Wer länger in den Ferien war und seine Post zurückbehalten liess, ist froh um jede Zusendung, die nicht auch noch auf dem grossen Haufen gelandet ist. Nicht so Leute, die in einem juristischen Verfahren stecken: Für sie kann die Benachrichtigung, dass in ihrer Abwesenheit Gerichts- oder Betreibungsurkunden eingegangen sind, entscheidend sein. Denn daran sind oft Anfechtungsfristen geknüpft, von denen abhängt, ob die Betroffenen ihre Rechte wahrnehmen können oder nicht.

Empfänger bleibt ahnungslos

In dieses terminsensible System platzt eine Praxisänderung der Post. Neu werden Gerichtsurkunden, die länger als sieben Tage zurückbehalten werden müssten, unmittelbar nach dem Eintreffen retourniert – und zwar ohne den Empfänger darüber zu informieren. Die Konsequenz an einem Beispiel: Jemand lässt seine Post für zwei Wochen zurückbehalten. Am Ende der ersten Woche trifft eine Verfügung mit einer Einsprachefrist von 20 Tagen ein. Mangels Mitteilung der Post weiss der Ferienrückkehrer aber nichts vom Zustellungsversuch des Gerichts oder von der Strafverfolgungsbehörde. So verstreicht die Rechtsmittelfrist ungenutzt, obwohl die Zeit für eine Reaktion gereicht hätte.

«Dieses Vorgehen provoziert Rechtsunsicherheit», kritisiert Sergio Giacomini, Vizepräsident des Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV). Es sei «nicht akzeptierbar», dass die Post eine solche Änderung, die mit möglichen Rechtsverlusten einhergeht, ohne Absprache mit den Hauptbetroffenen treffe. Der SAV war über die Neuregelung lediglich in Kenntnis gesetzt worden – ganze vier Tage bevor sie in Kraft trat.

Nach bisheriger Praxis galten eingeschriebene Gerichtsurkunden am siebten Tag nach dem erfolglosen – jedoch per Abholungseinladung mitgeteilten – Zustellungsversuch als abgeholt. Auf Gesuch hin konnte diese siebentägige Abholdauer aber noch ausgedehnt werden, was wiederholt zu Unsicherheiten bei der Berechnung der Anfechtungsfristen geführt hatte. Aus diesem Grund verlangte das Bundesgericht von der Post, die Möglichkeit der Fristverlängerung zu unterbinden.

Bundesgericht ist unzufrieden

«Mit dem jetzigen Vorgehen haben wir eine Rechtsunsicherheit behoben», stellt denn auch Post-Sprecher Bernhard Bürki fest. Stimmt – aber gleichzeitig wurde eine neue geschaffen. Beim Bundesgericht ist man mit der Lösung jedenfalls unzufrieden. Die direkte Retournierung von Gerichtsurkunden ohne Benachrichtigung des Empfängers sei «keine Änderung, die wir beantragt haben», sagt Adjunktin Martina Küng.

Ob ein Zustellversuch nach dem neuen Modus im Streitfall als gültig angesehen würde, ist für juristische Experten offen. Laut Vizepräsident Sergio Giacomini beabsichtigt der Anwaltsverband darum, die Problematik «auf der höchsten Führungsetage der Post» zu klären. Fürs Erste empfiehlt er Betroffenen, auf Aufträge, die Post länger zurückzubehalten, zu verzichten.