Frage: «Alles könnte so schön sein, und trotzdem bin ich todunglücklich. Ich habe zu gar nichts Lust und kann mich nicht aufraffen. Manchmal würde ich gerne nur noch einschlafen und nicht mehr erwachen.»

Antwort von Koni Rohner: Sie brauchen therapeutische Hilfe, denn Sie leiden offensichtlich 
an einer Depression. Grob unterscheidet man zwischen endogenen und reaktiven Depressionen. Die erste Störung trifft einen wie eine körperliche Krankheit, ohne erkennbare Ursache. Manchmal wechseln solche depressiven Zustände mit euphorischen ab, dann spricht man von einer bipolaren Störung. Zur Behandlung sind Medikamente unerlässlich. Bei der reaktiven Depression lässt sich ein Auslöser erkennen. Das seelische Tief ist eine Reaktion auf eine schmerzhafte und belastende Lebenserfahrung. Oft ist es der Verlust eines geliebten Menschen durch Tod oder eine Trennung. Aber auch eine langandauernde Überforderung durch widrige Lebensumstände kann in eine solche reaktive Depression münden. Weil eine psychische Dynamik dahintersteckt, kann hier Psychotherapie heilen.

Depression

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Die «erlernte Hilflosigkeit»

Während für Sigmund Freud Anfang des 20. Jahrhunderts Depressionen nach innen gewendete Aggressionen waren, entwickelte der amerikanische Psychologe Martin Seligman, der heute vor allem für seine Glücksforschung bekannt ist, in den siebziger Jahren das Konzept der «erlernten Hilflosigkeit». Seiner Ansicht nach sind 70 Prozent aller Depressionen reaktiv und mit seinem Modell erklär- und heilbar.

Für Menschen, die von Depressionen betroffen sind, ist das Leben ein einziger Kampf, um nur den Alltag zu überstehen. Am Morgen fehlt die Kraft, aus dem Bett zu steigen. Ankleiden, in die Stadt fahren und einkaufen scheinen unüberwindliche Hindernisse zu sein. Selbstvorwürfe, Gedanken des Versagens, Gefühle der Wertlosigkeit belasten die Betroffenen. Schliesslich kommen Zweifel am Sinn und am Wert des Lebens überhaupt auf.

Gemäss Seligman kann man nur in eine solche Sackgasse geraten, wenn man ein tief verankertes Gefühl der eigenen Hilflosigkeit hat. Und diese Überzeugung kommt nicht von ungefähr – die hat man erworben. Musste man irgendwann Situationen erleben, in denen man tatsächlich keine Kontrolle über bedrohliche Ereignisse hatte, kann einen das derart entmutigen, dass man sich auch in bewältigbaren Situationen nichts mehr zutraut. Da ein Kleinkind noch recht hilflos ist, kann so etwas leicht passieren. Zum Beispiel kann bereits eine Trennung von der Mutter durch eine frühkindliche Erkrankung traumatisch wirken. Übergriffe und Gewalterfahrungen können bis ins Erwachsenenalter zur erlernten Hilflosigkeit führen.

Den Teufelskreis durchbrechen

Symptome der erlernten Hilflosigkeit sind ein Verlust an Initiative und Willensstärke, ein Verlust der Überzeugung, dass Handlungen etwas bewirken können, eine verringerte Aggressivität und weniger Durchsetzungsvermögen, Appetit- und Gewichtsverlust und Störungen im Sexual- und Sozialverhalten. Offenbar handelt es sich weitgehend um eine biologische Reaktion, denn Seligman und sein Team haben in Experimenten gezeigt, dass auch Tiere ganz ähnlich reagieren.

Zusammenfassend glaubt also ein depressiver Patient fälschlicherweise, dass er jene Aspekte seines Lebens, die Leiden erleichtern und die Befriedigung bringen, nicht kontrollieren kann, er fühlt sich hilflos. Es entwickelt sich ein Teufelskreis. Wer sich nichts zutraut, kann auch die Erfahrung nicht machen, dass er sein Leben und sein Schicksal beeinflussen kann. In der Therapie muss dies durchbrochen werden. Die Betroffenen müssen nach und nach wieder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Dabei helfen die folgenden vier wichtigen Leitsätze:

  • Das Leben ist manchmal hart.
    Nicht: Ich bin schwach.
  • Jedes Problem betrifft nur einen Teil.
    Nicht: Es umfasst mein ganzes Leben.
  • Jedes Problem geht vorüber.
    Nicht: Es dauert ewig.
  • Ich kann etwas bewirken.
    Nicht: Es hat sowieso keinen Zweck zu handeln.

Martin Seligman: «Erlernte Hilflosigkeit»; Beltz-Verlag