Der Stempel ist schwer zu entziffern. 4166 ... ...3057? Oder ...5057? Und was bedeutet diese Nummer? «Vielleicht ist es die Telefonnummer seiner Mutter», frotzelt der Nachbar, der sich die Sache genauer anschauen wollte. «Damit man im Notfall anrufen kann.»

Zu spät. Das tote Ferkel liegt auf dem steinernen Tisch. Es lächelt. Über dem linken Auge richten sich ein paar Borsten auf wie Halme auf einem unsauber abgeernteten Feld. Ansonsten ist die Haut glattrosa und kalt. Tot. Insgesamt ein seltener Anblick in Zürich-Wiedikon, und es dauert eine Weile, bis das Unbehagen sich legt.

«Wir braten ein Spanferkel. Allein für die Idee erntet man Blicke wie ein Raucher auf einem Kinderspielplatz.»

Du bist, was du isst – heute bin ich also ein Schwein, sogar ein feiges. Denn selber töten, das ginge schwer von der Hand. Ein Fisch oder ein Huhn – okay, vielleicht. Aber Ringelschwänzchen? «Verdammte Schweinebabymörder», steht in Online-Kommentaren unter Spanferkelvideos.

Bigotterweise bleibt das Töten und Ausnehmen darum dem Metzger überlassen. Nächstes Mal vielleicht.

Die tote Sau ist vorläufig Herausforderung genug. Vielen Leuten vergeht der Appetit bereits, «wenn man sieht, dass es ein Tier ist». Aber wenigstens das sollte aushalten, wer Fleisch essen will. Und das Spanferkel lässt niemanden vergessen, was hier bald über der Glut brät: ein Lebewesen. Wenigstens in dieser Hinsicht ist das Ganze eine ehrliche Sache. Also an die Arbeit.

Schritt 1: Material besorgen – viel Material

Spanferkelbraten ist eine wahre Materialschlacht. Im Laufe des Vormittags schleppen Dani und ich einen ganzen Ster Buchenholz an, von dem wir in den nächsten Stunden zwei Drittel verfeuern werden. Wir tragen den zentnerschweren Grill in den Garten, dann Spiess, Stützen, Elektromotor und das gusseiserne Zahnrad. Nachdem alles aufgebaut ist, feuern wir ein – und gehen Zutaten für die Marinade einkaufen. Dabei zeigen sich noch einmal die ungewohnten Dimensionen des Unterfangens: ein Glas Honig, ein Glas Senf, eine Flasche Wein, eine Flasche helles Bier und sechs zerdrückte Knoblauchzehen; zum Würzen Pfeffer, Salz und Paprika. Kurz nach Mittag ist alles bereit.

Schritt 2: Unmittelbare Vorbereitung

 

»Vor ein paar Tagen sei das Schwein noch fröhlich über eine Wiese gerannt, sagte uns der Metzger.»
 

Das Ferkel hat schon während des ganzen Morgens auf dem kühlen Boden der Waschküche gelegen. Dani hat es vom Metzger seines Vertrauens. Vor ein paar Tagen sei es noch fröhlich über eine Wiese in Hinwil gerannt, lässt der ausrichten. Lokal ist, wenns einem nahegeht, denke ich, während ich die kühle Flanke mit süssscharfer Marinade bepinsle.

Im Grill sind unterdessen ein halbes Dutzend Spälten zu Glut zerfallen. Das Ding sieht aus wie eine Futterkrippe für feuerfressende Höllenhunde. Die meterlangen Scheiter brennen hinter einem grob geschweissten Gitter nieder. Mit einem alten Rechen harke ich die Glut darunter hervor und verteile sie gleichmässig zu einem breiten Beet. Nun wirds ernst.
 

 

«Das Aufspiessen? Keine schöne Sache – es braucht viel Kraft, denn die Zunge ist im Weg.»

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Schritt 3: Aufspiessen und hochbinden

Wir legen die Hinterbeine des Ferkels rittlings auf die Stange und schieben den Spiess von hinten durch Speiseröhre und Maul. Dani stösst, ich halte das Schwein an den Beinchen dagegen, richte den Kopf aus. Keine schöne Sache – es braucht viel Kraft, denn die Zunge ist im Weg. Während ich versuche, die kalten Schweinefüsse nicht aus den Händen gleiten zu lassen, formt sich das üble Wort «Leichenschändung» in meinem Kopf. Meine Hose, Hände und Unterarme sind voller Marinade. Vielleicht hätten wir das Ferkel erst aufspiessen und dann einschmieren sollen. Nachdem die Klammern festgeschraubt und die Beine mit Bratschnüren hochgebunden sind, sieht das Ferkel ansehnlicher aus.

Schritt 4: Stundenlanges Niedergaren

Um kurz vor halb zwei hieven wir den Spiess samt gesalbter Sau auf die Stützen vor dem Grill und schalten den Elektromotor ein. Das kleine Zahnrad, das einst Lifttüren auf- und zugehen liess, dreht den Spiess gemächlich, so fünf- oder sechsmal pro Minute.

Die Gäste sind für 19 Uhr zum Essen eingeladen. Vier bis sechs Stunden über der Glut sollten laut Metzger für unser 14-Kilo-Ferkel reichen. Viel Zeit, aber es gibt alle paar Minuten was zu tun. Nach einer Viertelstunde ist das Schweinchenrosa einem gesunden Teint gewichen. Nachgelegtes Holz sorgt jedes Mal für einen Hitzeschub, weshalb wir den Spiess ein Stück weit vom Grill wegrücken. Und einige Minuten später wieder zurück.

Das Positionieren ist eine Frage von Zentimetern, denn Spanferkelbraten ist eigentlich Niedergaren. Die Haut darf nicht verkohlen, aber der Körper muss genug Hitze aufnehmen, damit das Fleisch durchgart.

Halbstündlich stoppen wir den Motor zum Marinieren; dazwischen träufelt Dani jeweils eine halbe Dose Weissbier darüber.

Nach und nach wird aus dem toten Tier ein Essen. Die Haut leuchtet nun goldbraun; über die Flanken kullern kleine Perlen aus flüssigem Fett.

So weit, so gut. Sorgen bereiten mir nur die Schultern und die Fleischschichten unter den hochgebundenen Vorderbeinen. Nicht durchgebratenes Ferkelfleisch ist fast so glibberig wie rohes Hühnerfleisch – ungeniessbar.

Nach fast fünf Stunden und neun Anstrichen hat sich die Honigmarinade in eine Glasur verwandelt. Äusserlich wirkt das Ferkel wie ein gut gebratener Cervelat. Unterdessen versammeln sich die Gäste. Die Nachbarin zeigt ihrem Vierjährigen das Ferkel von allen Seiten. «Hmmm», sagt der Sohn nach kurzem Zögern. Er strahlt.

Ich nicht. Das Fleischthermometer zeigt an manchen Stellen hartnäckig nur knapp 60 Grad. Das ist ganz niederes Garen. Den Gästen, aber auch dem Ferkel ist geschuldet, dass bei all dem etwas Gutes herauskommt. Für einen letzten Hitzeschub und eine knusprige Kruste rücken wir den Spiess noch einmal richtig nahe an die Glut.

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Schritt 5: Vom Spiess auf den Teller

Dann liegt das Ferkel auf dem Tisch, doch essbar ist das Tier noch nicht. Eine grobe Anleitung, wie Sie das Spanferkel effizient zerlegen können – vielleicht müssen Sie auch improvisieren:

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Auch mein Messer gleitet nun durchs Fleisch. Die Glasur schmeckt ausgezeichnet, nur leider ist die Haut nicht knusprig, sondern lederzäh. Also weg damit; ebenso mit Ohren, Schnörrli und Ringelschwanz. Am Kopf ist ausser den Bäckchen wenig zu holen, ebenso an den knochigen jungen Haxen. Aber an Flanken, Schultern und Schinken ist das Fleisch zart und wunderbar saftig – vor allem aber auch gar, durch und durch. Schwein gehabt.

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Schritt 6: En Guete!
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Autor: Balz Ruchti
Bild: Gerry Nitsch
Illustrationen: Beobachter/Anne Seeger