90 Sekunden. Nicht viel, um das Resultat von anderthalb Jahren Arbeit vorzustellen. Prisca Müller zupft ihr Oberteil zurecht und stellt sich ins Scheinwerferlicht. «Hallo. Wir sind Weact. Mit unserer Online-Plattform können Firmen auf spielerische Art Energie sparen.» Mit jeder Sekunde wird die 24-Jährige ruhiger, aber nicht langsamer. Als der Gong das Ende ihrer Redezeit ankündigt, sagt sie: «Um unser Produkt umzusetzen, benötigen wir 200'000 Franken von Ihnen. Gerne reden wir bei einem Glas Wein über die Details. Vielen Dank.»

Das Publikum applaudiert. Prisca Müller und ihre Geschäftspartnerin Majka Baur atmen auf. Der Kurstag im Zentrum The Hub in Zürich ist geschafft. Den ganzen Tag über haben ihnen private Geldgeber Tipps gegeben, wie sie sich erfolgreich präsentieren können, um an Kapital zu kommen. Am Ende des Tages mussten die Vertreter der 15 Jungfirmen das Gelernte umsetzen – und sich und ihre Projekte in 90 Sekunden vorstellen.

Vor zwei Jahren noch hatten sich Prisca Müller und Majka Baur nicht vorstellen können, sich selbständig zu machen. Sie hatten es sich nicht zugetraut. «Wir wussten nicht, wie aus einer Idee ein Geschäftskonzept wird, hatten keine Ahnung von Betriebswirtschaft oder Marketing», sagt Baur. Die 26-Jährige kann noch immer nicht fassen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Vor zwei Jahren studierten die beiden Frauen Umweltwissenschaften an der ETH Zürich. In einem Workshop entwickelten sie eine Idee, wie sich auf simple Weise Energie sparen liesse. «Der Einzelne kann durch kleine tägliche Aktionen enorm viel bewirken», fanden sie: Computer und Drucker abends abstellen, Velo statt Auto fahren, vegetarisch statt Fleisch essen. In Teams sollten ETH-Studenten gegeneinander antreten und für ihre Gruppe möglichst viel Energie sparen.

2000 Franken Lohn gibts erst seit kurzem

Mit ihrer Idee gewannen die beiden den ersten Preis des Workshops, 20'000 Franken, und arbeiteten ein Projekt aus. Ihr erster Energiespar-Wettbewerb an der ETH wird ein voller Erfolg. Über 200 Studierende nehmen teil.

Die europäische Initiative Climate-Kic, die an der ETH ein Büro unterhält, nimmt das Frauenduo unter ihre Fittiche und bringt ihm das Einmaleins der Selbständigkeit bei. Müller und Baur fahren nach Holland und lernen, wie sich Geschäftsideen verkaufen lassen. Sie schreiben mit Hilfe eines Coachs einen Businessplan, gewinnen weitere Wettbewerbe, Geld und auch einen Arbeitsplatz für ein Jahr im Innovationslabor Hub Zürich. Dort treffen sich sogenannte Social Entrepreneurs, vernetzen und helfen sich, ihre Projekte vorwärtszutreiben. Social Entrepreneurs wollen gesellschaftliche Probleme lösen, mit neuen Ideen, auf unternehmerische Art. Sie suchen den Schulterschluss mit Wirtschaft und Staat, um rentable Lösungen zu finden. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Jungunternehmer wächst kontinuierlich.

Auch das Projekt von Majka Baur und Prisca Müller soll der Gesellschaft etwas bringen. Dafür arbeiten die zwei Frauen viel. Ihre Abende und Wochenenden verbringen sie nicht im Ausgang, sondern vor dem Computer und an Geschäftsanlässen. Statt lukrative Jobs anzunehmen, zahlen sie sich – seit kurzem – von den Preisgeldern einen Lohn von 2000 Franken im Monat aus.

Derzeit suchen die Jungunternehmerinnen für Pilotprojekte Partner aus der Privatwirtschaft. Es ist eine kritische Phase. Baur: «Bis jetzt bewegten wir uns im geschützten Rahmen.» Doch bald muss Geld von Kunden oder Investoren fliessen, damit die zwei ihre Online-Plattform ausbauen können, auf der künftig die Gruppenwettbewerbe laufen sollen. Sie müssen Firmen davon überzeugen, dass ihr Projekt sinnvoll ist – und Investoren davon, dass sich mit der Idee Geld verdienen lässt. Baur und Müller wollen Lizenzen für die Plattform an Firmen verkaufen und die Wettbewerbe betreuen. «Irgendwie sind immer 100 Baustellen gleichzeitig offen», sagt Müller. «Das macht manchmal müde, aber es fühlt sich richtig an, was wir tun.»

Jeder Zweite wäre gern sein eigener Chef

Selbständigkeit. Das heisst lange Arbeitstage mit viel Stress und Unsicherheit – bei erst mal gar keinem bis wenig Lohn. Und doch: Sein eigener Chef sein, das kann sich in der Schweiz fast jeder Zweite vorstellen. Die Zahl jener, die den Schritt wagen, steigt. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2010 rund 12'600 Firmen gegründet – ein Rekord. Andere Quellen zählen über 39'000 neue Unternehmen jährlich. Die Anzahl variiert je nachdem, was als Neugründung definiert wird.

Einig sind sich die Experten, dass bei sogenannten Start-ups ein Boom zu beobachten ist. Start-ups werden – anders als das kleine Kosmetikstudio oder die Ein-Mann-Webdesignfirma – mit dem Ziel gegründet, zu wachsen und rasch erfolgreich zu werden. Aufstiege von Schweizer Start-ups wie Logitech, Hersteller von Mäusen und Tastaturen für Computer, oder der Plattform Deindeal.ch, die Gutscheine für Nagelstudios, Abendessen oder Reisen nach Riga oder Weggis vertreibt, stacheln zum Nachahmen an.

Doch es ist nicht allein die Hoffnung auf Ruhm und Geld, die das Interesse für die Selbständigkeit weckt und nährt. Es sei einfacher geworden, sich selbständig zu machen, sagen Fachleute. Das Angebot an Lehrgängen, die den Weg zur guten Geschäftsidee und darüber hinaus aufzeigen, ist in den letzten Jahren explodiert: Migros-Kurse, Start-up-Colleges, Gründerzentren, Online-Plattformen und Berater helfen bei Fragen rund um die Selbständigkeit.

Lehrlinge gründen Firmen in der Schule

Zudem fördern deutlich mehr staatliche Stellen und private Stiftungen den Sprung ins kalte Wasser. Bereits Mittelschüler und Lehrlinge gründen im Klassenzimmer als Übung Firmen, stellen Produkte her und bieten Dienstleistungen an (siehe «Mit 16 eine Firma gründen»). Hochschulen beraten und unterstützen ihre Studierenden heute systematisch und kostenlos. Schulen wie Stiftungen ermuntern die jungen Leute, ihre Ideen in Wettbewerben und Kursen zu entwickeln, und begleiten sie Schritt für Schritt. So fliessen Millionen von Franken, und die lassen Firmen wie jene von Majka Baur und Prisca Müller entstehen, ohne dass die Gründerinnen eigenes Geld einsetzen müssen.

Geld und viele gute Worte

Doch es könnte mehr getan werden, findet Rico Baldegger, Professor für Management und Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft in Freiburg: «Im Vergleich zum Ausland fangen wir in der Schweiz mit der Förderung relativ spät an. Es müsste noch mehr Angebote für Schülerinnen und Schüler geben.» Auch Michele Blasucci, der in Winterthur die Gründerplattform Startups.ch betreibt, relativiert die Anstrengungen der letzten Jahre: «In Deutschland erhalten Start-ups schnell einmal 20'000 Euro, damit sie einen Businessplan aufstellen können. Davon ist die Schweiz weit entfernt.» Hierzulande setze man vor allem auf kostenlose Beratung.

Den grossen Durchbruch schaffen die allerwenigsten der geförderten Firmen. Dennoch ist die Unterstützung – finanziell wie beratend – laut Experten sinnvoll. Denn viele möglicherweise gute Ideen würden sonst im Nichts versinken.

«Gerade die Startphase ist riskant», sagt Rolf Meyer, Leiter des Instituts für Unternehmensführung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Da sei es sehr schwierig, Investoren zu finden: «Es braucht Hilfe von anderer Seite.» Denn Start-ups schaffen Arbeitsplätze – und glänzen durch ihren Ideenreichtum. Gerade in einem rohstoffarmen Land wie der Schweiz gelten sie als Quelle für Wachstum und langfristigen Wohlstand. Durch Erfindungen entstehen immer wieder neue Märkte wie jene für Videogames oder Apps für Smartphones.

Aber: «Je innovativer ein Konzept, desto schwieriger ist es, abzuschätzen, ob die Idee Erfolg haben wird», sagt Volkswirtschaftler Meyer. Die meisten Institutionen, die Jungunternehmer unterstützen, entscheiden anhand von Erfahrungswerten, wem sie unter die Arme greifen. Objektive Erfolgsfaktoren zu eruieren ist schwierig. Experte Rico Baldegger beurteilt das Unterstützungswesen durchaus kritisch: «Ob es sich wirklich lohnt, jede kleine Neugründung zu unterstützen? Ich kann es nicht sagen.»

Viele arbeiten zuerst in einer Grossfirma

Laut Baldegger wagt nur ein Bruchteil der Studierenden noch während oder gleich nach dem Studium den Schritt in die Selbständigkeit. Den Grund sieht er darin, dass Hochschulabgänger in der Schweiz – anders als im Ausland – oft gut verdienen, wenn sie sich von Grossfirmen anstellen lassen. Der typische Firmengründer in der Schweiz ist daher nicht Student, sondern ein Akademiker, der zuerst Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt gesammelt hat. Der Gedanke, eine eigene Firma zu gründen, kommt bei vielen später auf.

Die Unternehmensgründer sind in den letzten zehn Jahren eher älter geworden, hat Rolf Meyer von der Fachhochschule Nordwestschweiz in seiner Befragung von rund 330 «Jungunternehmern» festgestellt. 1999 lag das Durchschnittsalter bei 38 Jahren. Zehn Jahre später wird der Wunsch nach der eigenen Firma erst mit 41 umgesetzt – meist von Männern. Allerdings holen die Frauen auf. Jede fünfte Firma wird heute von einer Frau gegründet.

Laut Michele Blasucci von der Gründerplattform Startups.ch stehen gerade bei Unternehmerinnen Erfüllung und Flexibilität auf der beruflichen Wunschliste deutlich vor finanziellem Erfolg. «Dank dem Internet können sie den Schritt in die Selbständigkeit heute viel lockerer wagen. Denn für viele Geschäftsideen im Dienstleistungsbereich braucht es fast oder gar keine Infrastruktur mehr.»

Sie bringt Kinder und Karriere unter einen (Party-)Hut: Gertrud Angerer Tschopp

Quelle: Christian Schnur

Etwa wenn man einen Online-Shop betreibt wie Yasemin Diethelm und Gertrud Angerer Tschopp. Die beiden sitzen zwischen drei Kindersitzchen an Angerers Küchentisch. In der Küche wie im restlichen Haus sind die Wände bunt gestrichen. Die 38- und die 44-Jährige mögen es fröhlich. Ihre Vorliebe zeigt sich auch in ihrem Geschäft. Auf ihrer Plattform Pinkfisch.ch verkaufen sie «endlich das, was wir selbst schon immer gern kaufen wollten» – alles für eine richtig bunte Party. Von Einladungskarten, Tischdekorationen, Trinkhalmen, Helmen für mutige Ritter über Servietten, Becher bis zu Girlanden, in allen möglichen Farben und Mustern.

Kennengelernt haben sich die zwei Frauen bei der Arbeit auf der Bank. Als die Kinder kamen, wuchs die Unzufriedenheit im Job. Angerer, die inzwischen vierfache Mutter ist, sagt: «Auch wenn ich 120 Prozent arbeitete, hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich einmal früher heimmusste, weil ein Kind krank war.» Auch Diethelm, die eine Tochter und einen Sohn hat, war genervt: «Immer diese Sprüche: ‹Wie läuft es an der Windelfront?› Unmöglich.»

Dann arbeiten, wenn die Kinder schlafen

Das förderte die Lust auf etwas Eigenes, auf etwas mit «mehr Farbe». Das betriebswirtschaftliche Wissen dazu hatten sich die Frauen als Angestellte erarbeitet. Doch die eigene Geschäftsidee musste zeitlich flexibel und durfte örtlich nicht gebunden sein. Die beiden Ex-Bankerinnen wollten abends arbeiten können, wenn die Kinder im Bett waren, und keine Präsenzzeiten in einem Laden haben. Der Online-Shop war die Lösung.

Eine Beraterin coachte die Mütter. Mit ihr besprechen sie sich auch heute noch alle paar Monate. «Es ist enorm wichtig, dass man eine neutrale Person hat, die das Ganze von aussen betrachtet und einem immer wieder Hinweise gibt», sagt Yasemin Diethelm. So schrieben die Frauen ein Papier, in dem sie zu Beginn definierten, was ihnen wichtig ist an ihrem Geschäft – hübsche Verpackungen etwa – und wie sie miteinander umgehen wollen, wenn sie uneins sind oder eine aussteigen will. «Wir haben zu viele Freunde gesehen, die sich beim gemeinsamen Geschäften zerstritten haben», sagen die beiden.

Wichtige Regel: Kosten tief halten

Bislang vertragen sie sich aber bestens, obwohl sie schon schwierige Zeiten hatten. So war Angerer, kurz bevor die Plattform im Frühling 2012 online gehen sollte, schwanger – und brach sich den Oberschenkel. Aber mit der Plattform klappte alles. Inzwischen ist das Geschäft selbsttragend, auch weil die Unternehmerinnen die Kosten tief halten und so viel wie möglich selber erledigen: Das Lager ist in Angerers pink gestrichenem Keller, beim Einpacken der Ware hilft ab und zu Angerers Gatte, Diethelms Ehemann hat die Homepage programmiert. Noch liegt kein Lohn drin. Aber die Frauen haben von ihren früheren Jobs noch Geld auf der Seite.

Sie würden ihre neue Aufgabe und die neue Freiheit und Flexibilität um nichts in der Welt wieder hergeben. Für beide ist klar: «Wir sind kein Nebenbei-Shop, wir sind ehrgeizige Unternehmerinnen.» 2013 wollen sie ihren Blog aktiver bewirtschaften und den Umsatz mindestens verdoppeln. Und bereits träumen sie vom Ausbau: Irgendwann wollen sie auch Partys organisieren, nicht nur das Zubehör liefern.

Im Internet auf Kundenfang

Frauen geschäften laut Volkswirtschaftler Meyer insofern erfolgreicher als Männer, als ihre Firmen eine wesentlich höhere Überlebensquote haben. Michele Blasucci von Startups.ch bestätigt das: «Frauen kommen sehr viel besser vorbereitet als Männer zu den Beratungsterminen. Die Gespräche dauern länger, sie fragen mehr zurück und wollen präzisere Auskunft als Männer. Ausserdem setzen Frauen vor allem auf risikoärmere Ideen und bleiben sehr realistisch, was Angestellte und den finanziellen Erfolg betrifft.»

Auch die beiden Unternehmerinnen mit ihrem Online-Shop. Angst vor dem Scheitern haben sie nicht. Angerer sagt: «Jobs bei einer Bank sind heute auch nicht mehr sicher. Ehemalige Kolleginnen, die alles gaben für die Firma, sind vor die Tür gesetzt worden.» Experte Meyer geht davon aus, dass die Wirtschaftskrise den Wunsch nach Selbständigkeit eher noch fördert. «Allerdings überschätzen sich auch viele – gerade im Internetbereich.» Die meisten scheiterten an einer mangelhaften Marktanalyse und an fehlender Kundenakquisition.

Felix Steiner, Gründer des eingestellten Online-Dienstes Joinbox

Quelle: Christian Schnur

Wie Joinbox, eine Internetfirma, die es nicht schaffte. Felix Steiner war Student, als er zusammen mit Kollegen an einem Programm zu tüfteln begann. Die drei wollten eine Art elektronischen Briefkasten anbieten, in dem alle Nachrichten von Mails, Facebook, Xing und Twitter zusammenliefen. Voller Enthusiasmus mieteten die Mittzwanziger ein Büro und gaben Vollgas. Alle arbeiteten nebenher 50 Prozent, um die Miete und die Internetanschlüsse zu zahlen. Die Arbeitstage dauerten regelmässig von morgens um neun bis Mitternacht.

Die Hälfte der Gründer gibt auf

«Es war eine extrem anstrengende Zeit, aber es hat Spass gemacht», sagt Steiner. Trotzdem: Joinbox gibt es nicht mehr. Das Projekt scheiterte – wie viele. Etwa jede fünfte Gründung übersteht das erste Jahr nicht. Fünf Jahre nach dem Startschuss ist laut Bundesamt für Statistik gut die Hälfte der Firmen wieder verschwunden.

Steiner sucht nach Erklärungen: «Vielleicht waren wir zu detailverliebt und haben zu viel Zeit in die Entwicklung des Produkts und zu wenig ins Marketing investiert. Ausserdem ahnten wir nicht, wie schwierig es in der Schweiz ist, solche Projekte zu finanzieren.» Als während der Testphase Ende 2012 nicht wie erhofft 20'000 Registrierungen eingingen, sondern bloss 7000, beschlossen die Freunde, Joinbox zu beerdigen. «Wir bedauern, dass der Erfolg ausgeblieben ist. Aber wir bereuen nichts, wir haben viel gelernt.»

Ein Restaurant in der Garage

Aufgeben wollen die jungen Männer nicht. Sie planen bereits für März ein neues Projekt, wie Steiner sagt: «Wir sind schliesslich Unternehmer. Es fühlt sich einfach besser an, wenn man örtlich und zeitlich frei arbeiten kann und keinen Vorgesetzten hat. Auch wenn man unter dem Strich viel mehr arbeitet.» Ihre Erfahrung aus dem ersten Versuch wollen sie in den nächsten investieren.

Laut Fachmann Rico Baldegger ist das ein typisches Verhalten: «Wer heute mit einer Firma scheitert, sieht das als Erfahrung, nicht als Gesichtsverlust.» Zwar hat die Angst vor dem Scheitern 2012 bei den Schweizerinnen und Schweizern wieder zugenommen – aber laut Statistik bewegt sie sich inzwischen auf dem gleich tiefen Niveau wie in den innovationsfreudigen USA. «Ein Start-up muss nicht immer ein Kampf ums Überleben sein. Es ist heute oft auch ein spielerischer Versuch, der scheitern darf und aus dem man für den nächsten lernen kann», so Baldegger. Mit dieser Sichtweise nähere sich die Schweiz dem US-Trend des Seriengründers, der eine Geschäftsidee nach der anderen umsetzt.

Alles begann in einer Garage: Philippe Giesser (links), Christoph Emmenegger, Betriebsleiter, Simon Feigenwinter vom Hotel Wetterhorn

Quelle: Christian Schnur

Dass es spielerisch auch geht, zeigen die Betreiber des Hotels Wetterhorn. Philippe Giesser und Simon Feigenwinter tagträumten oft davon, nicht mehr als Gastwirte angestellt zu sein, sondern ihr eigenes Restaurant zu führen. «In der siebten Klasse hatten wir Berufswahlkunde», erinnert sich der 32-jährige Giesser. Er musste seinen Traumberuf auf einen Zettel schreiben und damit auf einen Stuhl steigen. Der Lehrer machte ein Foto. «Auf meinem Zettel stand: ‹Hotelier›.»

Von den ersten gemeinsamen Träumen des Teams, zu dem auch Heiri Michel gehört, bis zum ersten verkauften Menü vergingen anderthalb Jahre. Dann begann das Trio, inzwischen als Sinnvoll Gastro GmbH, eine leerstehende Garage auszubauen. Die drei hatten kaum begonnen, da standen die ersten Leute vor der Tür und hatten Hunger. Also kochte das Team aus dem Stegreif ein einziges Menü.

Sie sind beim Menü 1 geblieben

Das Konzept vom einen Menü aus frischen Zutaten ist geblieben, auch wenn die Sinnvoll Gastro GmbH inzwischen sieben Restaurants führt. Seit Dezember haben die Unternehmer ein Haus mehr, für das sie zuständig sind: das Hotel Wetterhorn in Hasliberg BE. Noch ist bei weitem nicht alles fertig. Für die Stromversorgung muss die EWR Energie AG eine zusätzliche Trafostation bauen und verlangt dafür eine Anzahlung von 100'000 Franken als Garantie. Gegenwärtig kommt der Strom noch vom Generator.

Das «Wetterhorn»-Team entscheidet und handelt mit einer pragmatischen Mischung aus Realismus und Wunschdenken. Für den neusten Traum stecken die drei Gastronomen nicht nur Rückschläge weg, sondern investieren auch viel Arbeit – und Geld. «Wir haben kein Budget für die ersten zwei Jahre», sagt Giesser offen. «Das würde keinen Sinn ergeben.» Natürlich könnten sie für die Kulturanlässe im Hotel unbekannte Bands für wenig Geld buchen. «Bloss bringen die dann auch nicht so viele Leute.» Bei viel Publikum übernachteten hingegen einige Besucher im Hotel. Giesser: «Von den Touristen allein können wir nicht leben.»

Für die Finanzierung greift das Team auf das zurück, was es mit seinem Gastroreich erwirtschaftet hat. «Zudem haben wir mit dem Besitzer einen für beide erträglichen Mietzins abmachen können», sagt Giesser. Er bilanziert: «Auch wenn manchmal alles zugleich schiefzugehen scheint: Wir würden es jederzeit wieder wagen.»

Warum ein Geschäft aufgegeben wird

In vier von zehn Fällen schlossen Schweizer ihre Firma wegen der finanziell desolaten Lage (Stand 2012)

Quelle: Christian Schnur
So viele gründen aus Angst vor dem Scheitern keine Firma

Anteil der 18- bis 64-Jährigen mit einer Geschäftsidee, der diese aber aus Angst vor einem Misserfolg nicht umsetzt (Stand 2012)

Quelle: Christian Schnur

Verein Yes: Mit 16 eine Firma gründen

Die Non-Profit-Organisation Yes (Young Enterprise Switzerland) ermöglicht Schülern zwischen 16 und 20, reale Firmen zu gründen und diese während eines Schuljahrs zu betreiben. Die Schülerinnen und Schüler handeln als Geschäftsführer oder als Finanzchef, hecken Produkte aus, stellen sie her und vermarkten sie.

Yes funktioniert als Verein, der sich über Mitgliederbeiträge und private Partner finanziert. Die Privatwirtschaft stellt zudem Branchenprofis frei, die während einer gewissen Zeit die Lehrkräfte der Schüler ersetzen. Yes sieht sich als Schnittstelle zwischen den Schulen und der Wirtschaft.

Im letzten Schuljahr machten rund 100 Teams bei Yes mit, im laufenden Schuljahr sind es bereits 150. Immer wieder gibt es Firmen, die nach dem Projektjahr weiterleben wie die Pnööö GmbH, gegründet 2011 von Gymnasiasten. Pnööö stellt aus alten Veloschläuchen Handyhüllen, Gürtel und Etuis her. Auch Primecut ist eine junge Firma, die auf Recycling setzt: Aus alten Strassenkarten entstehen Gürtel, aus Fahnenstoff Einkaufstaschen. Primecut ist ebenfalls dank der Unterstützung von Yes entstanden.