Frage: «Schon öfter hat eine Kollegin ein gemeinsames Treffen kurzfristig abgesagt. Obwohl ich den Grund jeweils nachvollziehen kann, trifft es mich und macht mich ratlos.»

Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Nein, sich zurückzuziehen wäre feige und nutzlos. Konstruktiv ist es, der Kollegin mitzuteilen, dass die kurzfristige Absage Sie gekränkt hat. Das wird Sie nicht nur erleichtern, sondern es besteht auch eine gute Chance, dass die Kollegin künftig sorgfältiger mit Ihnen umgeht, weil sie nun weiss, wie verletzlich Sie sind.

Kränkungen sind weit verbreitet. Jeder hat schon mal jemanden gekränkt, und wir alle sind auch schon gekränkt worden. Trotzdem spricht man in unserer Gesellschaft selten darüber. Coolness ist in. Wer will schon zugeben, dass er verletzlich ist. Auch die Bezeichnung Mimose drückt eine leichte Verachtung aus.

Trotzdem sollte man Kränkungen ernst nehmen. Sie belasten das seelische Wohlbefinden und können körperlich krank machen. Im Extremfall sind sogar Familiendramen, Suizide oder Amokläufe die Folge.

Kränkungen fressen sich in die Seele

Kleine alltägliche Kränkungen sind etwa kurzfristige Absagen, wie Sie sie erleben mussten, oder Situationen, in denen der andere einen versetzt und überhaupt nicht erscheint. Vielleicht wird man als Einziger einer Gruppe nicht zu einem Geburtstags-fest eingeladen, oder jemand macht eine abschätzige Bemerkung über ein neues Kleidungsstück oder den Haarschnitt.

Als schwere Kränkungen erleben es die meisten, wenn sie den Job oder die Wohnung verlieren oder von einer geliebten Person verlassen oder zurückgewiesen werden.

«Wir denken, wir seien es nicht wert, dass man Termine mit uns einhält.»

Koni Rohner, Psychotherapeut FSP

Leider geht eine Kränkung nicht so schnell wieder weg. Im Gegenteil: Sie kann sich in die Seele fressen und Jahre oder gar ein Leben lang bestehen bleiben. Das liegt daran, dass die Kränkung unser Selbstwertgefühl angreift. Wir haben das Gefühl, wir seien es nicht wert, dass man Termine mit uns einhält, dass wir geliebt werden. Wir befürchten, wir seien nicht schön genug, nicht liebenswert genug, nicht witzig genug.

Alle Menschen kann man kränken, aber nicht alle im selben Mass. Manche sind empfindlicher, andere dickhäutiger. Zudem kommt es darauf an, von wem die Kränkung ausgeht. Je wichtiger diese Person für uns ist, desto tiefer geht die Verletzung.

Natürlich kränken auch wir andere – bewusst oder unbewusst. Egozentrische Menschen mit wenig Empathie kränken ihre Mitmenschen öfter als einfühlsame, die sorgfältiger mit andern umgehen.

Die Psychologin Bärbel Wardetzki rät, die Verletzung nicht einfach zu verdrängen. Man solle stattdessen die Gefühle ergründen, die durch die Kränkung entstanden sind, und diese der kränkenden Person sachlich mitteilen. Was man ausdrücken konnte, frisst sich nicht tiefer in die Seele hinein.

Die Wut, die eine Kränkung auslöst, soll man konstruktiv verwenden. Das bedeutet: nicht zurückschlagen und den andern noch heftiger kränken oder sich aggressiv von ihm abwenden. Sondern ein deutliches Signal setzen und klarmachen, dass man sich nicht alles gefallen lässt. Das schützt vor weiteren Kränkungen.

Tipps bei Kränkungen

  • Nehmen Sie Kränkungen ernst. Versuchen Sie nicht, cooler zu sein, als Sie es sind.

  • Versuchen Sie, alle Gefühle zu spüren, die mit der Kränkung verbunden sind.

  • Teilen Sie die Kränkung der Person mit, die Sie verletzt hat.

  • Falls dies nicht möglich ist, sprechen Sie mit einer Drittperson darüber.

  • Wenn die Kränkung Sie nicht mehr loslässt und Ihr Leben über längere Zeit belastet, gönnen Sie sich therapeutische Hilfe.

  • Lernen Sie aus Kränkungen, wo Ihre wunden Punkte liegen. Damit werden Sie sich bewusster, wer Sie sind. Sie werden selbstbewusster, also seelisch stärker und weniger kränkbar.
  • Buchtipp: Bärbel Wardetzki: «Ohrfeige für die Seele. Wie wir mit Kränkung und Zurückweisung besser umgehen können»; Verlag dtv, 2004, 224 Seiten, CHF 12.90