Erwin G.: «Ich hatte einen Job, den ich von Herzen liebte. Ein neuer Geschäftsführer stellte mich auf die Strasse. Ich kann mich nach dieser Niederlage nicht mehr motivieren. Manchmal habe ich Suizidgedanken.»

Ihre Reaktion auf die Kündigung ist verständlich. Wissenschaftler sprechen in einem solchen Fall von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung. Schon länger bekannt ist die posttraumatische Belastungsstörung. Sie ist eine Reaktion auf Katastrophenerfahrungen und vor allem durch Angst charakterisiert.

Die Verbitterungsstörung zeigt sich dagegen eher in Aggressionen gegen sich selbst und andere – und eben in einem Gefühl der Verbitterung.

Auslöser für eine Verbitterungsstörung sind kränkende Erlebnisse, die aussergewöhnlich sind, aber doch in jedem Leben vorkommen können. Das kann eine Kündigung sein, eine berufliche Herabwürdigung, eine Scheidung oder der Verlust einer geliebten Person. Wenn die Erlebnisse ganz wichtige und zentrale Annahmen und Vorstellungen eines Menschen über den Haufen werfen, sind sie besonders traumatisch.

Wenn etwa für eine Frau die Familie das Wichtigste im Leben ist, wenn sie ihre berufliche Entwicklung aufgegeben hat, sich für die Kinder und den Mann aufgeopfert hat, um schliesslich rücksichtslos gegen eine jüngere Frau ausgetauscht zu werden, kann das zu einer Verbitterungsstörung führen. Die gleiche Wirkung kann eine Kündigung haben, wenn der Beruf das Wichtigste im Leben ist, man sich mit der Firma identifiziert, keine Überstunden gescheut und alles andere hinter den Beruf zurückgestellt hat.

Der deutsche Psychologe Michael Linden hat präzise beschrieben, was eine Verbitterungsstörung alles umfasst. Ganz zentral ist, dass das Erlebnis als ungerecht erlebt wird: Der Verursacher oder das Schicksal ist unfair mit einem umgegangen. Immer wieder kreisen die Gedanken um die Kränkung, es gelingt nicht, die Ressentiments und den Hass loszuwerden.

Es können aber auch Selbstvorwürfe auftreten. Man wirft sich etwa vor, dass man sich nicht heftiger aufgelehnt hat. Eine gedrückte Grundstimmung kann sich einstellen, die Freude an Hobbys nachlassen, eventuell werden Beruf und Familie vernachlässigt, Freunde werden nicht mehr kontaktiert, ein Rückzug in die Isolation kann stattfinden. Natürlich spricht man nur dann von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung, wenn alle diese Symptome erst nach einem kränkenden Ereignis aufgetreten sind.

Nicht alle Menschen reagieren auf solche Schicksalsschläge mit Verbitterung. Grundsätzlich kann die Seele auch schwierige Ereignisse verarbeiten. Gelingt das nicht, handelt es sich eigentlich um eine Anpassungsstörung, die sich behandeln lässt.

Das Team Linden/Baumann hat auch dazu ein Konzept entwickelt (siehe Buchtipp). Die sogenannte Weisheitstherapie arbeitet mit Übungen, die helfen, den Blickwinkel zu verändern, Gefühle besser wahrzunehmen und Ereignisse zu relativieren. Die Autonomie, Unabhängigkeit und Selbststeuerungsfähigkeit werden verbessert, es werden Wege gezeigt, die Quellen von Freude, Genuss und angenehmen Empfindungen nutzbar zu machen. Man lernt, sich zu distanzieren und Ungewissheit besser zu ertragen. Man wird gelassener oder eben «weiser». Untersuchungen der Autoren haben gezeigt, dass ihr Programm wirksam ist.

Buchtipp

Kai Baumann, Michael Linden: «Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie. Die Bewältigung von Lebensbelastungen und Anpassungsstörungen»; Verlag Pabst, 2008, 132 Seiten, 24.90 CHF