Wenn Ettore Castella (Name geändert) in diesen Tagen am Genfer Autosalon seinen Auftritt hat, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. Der Mann ist eine elegante Erscheinung, und die Produkte, die er anpreist, lassen die Herzen von Autoliebhabern höher schlagen: elegante Sportwagen mit einem bärenstarken Motor, der in bloss 2,8 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt – erst noch emissionsfrei und fast geräuschlos.

Denn Ettore Castella hat nach eigenen Angaben eine Technologie entwickelt, die nichts weniger als der «Energieträger der Zukunft» sein soll: eine spezielle Brennstoffzelle, «vermutlich die erste Technologie, mit der sich grosse Mengen an Energie in einem Medium speichern lassen, das sich nicht zersetzt oder unter Abnutzungserscheinungen leidet». Statt Benzin brauchen Castellas Wunderautos zwei ionische Flüssigkeiten – eine Art Salzwasser –, die miteinander interagieren. Eine Tankfüllung soll für bis zu 600 Kilometer reichen. Das wäre deutlich mehr als alles, was Elektroautos bisher zu leisten vermögen.

Gute Gründe, weshalb Castella nun im Tessin mit der ganz grossen Kelle anrichten will. Auf einem brachliegenden Gelände in Tenero plant seine Firma für 150 Millionen Franken einen Standort, um die Entwicklung des Wundermotors voranzutreiben und gleichzeitig einen damit bestückten Kleinwagen zu bauen. Von 25'000 Quadratmetern ist die Rede, auf der 150 bis 200 Arbeitsplätze für «Ingenieure, Forscher und Juristen» entstehen sollen. Im nicht eben von wirtschaftlichen Erfolgen verwöhnten Tessin würden so indirekt bis zu 2500 Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert, verheisst man.

Sicher sind bisher nur die Arbeitsplätze der Juristen. Und die befinden sich nicht auf der Industriebrache am Lago Maggiore, sondern in Anwaltskanzleien, Betreibungsämtern und Gerichten. Von ihnen hat Ettore Castella in den vergangenen Jahren eine ganze Menge beschäftigt, unter anderem als Angeklagter und Schuldner. Nun könnte es zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten eng werden für den Mann, der in einer 4,2 Millionen teuren Villa in Ascona residiert. Sehr eng sogar: In seinem Betreibungsregisterauszug finden sich offene Forderungen in zweistelliger Millionenhöhe.

Hof halten am Genfer Autosalon

Doch noch glitzert die Welt von Ettore Castella. Am Autosalon wird er an einem exklusiven Stand Hof halten und Autos mit seinem revolutionären Antrieb präsentieren – sie nennen sich Quant E, Quant FE und Quantino. So, wie er 2009 ein Modell eines Sportwagens vorstellte, der angeblich vollständig mit Dünnschicht-Solarzellen auf der Basis von Pyrit bestückt war, gebaut in Zusammenarbeit mit einem renommierten schwedischen Luxus-Sportwagenhersteller. Selbst Fürst Albert von Monaco und der frühere James-Bond-Darsteller Roger Moore bewunderten einst an der Autoausstellung von Monaco den Wagen.

Die Solarzellen aus Pyrit – im Volksmund auch «Narrengold» genannt – vermochten jedoch nur einen winzigen Teil der Energie für die Luxuskarosse bereitzustellen, wie Castella auf Nachfrage einräumte. Nur das Radio und die Ventilation könnten mit dem solarproduzierten Strom betrieben werden. Oder hätten betrieben werden können, denn der Nobelwagen wurde nie gebaut, und die Schweden beendeten die Zusammenarbeit abrupt. Auf ihrer Website sind mittlerweile sämtliche Hinweise auf Castella gelöscht.

Der Aargauer mit Wahlheimat Tessin hatte schon einmal vorgegeben, die Fotovoltaik revolutionieren zu können. 1999 liess er am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Würenlingen AG eine angeblich von ihm erfundene Solarzelle testen. Das Resultat war überwältigend: Die Zelle erreichte einen Wirkungsgrad von 50 Prozent. Die besten in Forschungslaboratorien entwickelten Zellen von renommierten Forschungsinstituten hatten damals einen Wirkungsgrad von 30 Prozent erreicht.

Doch statt einem Eintrag ins Guinness-Buch gab es heftige Zweifel, wie sich der ehemalige PSI-Ingenieur Wilhelm Durisch erinnert. Er führte damals die Messung durch und registrierte Seltsames: «Castella liess niemanden näher als zwei Meter an die Zelle heran und bestand darauf, sie eigenhändig in den Prüfstand einzubauen», erzählt er. «Wir hatten keine Ahnung, was wir da eigentlich massen.» Auch die aufgezeichnete Messkurve habe eine für Solarzellen völlig untypische Form aufgewiesen. Vermutlich, so Durisch, habe Castella die Stromproduktion mit einer im Rahmen eingebauten Batterie vorgetäuscht.

Die angebliche Wunder-Solarzelle diente Ettore Castella dennoch als Türöffner zu neuen finanziellen Dimensionen. Der Mann, der sich das Wissen für seine Erfindung angeblich autodidaktisch angeeignet hatte, schmückte sich mit einem falschen Doktortitel.

Grosse Zweifel

Er arbeitet derweil weiterhin an Bubenträumen. Schon 2014 und 2015 war er am Automobilsalon in Genf mit Sportwagen präsent, die von seiner revolutionären Technologie angetrieben sein sollen. Für einen der Wagen hat er mittlerweile sogar eine Zulassung für den Strassenverkehr erhalten, verkündet er auf seiner Website stolz. Eine Nachfrage bei der zuständigen Stelle ergibt jedoch: Es handelt sich um eine Sonderzulassung für ein einziges Fahrzeug. Dennoch: Die Begeisterung unter Automobiljournalisten war gross – die Zweifel waren es jedoch ebenso. Was unter der Motorhaube steckt, bekam niemand zu Gesicht, wie verschiedene Onlineportale kritisch vermerkten.

Tatsächlich wissen nicht einmal Zulieferer, welchen Antrieb Castella in seine Wagen einbaut. Die renommierte Bosch Engineering GmbH, die der Autobauer gern als Partner nennt, teilt auf Anfrage in sperriger PR-Sprache mit, man könne «keine Aussagen über Beschaffenheit und Leistungswerte» von Castellas Antriebstechnologie machen. Diese Technologie liege «ausserhalb der Beauftragung von Bosch Engineering.»

Die Fans teurer Sportwagen werden in Genf dessen ungeachtet auch dieses Jahr einen Stand von Castella vorfinden. Er will eine Weiterentwicklung seines Sportwagens präsentieren. Zudem soll eine überarbeitete Version des Kleinwagens zu sehen sein. Dieser sei nun «seriennah», verspricht Castellas Firma auf ihrer Website. Über die Produktion einer Kleinserie werde noch dieses Jahr eine Machbarkeitsstudie entscheiden.

Glaubt man den Medienmitteilungen von Castellas Firma, so sollen die Kleinwagen dereinst in Tenero das Licht der Werkhallen erblicken. «Vorbehaltlich des positiven Vertragsabschlusses über den Kauf des Grundstückes» sollte das Forschungs- und Produktionszentrum 2018 in Betrieb gehen – sollte, denn von einem Vertragsabschluss ist Castella weiter entfernt denn je. Coop lässt als Landeigentümerin ausrichten, man werde «frühestens gegen Ende Jahr entscheiden, wie es mit dem Gelände weitergeht». Und selbst dann habe man «diverse andere Interessenten» für die Industriebrache. In Tenero selber erklärt Gemeindepräsident Paolo Galliciotti, die Gemeinde habe Castella lediglich zugesichert, dass sein Projekt gemäss Nutzungsplan möglich sei. Eine allfällige Baueingabe müsse aber natürlich im Detail studiert werden und habe den Bauvorschriften zu entsprechen. Danach habe man von dem Mann nie mehr etwas gehört.

Keine Zeit für Fragen des Beobachters

Nichts gehört hat auch der Beobachter von Ettore Castella. Auf Anfrage teilte seine Presseagentur mit, dieser sei «gänzlich von den Vorbereitungen zur Präsentation auf dem Genfer Automobilsalon vereinnahmt» und stehe daher für ein Interview nicht zur Verfügung. Schriftlich eingereichte Fragen blieben ohne Antwort. Stattdessen trafen auf der Redaktion umgehend Schreiben von zwei Anwälten ein, die im Fall einer Veröffentlichung des Artikels mit Konsequenzen drohten.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien ursprünglich in einer nicht-anonymisierten Version, die auch einen Rechtsstreit beschrieb. Um dem Recht auf Vergessen Genüge zu tun, wurde er im September 2023 anonymisiert, und die Hinweise auf den Rechtsstreit wurden entfernt.