Was kaum jemand zu hoffen gewagt hatte, trat am 15. September 1965 ein: Im Europacup der Cupsieger schlug der FC Sion Galatasaray Istanbul mit 5:1. Die Sensation war perfekt - aber nicht die einzige an diesem Tag. Denn da war noch das Vorspiel des Nachwuchses. Dem einstigen Spitzenspieler Norbert Eschmann fiel dabei der linke Mittelfeldspieler im Sion-Team auf. «Il a une bonne technique», lobte er den vermeintlichen Buben, der ein zwölfjähriges Mädchen war - nämlich ich. Zeitungen und Radio berichteten über diese Ungeheuerlichkeit. Fussball war damals eine ausschliesslich männliche Domäne; Mädchen und Frauen sollten sich als anmutige Geschöpfe der Gymnastik oder dem Ballett widmen.

Ich hatte einfach Glück gehabt. Kurz vorher hatte ich als erste weibliche Person vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) eine Lizenz ausgestellt bekommen - allerdings nur, weil mich auch der zuständige Funktionär für einen Buben gehalten hatte. Letztlich hatte ich meine Glückssträhne meinem Kollegen Gilbert zu verdanken. Begeistert erzählte er mir, er trainiere neuerdings beim FC Sion. Das empfand ich als zutiefst ungerecht. Als fussballverrücktes Mädchen hatte ich einfach null Chance, jemals in einer richtigen Mannschaft zu spielen. Gilbert hatte Mitleid und nahm mich mit ins Training. Der Nachwuchstrainer akzeptierte mich, und schliesslich stellte der SFV die Lizenz aus.

Ein Traum wird wahr

Nach dem ganzen Pressewirbel um das Mädchen im Vorspiel vom 15. September musste der SFV meine Lizenz allerdings zurückziehen: Die Statuten schlossen Frauen aus, wobei medizinische Gründe bemüht wurden. Mit den offiziellen Klubspielen wars fürs Erste vorbei, nicht aber mit dem Fussball. Dank Bekannten meiner Eltern fanden wir eine Schule in Lausanne, in deren Schulmannschaft ich mitspielen durfte. So trainierte ich dort jeden Mittwoch mit den Knaben; dafür brauchte es keine Lizenz. «Wenn dieses Mädchen ein Goal schiesst, werde ich Mönch», soll einer der Lausanner Lehrer geunkt haben. Da war es wieder, das alte Vorurteil: Im Fussball haben Mädchen nichts verloren, das ist Männersache.
Der Traum, einmal in einer richtigen Mannschaft zu spielen, liess mich nicht los. Wie durch ein Wunder verwirklichte er sich im Jahr 1969. Ein Anwalt suchte im Auftrag eines Mailänder Frauenfussballklubs Verstärkung für die Mannschaft. Er gelangte an meine Eltern, die von der Idee gleich begeistert waren. Scharenweise standen die italienischen Reporter und Fotografen auf dem Perron, als ich im Mailänder Bahnhof eintraf - für mich als Teenager ein umwerfendes Ereignis. So fuhr ich von 1970 bis 1974 einmal pro Woche nach Mailand. Trainiert habe ich in Granges VS.

Eltern wie meine, die ihre Töchter darin unterstützten, Fussball zu spielen, gab es damals nur wenige. Kolleginnen von mir wurde das Fussballspielen diskussionslos untersagt. Doch gerade diese Mädchen, die weniger Glück hatten als ich, begannen die männlichen Herrschaftsansprüche in Frage zu stellen - sogar im Wallis. «Wir müssen einen Frauenfussballklub gründen», schrieben mir 1969 drei Schülerinnen aus Sion. Mit Hilfe meines Vaters erreichten sie ihr Ziel: Der FC Valère Sion, der erste Frauenfussballklub im Wallis, wurde aus der Taufe gehoben.

In diesen Jahren entstanden in der ganzen Schweiz Frauenfussballklubs. Dass dies ein Teil der Frauenbewegung war, die nach 1968 stetig an Bedeutung gewann, realisierte ich damals nicht. Für mich stand einfach der Fussball im Vordergrund. Und mit ihm ging es aufwärts. Sogar die Funktionäre des Fussballverbands begriffen, dass der Damenfussball nun eine Realität war. Wobei erst der Druck der Frauen diese Erweiterung des männlichen Horizonts bewirkte.

Skandal-Schiedsrichter und Boykott

1970 fand in Salerno die erste inoffizielle Frauenfussball-Weltmeisterschaft statt; die Schweizer Nationalmannschaft bestritt das Eröffnungsspiel gegen Italien am 8. Juli 1970, meinem 17. Geburtstag. Das Spiel ging in die Fussballgeschichte ein: Der italienische Schiedsrichter begünstigte seine Landsleute nach allen Regeln der Kunst. Ein eindeutiges Tor von uns annullierte er, ein Offside-Tor der Italienerinnen anerkannte er. Sogar die italienische Presse prangerte die Methoden des «Unparteiischen» an. Als Folge davon nahm die Nationalmannschaft an der zweiten inoffiziellen WM in Mexiko nicht teil.

Die Länderspiele haben den Frauenfussball bekannt gemacht; Zeitschriften wie «Europeo» und «Il Tempo» brachten mehrseitige Bildberichte. Von einer südamerikanischen Zeitung erhielt ich sogar den Titel «Walliser Pele», eine Schweizer Zeitung sprach vom «weiblichen Köbi Kuhn».

Aus beruflichen Gründen beendete ich meine Karriere bereits mit 25 Jahren. Die Weiterbildung zur Sozialarbeiterin und meine Vollzeitstelle waren mit dem Fussball nicht länger vereinbar. Ganz losgelassen hat mich der Fussball jedoch nie. Zurzeit arbeite ich nebenamtlich für den Schweizerischen Fussballverband - jenen Verband, der einst von den Frauen nichts wissen wollte. Schön, dass ich gerade hier verantwortlich für den Damenfussball bin - für 23'000 aktive Fussballerinnen. Allein schon diese Zahl zeigt den Erfolg des Schweizer Frauenfussballs.

Quelle: Luca da Campo/Strates