Der schlechte Winter und der starke Franken haben vielen Bergbahnen erneut zugesetzt. Sie verloren weitere 4,3 Prozent Umsatz. Nun stehen die Zeichen wieder einmal auf Sturm. Doch die Krise ist nicht ganz neu. Die Umsätze stagnieren seit 20 Jahren. In den letzten zehn Jahren ist jeder zehnte Kunde abgesprungen. Die Bergbahnen transportieren so wenige Skifahrer wie zuletzt im Winter 1988/89. Trotzdem erhöhen sie seit Jahren laufend ihre Transportkapazitäten.

Weniger Einnahmen, mehr Kosten. Das kann nicht gutgehen: Bloss noch eine von drei Bergbahnen hat genug Geld, um notwendige Ersatzinvestitionen zu stemmen. Nur eine von sieben kann einen Ausbau aus eigener Kraft finanzieren. Immer öfter müssen die Gemeinden einspringen wie jüngst bei der Madrisabahn in Klosters. Bereits stammen 26 Prozent der Investitionen von der öffentlichen Hand.

«Würden alle Schweizer Bergbahnen mir gehören, würde ich jede dritte schliessen.»

Philipp Lütolf, Finanzprofessor an der Hochschule Luzern

Die 10 grössten Skigebiete der Schweiz

Hinweis zur Tabelle: Massgeblich für die Rangordnung in dieser Tabelle waren die Gesamtzahl an verfügbaren Pistenkilometern. Diese Pisten müssen durchwegs durch Bergbahnen erschlossen sein, die mit einem Skipass benützt werden können.

 

 Skigebiet

Kanton

Pisten
in km

Anzahl
Liftanlagen

Höchster
Punkt

Preis für Tageskarte*

1

Champéry / Les portes du soleil

Wallis

650

204

2466 m

52.– CHF

2

Verbier / 4 Vallées

Wallis

410

100

3330 m

71.- CHF

3

Zermatt

Wallis

360

103

3900 m

79.– CHF

4

St. Moritz

Graubünden

350

56

3303 m

75.– CHF

5

Davos-Klosters

Graubünden

320

25

2844 m

69.– CHF

6

Gstaad

Bern

250

69

2971 m

62.– CHF

7

Arosa

Graubünden

225

41

2865 m

69.– CHF

8

Laax

Graubünden

220

30

3018 m

74.– CHF

9

Jungfrauregion

Bern

213

39

2970 m

63.– CHF

10

Adelboden-Lenk

Bern

205

51

2330 m

62.– CHF

Quelle:  www.bergfex.ch
* Preis für eine erwachsene Person ohne Vergünstigung in der Saison 2014/2015.

Keine Unterstützung brauchen bloss die Topdestinationen. Zermatt mit dem Matterhorn, die Region Jungfrau, wo die Bahnen 400 Millionen Franken investieren wollen. Oder Luzern, wo seit Karfreitag der Dragon Ride die Gäste in Rekordzeit auf den Pilatus hinaufträgt. Touristen aus Fernost sorgen für tiefgrüne Zahlen.

Beim grossen Rest herrscht Katerstimmung. Philipp Lütolf, der seit Jahren die Finanzen der Bergbahnen analysiert, sagt: «Würden alle Schweizer Bergbahnen mir gehören, würde ich jede dritte schliessen.» Aber das gehe natürlich nicht, sagt der Luzerner Finanzprofessor, aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Bahnen. An ihrem Schicksal hänge das Wohl ganzer Regionen. Ohne Bahnen kaum Touristen, ohne Touristen keine Entwicklung. Deshalb ist das grosse Bahnsterben ausgeblieben.

Besonders schlecht läuft es für mittelgrosse Bahnen, die abseits der grossen Touristenströme liegen. «Sie profitieren nicht von der Sogwirkung einer starken Destination, entsprechend schwächer ist ihre betriebswirtschaftliche Basis», so Lütolf.

Toggenburg: Die Flucht nach vorne

75 Kilometer östlich von Luzern: Anlagen ab 900 Metern, mittelgrosses Skigebiet, kaum Touristen aus Fernost und unmittelbare Nähe zum viel günstigeren Vorarlberg – so präsentiert sich die Lage im Obertoggenburg. Doch zwischen Alt St. Johann und Wildhaus hat man derzeit wenig Musikgehör für warnende Stimmen. Nach Jahrzehnten mit einer «Tendenz zu geschmäcklerischem Billigtourismus» (ein Insider) planen die Bahnen den grossen Sprung nach vorn.

Das neue Restaurant auf dem Chäserrugg, ein wuchtiger Holz-Glas-Bau der Stararchitekten Herzog & de Meuron, steht vor der Eröffnung. Kostenpunkt: über zehn Millionen Franken. Für die 2,4 Kilometer lange Gondelbahn hinauf auf den Grat fehlt nur noch die Zustimmung des Bundesamts für Verkehr. Kostenpunkt: 20 Millionen Franken. Ambitiöse Pläne angesichts von gut sieben Millionen Franken Jahresumsatz.

Quelle: Daniel Ammann

Mélanie Eppenberger, Verwaltungsratspräsidentin der Toggenburg Bergbahnen, winkt ab. Mit der Richtungsänderung reagiere man auf die veränderten Bedürfnisse. «Der Gast will die kurze Zeit, die ihm bleibt, möglichst gut nutzen und unsere Natur geniessen», sagt Eppenberger.

In der notorischen Strukturschwäche des Toggenburgs sieht Eppenberger zumindest einen Vorteil: «Das Tal ist unverbaut, die Landschaft ursprünglich und echt.» Für die Weiterentwicklung des Tourismus sei ein sorgfältiger Umgang mit der Natur wichtig. Aber es brauche die hochstehende Infrastruktur, die das Naturerlebnis unterstütze.

Das Obertoggenburg, von Zürich aus in gut einer Stunde erreichbar, könne sich noch gezielter als Ganzjahresdestination etablieren. Schon heute machten die Bergbahnen fast einen Drittel ihres Umsatzes zwischen Frühling und Herbst.

100 Meter nördlich der Talstation, im Gemeindehaus von Alt St. Johann, weiss man um die Bedeutung der Bahnen. Schliesslich werden zwei von drei Franken im Obertoggenburg mit dem Tourismus verdient. «Es ist für uns entscheidend, dass es den Bergbahnen gutgeht», sagt Rolf Züllig, Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann. Man wolle beim Wettrüsten am Berg nicht mitmachen, das könnten andere besser. «Wir als Bergregion brauchen aber neue Impulse, insbesondere für die schneefreie Zeit», meint Züllig.

«Wir als Bergregion brauchen neue Impulse, insbesondere für die schneefreie Zeit.»

Rolf Züllig, Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann

Und dafür seien Restaurant und Gondelbahn genau richtig. «Wir müssen unsere Stärken noch besser sichtbar und erlebbar machen, nicht mit touristischem Klimbim, sondern mit qualitativ hochstehenden Dingen wie dem typischen Toggenburger Thema Klang.» Oder einer gediegenen Gipfelbeiz der Marke Herzog & de Meuron.

Positive Signale kommen auch aus Bern: Als Massnahme gegen die Frankenstärke hat der Bundesrat ein Vier-Jahres-Impulsprogramm beschlossen, mit dem weitere 200 Millionen Franken in den alpinen Tourismus gepumpt werden. Ein Teil der Gelder ist ausdrücklich für Bergbahnen vorgesehen – für «Projekte mit Rückgratfunktion», wie sie die Toggenburg Bergbahnen realisieren wollen.

Titlis: In 30 Minuten auf den Gipfel

27 Kilometer nördlich von Alt St. Johann, in St. Gallen, lehrt Tourismusprofessor Christian Laesser. Er bevorzugt einen nüchternen Blick auf den Markt. «Wir sind grundsätzlich in einem schrumpfenden Markt. Im Verhältnis zu dem, was sich erwirtschaften lässt, sind wir inzwischen am Berg überinvestiert.» Zudem nehme die Zahl der jungen Bewegungshungrigen ab; nur die der Älteren steige, die es ruhiger angehen. Laesser warnt aber vor Verallgemeinerungen. So wäre es ein Fehler, alle mittelgrossen Bergbahnen in einen Topf zu werfen. Erfolg habe wenig mit Grösse zu tun, zeige seine Forschung. Auch kleinere Bahnen, die klug investieren und effizient wirtschaften, könnten durchaus erfolgreich sein.

Wenn die Tourismusindustrie erfolgreich sein wolle, müsse sie sich an den Bedürfnissen des Markts ausrichten – und nicht an der eigenen Infrastruktur. Zudem: «Die meisten machen den Fehler, von der eigenen Realität auszugehen: dass Gäste möglichst oft und viel Ski fahren wollen.» Den meisten Gästen bleiben aber nur zwei, drei Tage im Jahr fürs Skifahren. Und diese Zeit möchten sie nicht in einem überfüllten Skigebiet verbringen, sondern sie wollen möglichst viel erleben.

Quelle: Daniel Ammann

Wie es aussehen könnte, wenn man sich am Markt ausrichtet, illustriert Laesser mit einer kleinen Beobachtung am Flughafenbahnhof Kloten. Dort habe es sechs unendlich lange Minuten gedauert, bis alle Leute ihre Koffer und Skier im doppelstöckigen IC verladen hätten. Er habe nur gedacht: «Was sind wir doch für ein jämmerliches Touristenland, so etwas unseren Gästen zuzumuten.»

Laessers Lösung wäre ein intelligentes Logistiksystem: ein Check-in für alle Schweizer Hotels am Flughafen. «Sie geben dort ihren Plunder ab, erhalten ein Billett und finden ihr Gepäck dann im Hotelzimmer wieder.»

Welche Rolle der Faktor Zeit im modernen Tourismus spielt, lasse sich am Titlis erahnen, sagt Laesser. Der Ausflug auf den Berg, 102 Kilometer südwestlich von St. Gallen, dauerte bisher einen ganzen Tag. Doch mit dem Luzern-Engelberg-Express ist man nun in 43 Minuten in Engelberg und – ab nächstem Jahr – mit der neuen Achter-Gondelbahn in knapp 30 Minuten auf 3238 Metern. Den Titlis kann man damit in einem halben Tag «machen». Er wird noch öfter als bisher eine Station auf dem eng getakteten Reiseplan von Touristen aus Indien und China sein.

Jungfrauregion: Ausflugstourismus ist Trumpf

68 Kilometer Richtung Südwest, in Visp. Seit Ende der siebziger Jahre ist Tourismusberater Peter Furger immer zur Stelle, wenn die Not gross ist und die Probleme unüberbrückbar scheinen. Er war in Zermatt, als sich die vier Bahnen mit ihrem Streit blockierten, er sanierte im Pleiteort Leukerbad, er fusionierte in Crans-Montana und die Bahnen auf der Lenzerheide, restrukturierte in Gstaad, beriet die Jungfraubahnen und ist natürlich an der Seite von Samih Sawiris, wenn es darum geht, die Skiarena Andermatt-Sedrun zu bauen.

«Der Skitourismus stagniert, der Ausflugstourismus explodiert. So ist das!»

Peter Furger, Tourismusberater von Leukerbad, Gstaad und Andermatt

Aber immer nur Skipisten und Skifahrer im Fokus zu haben wäre ein Fehler, sagt der 68-Jährige. Man müsse vermehrt Richtung Bergerlebnis denken. «Der Skitourismus stagniert, der Ausflugstourismus explodiert. So ist das!» Furger mag nicht in den Chor jener Touristiker einstimmen, die bei jeder Negativmeldung zum Lamento ansetzen und damit auf zwei Dinge schielen: auf Steuererleichterungen oder noch mehr Subventionen. Furger denkt im Grossen und beurteilt die Chancen entsprechend. Im Tourismus – weltweit die Industrie mit dem höchsten Wachstum – gebe es nur drei grosse Themen: Städte, Meere und Berge. Und bei den Bergen sei der europäische Alpenbogen nach wie vor das Reiseziel Nummer eins – und fast alle grossen Attraktionen befänden sich in der Schweiz. Die perfekte Ausgangslage. «Aber was machen wir? Wir verstricken uns im Klein-Klein und bewegen uns im Kreis.» Es komme ihm vor, als ob man vor dem vollen Teller verhungere. «Dabei müssten wir nur die Augen offen halten und den Mund auf der Höhe des heutigen touristischen Jetstreams aufmachen», bricht es aus ihm heraus.

In der Jungfrauregion habe man das begriffen und setze voll auf den Ausflugstourismus. Mit Folgen: Frequenzen und Umsätze steigen jährlich, die Bahnen sind das Jahr über ausgelastet. Der Skisport sorgt nur noch für knapp 20 Prozent des Verkehrsertrags. Inzwischen ist es der Ausflugstourismus, der die Infrastruktur fürs Lauberhornrennen finanziert – und nicht mehr der Skifahrer die Infrastruktur für den Sommertourismus. Um die grossen Stationen müsse man sich keine Sorgen machen, sagt Furger. «Wir brauchen diese grossen Maschinen, die den Karren ziehen.» Wenn sie laufen, falle genügend für die Stationen rundherum ab.

Quelle: Daniel Ammann

Aber man dürfe sich keine Illusionen machen: Der alpine Tourismus brauche gute Bahnen. Für eine Gemeinde komme es deshalb längerfristig wohl billiger, wenn sie eine defizitäre Bergbahn subventioniere, statt sie zu schliessen. Aber das dürfe nicht missverstanden werden als Freipass, jedes Bahnprojekt durchzuwinken. Es brauche eine gute Planung, bei der die Kantone die Führungsrolle übernehmen und definieren müssten. «Man muss touristische Cluster aufbauen – und genügend freie Räume belassen.»

Rapperswil: Kampf für Freiräume

Für Freiräume kämpft 126 Kilometer weiter Nordost, von Rapperswil SG aus, Dominik Siegrist. Der ehemalige Präsident der Alpenschutzkommission Cipra und Professor an der örtlichen Hochschule ist Koautor eines Fachbuchs über naturnahen Tourismus. Er sagt: «Wenn man jetzt schon alles verbaut, ist das Potenzial für die Zukunft weg.» Die Tourismusindustrie sei dabei, ihr wertvollstes Gut zu zerstören: die grossartigen Berglandschaften. Und wer nicht aufpasse, baue jetzt die Ruinen von morgen.

Im Moment spiele sich ein unerbittlicher Verdrängungswettbewerb ab. «In der Schweiz wird es im Jahr 2050 vielleicht noch ein Dutzend grosse Stationen geben. Da wollen natürlich alle dazuzählen», sagt Siegrist. Es finde ein ruinöser Konkurrenzkampf um die schmelzende Zahl der Skifahrer statt, der jetzt durch die Frankenstärke noch zusätzlich befeuert werde.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Verdoppelung der Infrastrukturbeiträge sei das falsche Rezept, um auf dieses Wettrüsten zu reagieren. Damit behindere man den Wandel und zementiere die Rolle des Skitourismus. «Statt Naturschutz und Nachhaltigkeit fördert der Bund damit Naturzerstörung und Massenkonsum.»

«Im Jahr 2050 wird es in der Schweiz vielleicht noch ein Dutzend grosse Stationen geben.»

Dominik Siegrist, ehemaliger Präsident der Alpenschutzkommission Cipra

Auch die Obertoggenburger müssten aufpassen. Der Ausbau am Chäserrugg sei zwar aus regionaler Sicht verständlich. Es sei aber eine Flucht nach vorn, um nicht in der Mittelmässigkeit unterzugehen. Das sei angesichts veränderter Freizeitgewohnheiten einer älter werdenden Gesellschaft jedoch «eine riskante Strategie». Siegrist sieht mehr Chancen in der Förderung des naturnahen Tourismus – und auch weniger finanzielle Risiken, weil er ohne Grossprojekte auskommt.

Welche Widerstände ein Strategiewechsel auslöst, erfuhr Siegrist vor acht Jahren: Damals scheiterte der Naturpark Toggenburg-Werdenberg an der Skepsis der Bauern und am Widerstand der Bergbahnen. Sie sahen sich in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt und befürchteten, «Bern» könne später immer neue Vorgaben machen, die man wohl oder übel abnicken müsse.

Obergoms: Es geht auch anders

Ein Gebiet, das nie auf das Karussell des Bergbahntourismus gestiegen ist, liegt 92 Kilometer Richtung Südwest: das Obergoms. Seit den siebziger Jahren wurden zwar immer wieder Pläne für eine grosse Seilbahn gewälzt, doch sie haben sich alle zerschlagen. «Wenn ich mir die Probleme anschaue, mit denen die meisten Walliser Skiorte kämpfen, bin ich nicht unglücklich darüber», sagt Gerhard Kiechler, Gemeindepräsident von Münster-Geschinen. Eine Aussage, die sich absetzt von der Gleichung des Walliser Tourismusexperten Peter Furger, der meint: Das Obergoms habe keine Bahnen, darum kaum Touristen und entsprechend viel Abwanderung.

«Im Tourismus gibt es nur drei grosse Themen: Städte, Meere und Berge.»

Peter Furger, Tourismusberater von Leukerbad, Gstaad und Andermatt

Die Region setzt auf Nordisch statt Alpin – und auf Kleinprojekte wie die Förderung der Grengjer Tulpe oder den Naturpark Binntal. Aber die Gemeinden nutzen auch Rezepte, wie sie Furger in Skiorten umsetzt: Sie vernetzten sich zur Obergoms Tourismus AG und treten am Markt gemeinsam auf.

Seither ist laut Kiechler plötzlich möglich, was früher am Widerstand von Gemeinden scheiterte: etwa der Bau der Beschneiungsanlage für eine fünf Kilometer lange Loipe, die neue Rollski-Piste für den Sommer oder der Ausbau des Nordischen Zentrums, wo Langläufer in Militär-Unterständen Umkleideräume und Duschen finden. «Ein Riesenfortschritt für uns», sagt Gerhard Kiechler.

Und das alles, ohne die Landschaft mit Hochhäusern, Bergbahnen und Schnellstrassen zuzubauen.

Setzt mit Erfolg auf den Ausflugstourismus: die Jungfrauregion.

Quelle: Daniel Ammann