eine richterliche Bestätigung für ihre Vermutung zu erhalten», anerkannte denn auch das Thurgauer Obergericht in seinem Urteil.

Den SBB-Fahrplan als Beweismaterial

Von einem solchen Vermögen war allerdings nichts zu finden, Mutter und Sohn blitzten vor dem Bundesgericht in ganzer Linie ab: Erstens wurde abgelehnt, dass der Vater mehr zahlen muss. Der Sohn mache Kosten geltend, die er gar nicht habe (etwa für mobiles Internet), und er könne auch kein Geld für Mahlzeiten verlangen, da er bei der Mutter gratis essen könne. Auch auf den Einwand, dass er bei der Mutter Miete bezahlen müsse, trat das Gericht nicht ein. Der Sohn habe die Möglichkeit, gratis beim Vater zu wohnen.

Darauf entgegnete der Student, die Wohnung des Vaters in der Nähe des Bodensees sei «zu weit weg» von St. Gallen, seinem Studienort. Hier befanden die Richter allerdings, dass es zumutbar sei, jeden Tag nach St. Gallen zu pendeln. Es sei im Online-Fahrplan der SBB einsehbar, dass für die Strecke rund 25 Minuten benötigt werden. Dass diese Fahrt länger dauere als vom Wohnort der Mutter nach St. Gallen (rund sieben Minuten), spiele keine Rolle. Es sei im Weiteren auch nicht nötig, dass der Student mehrmals am Tag pendeln müsse – er könne allfällige Freistunden an der Universität oder in St. Gallen überbrücken. Fazit: Egal ob der Sohn bei der Mutter wohnen bleibt oder auszieht, die Höhe der Unterhaltszahlungen wird sich nicht verändern. Die Gerichtskosten von 2000 Franken muss der Student bezahlen.

«Nachvollziehbares Urteil»

Für Beobachter-Expertin Helena Ott ist das Urteil nachvollziehbar – und wegweisend: «Weil es nur selten vorkommt, dass Kinder gegen ihre Eltern vor Gericht gehen und den Fall dann auch noch bis vor Bundesgericht ziehen, ist dieser Entscheid für die Auslegung dieses Artikels besonders wichtig». Der Entscheid zeige exemplarisch, dass der Sohn die Gratis-Wohnmöglichkeit bei den Eltern akzeptieren muss, sofern dies einigermassen zumutbar sei. Falls er mehr Geld zur Verfügung haben wolle, müsse er – wie viele andere – einen Nebenerwerb finden.

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