Unsere Gesellschaft gibt sich gerne aufgeklärt und unverkrampft. Über Sex reden? Kein Problem. Aber was, wenn «es» nicht mehr funktioniert? Dann herrscht Schweigen. Und beim Prostatakrebs? Das Thema ist tabu, weil der Krebs und seine Folgen das Sexualleben beeinträchtigen oder ganz zum Erliegen bringen können. «Spätestens hier zeigt sich, wie verklemmt wir eigentlich sind», sagt Erich Müller (Name geändert), 70, Prostatakrebs-Patient.

Und zwar alle: der Mann, weil er sich zu einem beträchtlichen Teil über seine Potenz definiert und die «tote Hose» Impotent Müssen Männer immer können? sein Ego angreift. Die Partnerin, weil sie mit ihrem Mann noch nie offen über sexuelle Bedürfnisse reden konnte. Die Kollegen, weil sie nicht damit herausrücken, dass auch sie Prostatakrebs haben und seit der Operation mit Potenzproblemen kämpfen. Und der Arzt, weil er die Sache mit der Impotenz zwar in einem Halbsatz erwähnt, aber mit dem Hinweis abtut: «Es gibt ja Vakuumpumpen und Medikamente.»

Belastungsprobe für jede Beziehung

Für Erich Müller sind solche Aussagen ein Unding. Wenn es im Bett nicht mehr klappe, sei das keine Lappalie Paartherapie «Liebe verschwindet nicht, sie wird überdeckt von Alltagsmüll» – damit müssten beide Partner erst einmal klarkommen. Und das könne sehr wohl zur Belastungsprobe werden – und zwar in jedem Alter.

«Offene Information ist wichtig für Prostatakrebs-Patienten Prostata «Vorsorge rettet Leben» , und hier gibt es noch einiges zu verbessern», meint Pensionär Müller. Auch er hätte sich nach der Diagnose mehr Fakten über die Behandlungsmöglichkeiten gewünscht: Vor- und Nachteile, Nebenwirkungen, Folgen, Lösungen. Das Wesentliche, was er wissen wollte, habe er selbst recherchiert – «das ist man sich schuldig als mündiger Patient».

Informationen über Alternativen selbst eingeholt

Hätte er einfach Ja und Amen gesagt, wäre ihm kurzerhand der Bauch aufgeschnitten worden, ganz nach alter Schule. «Primär radikale Tumorentfernung, Nervenerhaltung sekundär», stand auf dem Formular, das er hätte unterschreiben sollen. Im Klartext: Die Prostata entfernen und dabei in Kauf nehmen, dass auch jene Nervenbündel zerstört werden, die für die Erektion mitverantwortlich sind.

«Dem hätte ich so niemals zustimmen können, ich brauchte Bedenkzeit und andere Einschätzungen», sagt Erich Müller. Zumal er sich diese Zeit nehmen konnte: Er hatte zwar einen Tumor. Aber der war nicht so aggressiv, dass eine unmittelbare Lebensgefahr bestand. Also fragte er weitere Ärzte nach deren Meinung. Er setzte sich mit der Möglichkeit auseinander, das Krebsgeschwür bestrahlen Chemotherapie Ingwer und Selen tun gut zu lassen. Überlegte, ob er auf eine Behandlung vorerst verzichten solle.

Nach reiflicher Überlegung entschied er sich für eine Operation mit der «Da-Vinci-Methode». Bei ihr werden die Instrumente und eine Kamera durch kleine Schnitte in den Bauch eingeführt. Die Kamera liefert ein dreidimensionales Bild, die Instrumente werden von Roboterarmen gehalten, der Urologe steuert sie am Bildschirm. Die Nervenbündel werde man schonen können, hatte ihm der zuständige Arzt erklärt. Die Wahrscheinlichkeit, dass so seine Potenz erhalten bleibe, liege zwischen 30 und 70 Prozent. Erich Müller wagte schliesslich den Schritt.

Monatelange Rehabilitation

Heute gilt er als geheilt, muss aber noch regelmässig zur Nachkontrolle. Vormachen dürfe man sich indessen nichts: Es dauere Monate, bis man wieder auf dem Damm sei. Denn auch die «minimalinvasive Operation» sei keine Kleinigkeit.

Beim Eingriff wurde seine Bauchhöhle mit Kohlensäure gefüllt. Das verursachte starke Schmerzen, solange das Gas nicht vollständig abgebaut war. Weil ihm auch beide Lymphknoten entfernt werden mussten, habe er jetzt oft geschwollene Knöchel. Er muss deshalb zur Lymphdrainage.

«Von allein wird keiner wieder trocken»

Seine Inkontinenz hatte er schnell im Griff. Aber er muss immer noch aufpassen, dass er keine unkontrollierten Bewegungen macht und nichts trägt, was schwerer ist als fünf Kilo. In ein paar Monaten aber dürfte auch dies kein Thema mehr sein.

Voraussetzung: tägliches Training der Beckenbodenmuskeln, was Disziplin erfordere. «Von alleine, das steht fest, wird kein Mann wieder trocken Blasenschwäche Die Angst, dass es in die Hose geht », sagt Erich Müller. Ansonsten gehe es ihm so weit ganz gut – mal abgesehen davon, dass er für seine Erektionsstörungen noch keine befriedigende Lösung gefunden hat.

Untersuchung: Die Biopsie schafft Klarheit

Einen sicheren Nachweis, ob der Patient Prostatakrebs hat, liefert die Biopsie. Der Urologe führt dazu über den Mastdarm eine Nadel in die Prostata ein und entnimmt Gewebeproben. Manchmal ist es notwendig, die Biopsie ein- oder zweimal zu wiederholen, um endgültig Klarheit zu gewinnen. Der sogenannte «Gleason-Score» zeigt dabei an, wie aggressiv der Tumor ist.

Grafik
1  Harnblase5  Samenblasen
2  Prostata6  Spritzkanal
3  Samenleiter7  Lymphsystem
4  Harnröhre8  Mastdarm
Quelle: Getty Images
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Fachleute streiten um die Früherkennung von Prostatakrebs. Franz Recker erklärt, warum eine frühe Diagnose wichtig ist – auch wenn nicht jeder Tumor operiert werden muss.

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Ein Arzt bespricht mit seinem Patienten die Ergebnisse der Prostata-Vorsorgeuntersuchung.
Quelle: Getty Images
Die 6 wichtigsten Fragen zu Prostatakrebs

Welche Funktion hat die Prostata?

Die Prostata (Vorsteherdrüse) befindet sich direkt unterhalb der Harnblase und ist etwa so gross wie eine Kastanie. Ihre Aufgabe ist es, die Flüssigkeit zu produzieren, mit der das Sperma transportiert wird.

Wie entsteht Prostatakrebs?

Vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Alter, Veranlagung, Ernährungsgewohnheiten, Umwelteinflüsse. Fest steht: Hat ein Verwandter ersten Grades – Vater, Bruder – Prostatakrebs, verdoppelt sich das Risiko einer Erkrankung. Es ist der häufigste Krebs bei Männern über 65. Bei bis zu 6000 Männern wird er jährlich festgestellt. Jeder Fünfte stirbt daran.

Für wen sind Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll?

Wer beim Wasserlösen Beschwerden (häufiger Harndrang oder Brennen) hat, sollte seinen Arzt oder seine Ärztin um Rat fragen. Dann empfiehlt sich eine Vorsorgeuntersuchung. Wird die Krankheit früh entdeckt, ist sie heilbar. Meistens aber handelt es sich um eine gutartige Prostatavergrösserung.

Wie wird Prostatakrebs entdeckt?

Normalerweise mit dem PSA-Test, der aber kein eigentlicher Krebstest ist. PSA ist ein Eiweiss, das in der Prostata produziert wird und im Blut nachgewiesen werden kann. Der Grenzwert liegt bei vier Nanogramm pro Milliliter. Ist die Prostata krank, ist der Wert höher. Das heisst aber nicht, dass es sich um Krebs handeln muss. Auch bei einer gutartigen Vergrösserung oder einer Entzündung (Prostatitis) ist der PSA-Wert erhöht. Bei der Früherkennung wird der PSA-Test meist mit dem Abtasten der Prostata kombiniert. Beide Methoden sind aber umstritten, weil sie ungenau sind. Den sicheren Nachweis liefert nur eine Biopsie. Der Urologe führt dazu über den Mastdarm eine Nadel in die Prostata ein und entnimmt Gewebeproben.

Welche Behandlungen gibt es?

Ist nur die Prostata vom Krebs betroffen, kommt eine Operation in Frage. Entfernt wird dabei das ganze Organ mit den Endstücken der Samenleiter und den Samenblasen. Es kann sein, dass vorsorglich auch die regionalen Lymphknoten herausoperiert werden. Mögliche Folgen: unkontrollierter Harnverlust über mehrere Monate und Erektionsstörungen. Denn nahe der Prostata verlaufen die sogenannten neurovaskulären Bündel, die dafür mitverantwortlich sind, dass der Penis steif wird. Werden diese Nervenstränge bei der Operation geschont, ist eine natürliche Erektion durchaus wieder möglich. Bei grossen Tumoren müssen die  Nervenstränge aber oft durchtrennt werden. Eine Alternative zur Operation ist eine Bestrahlung. Die Gefahr der Inkontinenz und Impotenz ist dabei etwas geringer. Die Heilungschancen gelten bei Operation und Bestrahlung als ungefähr gleich hoch; neuere wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen eher für eine Operation. Ist der Tumor fortgeschritten oder haben sich Metastasen gebildet, kann die Krankheit nicht mehr geheilt werden. Hormon- oder Chemotherapie, aber auch die Strahlentherapie dienen dann dazu, das Krebswachstum zu verzögern und die Schmerzen zu lindern.

Braucht es immer eine Behandlung?

Ein neues Konzept heisst «Active surveillance». Das aktive Beobachten mit regelmässigen Kontrollen kommt für Männer ab 65 in Frage, bei denen sich der Krebs sehr langsam entwickelt und keine Beschwerden verursacht. Sprich: wenn die Wahrscheinlichkeit klein ist, dass der Patient in den nächsten zehn Jahren daran sterben wird.

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Chantal Hebeisen, Redaktorin
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