«Weg wollte ich, raus aus dem Kreislauf von Arbeit und privaten Pflichten. Endlich einmal Ruhe haben», erinnert sich Therese Widmer aus Affoltern im Berner Emmental. Die Krankenschwester fröstelt noch heute beim Gedanken daran, wie erschöpft sie 1998 war, als sie das erste Mal im Zisterzienserkloster Abtei Hauterive in Posieux FR ankam.

Sie, in den Fünfzigern, beruflich in der Krise, reformiert und zu geschafft, um sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, dass sie jetzt als Frau an die Tür eines Männerklosters klopfte.

Die Mönche hat das nicht gestört. «Das war überhaupt kein Problem. Als Gast wurde ich herzlich empfangen und im Gästehaus untergebracht.» Damals blieb sie eine Woche lang. Fünf Mal hat die heute 60-Jährige den Weg seitdem wieder zurückgefunden, und «es ist stets ein wenig mehr wie heimkommen».

Endlich wieder durchblicken
Ob im Beruf oder in der Familie – Hektik und Überlastung gehören für viele Menschen zum Alltag. Selbst in den Ferien fällt das Abschalten oft schwer. Die einen versuchen es in der Natur, auf der sündlosen Alm oder in der Abgeschiedenheit der Wüste.

Anderen aber gehen solche Weiten ganz entschieden zu weit. Sie sehnen nicht nur Ruhe und Freiheit herbei, sondern ein geordnetes Plätzchen, das Sicherheit und Geborgenheit schenkt. Um endlich mal wieder durchzublicken – bei sich selbst und in der Welt.

«Kloster auf Zeit» ist ein Angebot, das dabei den Zeitgeist zu treffen scheint. Und weil die Nachfrage ständig steigt, bieten zahlreiche Klöster diese Möglichkeit an – meist Frauenorden für Frauen und Männerorden für Männer, doch längst nicht mehr ausschliesslich. Eingebettet in eine klösterliche Tagesstruktur, kann inmitten der Gemeinschaft oder im Gästehaus Orientierung finden, wer bereit ist, mindestens eine Woche lang auf Entzug zu gehen. Weg mit kopflosem Konsum und medialer Betäubung, stattdessen ein Mehr an Stille, Genügsamkeit und Selbstbeschäftigung.

Mit Überlebenstraining hinter Klostermauern hat das nichts zu tun. Vielmehr mit dem Blick hinter die eigene Fassade. Bloss: Wer sich auf sich selber besinnt, muss sich auch ertragen können. «Ich mache im Kloster nichts», erzählt Therese Widmer kurz und knapp. Nichts heisst für die sonst so geschäftige Frau Briefe schreiben, spazieren gehen, ein Buch zu Ende lesen, schlafen, auch beten. Ihren Tag strukturieren die Essens- und Gebetszeiten der Zisterzienser.

Die Konfession spielt keine Rolle
Den Gesang der Vigilien, zu dem die Mönche schon um 4 Uhr früh aufstehen, überlässt die Emmentalerin allerdings gern den Brüdern. Auch die Laudes um 6.30 Uhr sei für Gäste keine Pflicht. «Bei der Eucharistiefeier um 7 Uhr sollen wir aber dabei sein», erklärt sie. Ebenso wie bei der abendlichen Vesper und dem Nachtgebet, der Komplet. Pünktliches Erscheinen wird erwartet, auch Schweigen während der Tischlesung und die Mithilfe beim Auf- und Abdecken im Gästehaus. «Wenn all das mal nicht so hinhaut, reisst einem niemand den Kopf ab», weiss Therese Widmer. Es gehöre aber zum Respekt gegenüber den Brüdern, sich an die Regeln zu halten.

Diese sind je nach Kloster verschieden. Auch die Voraussetzungen für einen Aufenthalt variieren. Alter und Konfession spielen kaum eine Rolle, wohl aber, wie stabil die Psyche ist. Denn: Meist haben die Klöster schlicht keine Möglichkeit, fachkundige psychologische Betreuung zu bieten. Ein kurzes Vorgespräch lohnt sich darum allemal, und manch einer wird staunen, wie wenig weltfremd ihm die Brüder und Schwestern entgegentreten. Tief gläubig muss nicht sein, wer sich für einen längeren Aufenthalt interessiert, Offenheit gegenüber religiösen Fragen aber hilft.

Enttäuscht wird, wer als Gast im Kloster Askese pur erwartet. Auf steinernen Fussböden oder durchgelegenen Matratzen wird in der Schweiz niemand nächtigen müssen. Wie gross der Verzicht an Komfort und Kommunikation ist, hängt wiederum von Orden und Kloster ab. Wer Stille so gar nicht ertragen kann, ist bei den Kapuzinern kaum am richtigen Ort. Und wer an Abwechslung mehr als Mitarbeit in Haus und Garten braucht, findet vielleicht im Lassalle-Haus der Jesuiten in Edlibach ZG mit seinem grossen Bildungsangebot den rechten Fleck. Es muss auch nicht immer gleich «Kloster auf Zeit» sein. Wem lange Aufenthalte ins Unbekannte nicht geheuer sind, versucht es erst einmal mit einem Klosterwochenende oder mit Schnuppertagen. Angebote dafür gibts jede Menge.

So oder so, ein Klosteraufenthalt lohnt sich, ist Therese Widmer überzeugt. «Ich geniesse es unwahrscheinlich, Zeit zum Denken zu haben.» Vieles im Leben relativiere sich dann, und «man bemerkt, wie unachtsam man sich oft verhält und wie einfach es wäre, ein wenig mehr auf die anderen zu achten».

Klöster auf Zeit