Der Schweizer Tomatenmarkt ist eine Wüste. Bei den Grossverteilern liegen zwar ganzjährig hübsche knallrote Exemplare des beliebten Sommergemüses, doch sie sind Blender; ihre kräftige Farbe hält nicht, was sie verspricht. Wer einen Sugo zubereiten will, ist mit Pelati aus der Dose besser bedient; da steckt mehr Sonne drin. Der Tomatensalat ist längst vom Menüplan gestrichen, auch in Restaurants taugen Tomaten oft nur noch zur Dekoration. Rot ist halt eine hübsche Farbe.

Welch eine Sensation, wenn im Hochsommer jemand von der Bio-Bauersfrau aus dem Seeland eine «Berner Rose» mitbringt! Das schwere Stück der raren alten Sorte wird zur Begutachtung von Gast zu Gast gereicht wie ein Goldbarren, der wertvolle Paradiesapfel wird gehütet wie ein Schatz. Wer einen Bissen davon erhält, verdreht die Augen: welch eine Aromenvielfalt und -dichte! Die Freude schlägt später oft in Ärger um - etwa wenn man sich daran erinnert, dass man Tomaten doch genau deswegen so geliebt hat: Weil es so lustvoll war, in ihr saftiges Fleisch zu beissen; weil sich in ihr Säure und Süsse so schön die Balance hielten; weil sie zwischen Gemüse und Frucht changierten.

Eine heikle Diva
Nun erleben Sorten wie die «Berner Rose» ein Comeback. Sie sind nicht in Supermärkten und Delikatessabteilungen zu finden. Dafür sind ihre Ansprüche zu hoch. Die Berner Fleischtomate gedeiht nur bei bestem Wetter gut, sie reift eher spät, ist anfällig auf Quetschungen und kann nicht lange gelagert werden - die «Berner Rose» erfüllt nicht die Kriterien, die sie erfüllen müsste, um genügend Umsatz pro Laufmeter Supermarktgestell zu generieren. Die «Berner Rose» und ihre geschmackvollen Artverwandten wachsen nun vor allem auf Balkonen und in Privatgärten. Und da gedeihen sie bestens.

Erheblichen Anteil an diesem Trend hat die Stiftung Pro Specie Rara, die sich seit 1982 um den Erhalt der genetischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren bemüht. Ziel der Organisation ist es, gefährdete Nutztierrassen und Kulturpflanzen zu erhalten. Lange Zeit war die Stiftung ein eingeschworener, leicht fundamentalistischer Zirkel. Wer ein seltenes Saatgut suchte, musste sich an sie wenden und oft auch Mitglied werden. Eifersüchtig wachten die Freunde der Biodiversität über ihre Sorten. Die Breitenwirkung ihrer noblen Bemühungen war entsprechend bescheiden. Denn um die Vielfalt zu fördern, braucht es eben viele. Die Wende kam 1999, als sich Coop erstmals als Sponsor von Pro-Specie-Rara-Projekten engagierte und wenig später erste alte Sorten von Pro Specie Rara ins Sortiment aufnahm.

Etwa die Kooperation mit der Zürcher Stadtgärtnerei. Zum vierten Mal hat Pro Specie Rara in diesem Jahr zusammen mit Bioterra und der Stadtgärtnerei am letzten April-Wochenende einen Tomatensetzlingsmarkt durchgeführt. Der Zulauf wird von Jahr zu Jahr grösser. «Noch nie haben wir so viele verschiedene Sorten ausverkauft gehabt», erklärt der Leiter der Gärtnerei, Rudolf Wattinger. Von insgesamt 40 Sorten im Angebot seien rund 20 vollständig ausverkauft gewesen, zum Teil schon am Samstagmorgen. Im vergangenen Jahr hatte sich die Kundschaft noch fast ausschliesslich um ein paar wenige Sorten gerissen. Die Bilanz fällt für Rudolf Wattinger, der die angehenden Hobbygärtner während des Wochenendes geduldig beraten hat, denn auch nur positiv aus.

Saatgut vom Schwarzen Meer
Die Favoriten des Profis heissen: «Amish Pasta», eine sehr aromatische, grosse Tomate, ausgezeichnet für Saucen; die «Auriga», die orange mittelgrosse Früchte gibt; die «Green Zebra», eine überaus schöne, grüngelbe Tomate, die zwar spät reift, aber einen sehr guten Ertrag gibt; die «Ficarazzi», eine Frühsorte, die nicht sehr hoch wächst und darum auch auf dem Balkon bestens gedeiht; und natürlich die «Berner Rose», deren Früchte geschmacklich kaum zu überbieten sind. «Ich empfehle den Leuten einen Querschnitt: eine grossfruchtige Tomate, eine frühreife und eine Cherrytomate. Das Schöne ist ja schliesslich die Vielfalt», so Wattinger. Auch seine Experimentierfreude ist geweckt. Neulich habe ihm jemand Tomatensaatgut vom Schwarzen und vom Kaspischen Meer mitgebracht, erzählt er. Da herrschten ganz andere Klimata. «Ich bin ja sehr gespannt, wie diese Tomaten schmecken», sagt er.

Pro Specie Rara setzt voll auf eine möglichst gute Verbreitung ihrer wertvollen Kulturschätze. Rund 150 verschiedene Tomatensorten pflegt und vermarktet die Stiftung mittlerweile, und ständig kommen neue hinzu. Sämtliche Sorten der Pro Specie Rara sind samenfest; bei sachgerechtem Umgang können im Folgejahr neue Stöcke ausgesät werden, im Gegensatz zu dem sonst handelsüblichen sogenannten Hybrid-Saatgut, das nur von den Züchtern selbst produziert werden kann, weil es sonst degenerierte Pflanzen bildet, die nicht fruchten. Seit einigen Jahren ist das Pro-Specie-Rara-Saatgut im freien Handel erhältlich.

Die Ur-Tomate leuchtete goldgelb
Entdecken können auch die Hüter der Biodiversität noch einiges: Gemäss aktuellster Forschung gibt es weltweit mehr als 2500 Tomatensorten und mindestens ebenso viele unregistrierte Züchtersorten. Das ursprünglich aus dem Norden der Anden stammende Nachtschattengewächs wurde 1544 in Europa eingeführt. Die Italiener sollen die Ersten gewesen sein, die die Pomodori in der Küche einsetzten; der italienische Name deutet übrigens darauf hin, dass die ersten Sorten goldgelb waren - «oro» heisst Gold auf Italienisch.

In den Jahrhunderten hat sich Rot durchgesetzt. Doch während uns die Supermarkttomate mit ihrer Farbe blendet, im Geschmack aber enttäuscht, macht die «Berner Rose» das Gegenteil. Vertraute man bei ihrem blassen rosafarbenen Anblick nur auf die Optik, glaubte man, eine unreife, fade Tomate vor sich zu haben. Als Gegenbeweis hilft nur eins: reinbeissen!

Tomatensalat mit marokkanischer Minze
reife Fleischtomaten reife Fleischtomaten in Scheiben schneiden
eine Zwiebel in feine Ringe schneiden, über Tomaten verteilen
marokkanische Minze fein hacken, über Tomaten und Zwiebeln geben
feines Olivenöl darüberträufeln, mit wenig Fleur de Sel bestreuen
Bei den Sorten und den Rezepten hat sich die Norm durchgesetzt: Zum Tomatensalat werden meist Mozzarella und Basilikum gereicht. Dieses orientalisch angehauchte Rezept ist eine erfrischende Variante, zu der ein frischer Ziegenkäse passt.