Reto Appenzeller und sein ehemaliger Lehrmeister Martin Metzler pflegen eine besondere Beziehung. «Während der Lehre war Martin wie ein Vater für mich», erzählt Landschaftsgärtner Appenzeller. «Oft bin ich nach der Arbeit nicht sofort nach Hause gegangen, sondern noch ein bisschen geblieben. Da haben wir nicht nur über das Geschäft geredet, ich konnte auch private Dinge mit ihm besprechen.»

Der enge Kontakt blieb auch nach der Lehre bestehen, als Appenzeller sich als Gärtner selbständig gemacht hatte. Eines Tages erzählte er Metzler, er müsse sich bald einen neuen Bagger für seine Firma kaufen. «Ach, warum kaufen? Bald kannst du meinen haben», scherzte Metzler. Die beiden lachten.

Mit 23 Jahren übernahm er die Firma

Doch ein paar Wochen später wollte es Appenzeller genauer wissen: «Du, wie hast du das damals gemeint mit dem Bagger?» Und so kamen sie ins Gespräch. «Für mich war immer klar: Man muss das Geschäft abgeben, wenn man noch gut ‹zwäg› ist», sagt Metzler. Er liess den Wert seiner Firma im zürcherischen Maur schätzen. Die Übernahme war nach kurzen Verhandlungen beschlossene Sache. «Anfang Jahr wusste ich noch nicht, dass ich meine Firma verkaufen würde. Ende Jahr war die Übergabe bereits vollzogen», erinnert sich Metzler.

Das war 2011, Metzler war 62, Appenzeller 23. Der Lehrling wurde zum Chef. Und stellte den ehemaligen Lehrmeister als Mitarbeiter an. Rund eineinhalb Jahre mit einem 80-Prozent-Pensum – «offiziell, denn tatsächlich waren es immer 100 Prozent», sagt Metzler. Danach reduzierte er auf 60 Prozent, heute ist er noch stundenweise dabei.

So schnell geht es nicht immer: Der Vorgänger hat bei einer Geschäftsübernahme im Schnitt noch 3,1 Jahre ein Büro im alten Betrieb, besagt eine aktuelle Studie der Universität St. Gallen. Und im Schnitt liegen rund zweieinhalb Jahre zwischen dem ersten Gespräch und der Übergabe des Geschäfts. Nur wenn der Nachfolger aus der Familie stammt, geht es schneller.

In den nächsten fünf Jahren wird rund ein Fünftel aller kleinen und mittleren Unternehmen der Schweiz den Besitzer wechseln – das sind über 50'000 Firmen. Sie bleiben immer seltener in der Familie. Die meisten Patrons verkaufen die Firma, weil sie das Pensionsalter erreichen oder aus gesundheitlichen Gründen.

Reto Appenzeller überzeugte Metzler bereits während der Lehre mit seinem grossen Einsatz und Interesse. Und er zeigte Führungsqualitäten. «Wenn ein Mitarbeiter fragte, wie er mit dem Lastwagen anfahren solle, konnte Reto ihm das genau sagen», sagt Metzler. Und die anderen hörten auf ihn. «Reto sagte schon immer: ‹Ich will meine eigene Firma!›» Daran arbeitete er bereits in der Schulzeit: Er fing mit kleineren Gärtnerarbeiten bei Verwandten, Nachbarn und Bekannten an, und bald kam er auf Dutzende Kunden, bei denen er Rasen mähte, Büsche und Sträucher stutzte – noch bevor er die Lehre überhaupt begann. Als es für ihn allein zu viel wurde, stellte er Schulkollegen an.

Weil Lehrmeister Metzler mit Appenzellers Leistungen stets zufrieden war, erlaubte er ihm, nebenbei eigene Kunden zu betreuen – er unterstützte ihn sogar, indem er Geräte zur Verfügung stellte. Im dritten Jahr riet er Appenzeller, für seine Arbeiten neben der Lehre dürfe er schon 50 Franken pro Stunde verlangen. Appenzeller setzte das sofort um – «Qualität hat eben ihren Preis». Von den rund 40 Kunden, die er während der Lehre betreute, sei ihm die Hälfte bis heute geblieben.

Nach dem Abschluss arbeitete Gärtner Appenzeller ein halbes Jahr bei Metzler weiter, dann gründete er eine eigene Firma. «Ich hätte es sinnvoll gefunden, wenn er vorher bei einem anderen Betrieb reingeschaut hätte», sagt Metzler. Doch Appenzeller liess sich nicht von seinem Plan abbringen.

«Er wollte Verantwortung übernehmen»

Eine ähnliche Geschichte erlebte Elektroinstallateur Arnold Trümpy aus Weisslingen ZH. Auch er übergab sein Geschäft seinem früheren Stift, Thomas Meyer. «Er wollte immer Verantwortung übernehmen», sagt Trümpy. Auch er liess sich vom Lehrling anstellen.

Trümpy plante seine Nachfolge zusammen mit der Abteilung für Nachfolgeregelung einer Bank. Er hatte viele langjährige Mitarbeiter. Mit 61 fragte er Thomas Meyer, ob er sich eine Geschäftsübernahme vorstellen könnte. Meyer war damals 24. Nach dem Lehrabschluss hatte er im Betrieb weitergearbeitet und sich stets fortgebildet, bis hin zur Meisterprüfung. Meyer sagte zu und wurde so für die nächsten fünf Jahre zu Trümpys Stellvertreter, bevor er Mitte 2013 voll übernahm. Trümpy arbeitet noch zwei Tage pro Woche mit.

Trümpy wollte sichergehen, dass Meyer das Geschäft reibungslos weiterführen kann. «Und das Wichtigste: Ich wollte, dass die Übergabe auch für die Mitarbeiter eine positive Sache wird – und sie der Firma trotz dem Wechsel treu bleiben», sagt Trümpy. Das ist ihm gelungen. Alle neun Mitarbeiter sind weiterhin dabei.

«Ich ziehe meine Linie durch»

Bei Appenzeller ist das anders: Von den fünf Mitarbeitern, die er 2011 übernahm, arbeitet keiner mehr für ihn. Er nimmt es nicht persönlich. «Sie konnten halt nicht damit umgehen, sich einem Jüngeren unterordnen zu müssen», sagt er. «Aber ich habe meine Linie, und die ziehe ich durch.» Das hat er Metzler abgeschaut. «Er war ein strenger Chef. Aber das muss man sein, sonst tanzen einem die Leute auf der Nase herum», sagt Appenzeller. Bei ihm gelten dieselben Regeln wie zuvor: genaues Arbeiten, Pünktlichkeit und nichts Angefangenes zurücklassen. Rauchen ist während der Arbeit verboten.

Appenzeller hatte mit diesen Regeln nie Probleme, sein jetziger Stift auch nicht. «Doch mit dem ersten musste ich nach sechs Monaten den Lehrvertrag auflösen, der war im falschen Job.» Es sei eh schwierig mit den Lehrlingen. «Heute musst du bei null anfangen. Du musst ihnen zeigen, wie sie die Hose anziehen müssen. Die reisst beim Bücken, wenn man sie in den Knien trägt.» Auch Pünktlichkeit sei nicht mehr selbstverständlich und dass man bei der Arbeit keine Kopfhörer trage. Dann klopft der Chef auf den Tisch.

Metzler ist mit der Arbeit seines früheren Lehrlings zufrieden. «Sicher hätte ich das eine oder andere Mal etwas anders gemacht», sagt er. «Aber für mich war immer klar: Es gibt nur einen Chef, und das ist Reto.» Auch eine weitere grosse Veränderung verlief reibungslos: Metzler übergab nicht bloss sein Geschäft an Appenzeller, sondern auch sein Haus, das neben der Werkstatt liegt. Das war Appenzellers Bedingung: «Wenn ich um 6 Uhr beginne und bis 22 Uhr arbeite, muss ich Lärm machen können. Ihn hätte das vielleicht nicht gestört, aber mich. Deshalb sagte ich: Alles oder nichts.»

Beobachter TV: Verzweifelt gesucht - Ein Nachfolger für meine KMU

In der Sendung vom 4. Mai 2014 berichtete Beobachter TV über zwei KMU-Betriebe, die einen Nachfolger suchen: Daniel Lehmann, Inhaber einer gut laufenden Metzgerei, und Marcel Aeschbach, Inhaber einer Firma für Bodenheizungen, mussten erleben, wie schwierig die Übergabe eines Unternehmens ist, wenn sich keine familieninterne Lösung findet. Beobachter-Berater Jürg Keim half, neue Interessenten zu gewinnen und eine Nachfolgelösung zu finden.

Sehen Sie sich hier die komplette Sendung an.