Es gibt Filmaufnahmen von Wangari Maathai, in denen eine zornige junge Frau zu sehen ist. «Wenn hier wegen unserem Land Blut vergossen werden soll, dann sind wir bereit», sagt sie in einer Szene, als Baumfäller sie mit Pfeilbogen und Macheten davon abzuhalten versuchen, Bäume zu pflanzen. «Wir sind hier, um unsere Wälder zu schützen, denn sie sind unser Leben.» Es gibt auch einen Ausschnitt, in dem sich der damalige kenianische Diktator Daniel arap Moi unter dem Gelächter seiner Anhänger und Claqueure über «eine gewisse Frau» lustig macht, die sich aufzulehnen wagt. Die berühmteste Filmszene mit Wangari Maathai jedoch spielt nicht in Kenia, sondern in Oslo, wo sie am 10. Dezember 2004 für ihren Kampf für die Umwelt und für Menschenrechte vom norwegischen König den Friedensnobelpreis entgegennehmen kann. Die Professorin und Ex-Ministerin, die mit ihrem Green Belt Movement (Grüngürtel-Bewegung) in den vergangenen 30 Jahren in Afrika rund 40 Millionen Bäume gepflanzt hat, ist eine auffällige Erscheinung. Doch es ist nicht ihr leuchtend gelbes Kleid, sondern die Präsenz und Würde, die die 69-Jährige ausstrahlt, was das Publikum im noblen Londoner Intercontinental Park Lane Hotel veranlasst, die Köpfe zu drehen. Hierhin hat sie zum Interview gebeten. Zwar habe sie den Fragenkatalog, den ihre Assistentin vor dem Interview ultimativ verlangt hatte, gesehen, aber gelesen habe sie ihn nicht. «Fragen Sie einfach», sagt sie, «mir wird schon etwas einfallen.» Ihr Lachen füllt den Raum. Nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag.

Interview

Beobachter: Professor Maathai, seit 1977 haben Sie mit Ihrem Green Belt Movement in Afrika Millionen von Bäumen gepflanzt. Warum gerade Bäume?
Wangari Maathai: Die Idee entstand Mitte der siebziger Jahre im National Council of Women of Kenya, als wir diskutierten, welche Vorschläge wir bei der Uno-Frauenkonferenz in Mexico City einbringen wollten. Es war eine gemischte Gruppe: Akademikerinnen wie ich, Frauen vom Land, berufstätige Frauen, und wir hatten viele verschiedene Ideen. Die Frauen vom Land betonten immer wieder, dass Brennholz als wichtigste Energiequelle, Trinkwasser, Nahrungsmittel und ein Einkommen ihre Prioritäten seien. Ihr Land konnte sie nicht mehr ernähren. Viele dieser Frauen stammten aus der Gegend, in der ich aufgewachsen war. Als ich ein Kind war, gabs dort noch Brennholz, Trinkwasser und genug Nahrung.

Beobachter: In Ihrer Autobiographie beschreiben Sie das Land Ihrer Kindheit und Jugend als wunderschön und üppig. Was war denn in der Zwischenzeit geschehen?
Maathai: Wir hatten uns (zeichnet Gänsefüsschen in die Luft) «entwickelt» (lacht herzlich). Wir rodeten Büsche und die übrige Vegetation und ersetzten diese durch Kaffee- und Teeplantagen. Wir zerstörten unsere Wälder und bauten Farmen, um Papier und Baumaterial zu produzieren. Aber unglücklicherweise waren die Gewinne aus diesen Monokulturen nicht so hoch, wie wir erwartet hatten. Wir hatten also den Boden verloren, der uns ernährt hatte, aber wir waren davon nicht so reich geworden, wie wir uns erhofft hatten. Und wenn man keine Nahrungsmittel anpflanzen kann und kein Geld hat, um welche zu kaufen, dann leidet man. Für mich war es deshalb ganz natürlich, Bäume zu pflanzen. Sie produzieren Brennholz, sie schützen die Böden vor Erosion, spenden Schatten, und Fruchtbäume geben Früchte. Bäume sind eine praktische Sache.

Beobachter: Aber Ihr Engagement ging über das Pflanzen von Bäumen hinaus.
Maathai: Indem das Green Belt Movement wuchs, wurden die Bäume zu einem sehr starken Symbol, zu einem wichtigen Werkzeug, um auch andere Botschaften zu verbreiten: Botschaften zur Entwicklung, zur Nachhaltigkeit, Aufrufe für Frieden und Menschenrechte.

Beobachter: Was hat Bäumepflanzen mit Entwicklung, Frieden oder Menschenrechten zu tun?
Maathai: Wir hatten durch die vermeintliche «Entwicklung» unsere Lebensgrundlage zerstört. Oder besser: Die Regierung hatte diese Zerstörung zugelassen, indem sie Wälder privatisierte und sie abholzen liess. Die Regierung, die die Wälder und damit unsere Lebensgrundlage schützen sollte, machte sich so zum Feind des Volkes. Deshalb mobilisierten wir die Leute und forderten die Regierung auf, diese Zerstörung zu stoppen. Denn sind die Wälder einmal zerstört, fällt weniger Regen, die Flüsse trocknen aus und das Wasser wird knapp. Dann kämpfen die Menschen ums Wasser, und wenn es nur ein Wasserloch ist. Statt um schwindende Ressourcen zu kämpfen, versucht man besser, sie wieder aufzubauen.

Beobachter: Die Regierung von Daniel arap Moi schätzte Ihre Initiative nicht sonderlich.
Maathai: Überhaupt nicht. Ich bildete die Leute aus, gab den Frauen Selbstvertrauen. Ich gab ihnen das Werkzeug, um die Regierung herauszufordern. Das schätzte der Präsident nicht, weil er ein Diktator war.

Beobachter: In Ihrer Rede bei der Verleihung des Friedensnobelpreises sagten Sie: «Wir hatten ständig Schwierigkeiten.»
Maathai: (Lacht.) Ich habe immer noch ständig Schwierigkeiten! Zum Beispiel hat die Regierung gerade beschlossen, eine Bewirtschaftungsform wiedereinzuführen, bei der Wälder grossflächig gerodet werden, das sogenannte Shambaa-System. Damit zerstört man nicht nur die Wälder, sondern auch die Artenvielfalt. Und deshalb sind wir wieder «up in arms», greifen wir wieder zu den Waffen. Regierungen mögen es nicht, wenn man sie kritisiert. Daher die Schwierigkeiten.

Beobachter: Wie muss ich mir das vorstellen, wenn Sie als Friedensnobelpreisträgerin «zu den Waffen greifen»?
Maathai: Ich kämpfe natürlich nicht handfest (lacht und schüttelt zum Spass ihre Fäuste). Wir melden uns zu Wort, und wenn nötig, demonstrieren wir friedlich.

Beobachter: Pflanzen Sie auch als Nobelpreisträgerin noch selber Bäume?
Maathai: Ja, natürlich! Ich setze auf Aktionen. Ich will den Menschen in Afrika zeigen, dass man auch mit einer guten Ausbildung auf den Boden knien und sich die Finger schmutzig machen kann. Umweltschutz bedeutet dienen – und viel harte Arbeit.

Beobachter: Und diese Arbeit verrichten beim Green Belt Movement hauptsächlich Frauen.
Maathai: Am Anfang war das so, aber das war eher ein Zufall. Im National Council of Women of Kenya, wo die Idee für unsere Bewegung entstand, gab es nun mal keine Männer. (Lacht.) Und in dem Teil von Afrika, aus dem ich stamme, sind es primär die Frauen, die das Land bearbeiten. Sehr oft waren die Männer aber froh darüber, dass auf ihrem Land Bäume gepflanzt wurden, denn das steigerte den Wert des Bodens. Sie halfen mit, und das wurde im Lauf der Jahre dann ein Markenzeichen unserer Bewegung: dass wir mit allen arbeiten, mit der ganzen Dorfgemeinschaft, nicht nur mit Frauen. Aber Frauen sind die treibenden Kräfte der Bewegung.

Beobachter: Wie stellen Sie sicher, dass die Bäume gepflegt werden, wenn Sie wieder weg sind?
Maathai: Es ist nicht einfach. Aber wir haben ein Prozedere entwickelt: Wenn man einen Baum pflanzt und dieser überlebt, erhält man einen kleinen Geldbetrag. Das hält die Leute bei der Stange. Wenn wir später wieder in die Gemeinde kommen, fragen wir nach: «Wo sind die Bäume, die ihr gepflanzt habt?» Viele unserer Spendengelder fliessen so in die Dörfer.

Beobachter: Wenn wir in Europa von Afrika hören, dann sind das Nachrichten über Krieg, Hunger, Kindersoldaten und Korruption. Inwiefern leidet Ihre Arbeit unter diesem Image?
Maathai: Sie leidet insofern, als die Geldbeschaffung sehr schwierig ist. Viele Leute denken, dass das Geld nicht dort ankommt, wofür es gedacht ist – auch wenn wir stets offenlegen, was mit dem Geld passiert. Das ist der negative Aspekt. Es gibt aber auch einen positiven: Die Menschen im Westen sind froh, wenn sie sehen, dass in Afrika nicht alles nur schlecht ist, sondern dass die Leute hart arbeiten und sehr ernsthaft gegen die Probleme ankämpfen.

Beobachter: Aber die Probleme sind nicht wegzudiskutieren. Eines davon ist die Umweltzerstörung in Afrika. Können sich die Menschen angesichts ihrer übrigen Probleme überhaupt leisten, die Umwelt zu schützen?
Maathai: Manchmal verhalten sie sich tatsächlich so, als ob es ein Luxus wäre. Aber sie realisieren schnell, dass Umweltschutz in Afrika alles andere als ein Luxus ist. Wenn man die Umwelt nicht schützt, bezahlt man schnell einen hohen Preis dafür.

Beobachter: Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Maathai: Im Rift Valley in Kenia leben sowohl Farmer als auch Viehzüchter. Früher gab es genug Wasser, das aus den höher gelegenen Wäldern kam und bis in die Savannen gelangte, wo die Viehherden weideten. Nun aber wird das Wasser wegen grossflächigen Rodungen immer knapper. Und das noch vorhandene Wasser nutzen vor allem die Farmer für ihre Felder. Die Viehzüchter ziehen auf der Suche nach Wasser durch das Land der Farmer, und so kommt es oft zu Kämpfen, bei denen es auch Tote gibt. Warum? Weil die Menschen um knappe Ressourcen kämpfen.

Beobachter: Ist das auch ein Konflikt zwischen einem langfristigen Denken für eine gesunde Umwelt und dem kurzfristigen Bedürfnis, genug Wasser und Nahrung zu finden?
Maathai: Das ist ein wichtiger Teil, denn viele Bedürfnisse sind sehr unmittelbar. Man kann zwar versuchen, die Probleme auf der Stelle zu lösen. Aber längerfristig kann die Lösung nur lauten, dass man die Wälder schützt. Das Problem ist nur: Wenn die Menschen leiden und arm sind, dann denken sie ans Jetzt und nicht daran, was in zehn oder zwanzig Jahren sein wird. Da kommen wir ins Spiel. Wir sagen den Menschen: «Wartet nicht auf die Regierung, löst das Problem selber.»

Beobachter: Aber die dringlichen Probleme, etwa den Hunger, können Sie nicht sofort lösen.
Maathai: Da kann man kurzfristig tatsächlich nicht viel dagegen tun. Man kann die Leute nur ermutigen. Und das tun wir durch Bildung. Wir halten Seminare ab. Wir versuchen den Leuten zu zeigen, was passiert, wenn sie der Umwelt nicht Sorge tragen.

Beobachter: In Ihrer Nobelpreisrede erläuterten Sie, wie Konsumverhalten und Lebensstil die globalen Ungerechtigkeiten verursachen, und Sie sagten: «Es ist unsere Wahl, was wir dagegen tun wollen.» Haben Menschen, die Hunger leiden, tatsächlich eine Wahl?
Maathai: Die afrikanischen Länder sind gar nicht so arm, wie es immer dargestellt wird. Afrika als Kontinent und auch die einzelnen Länder sind sehr reich, aber sie haben sehr korrupte Führer. Und diese werden vom Volk gewählt. Die Leute in diesen Ländern können deshalb nicht sagen, sie seien unschuldig an der Misere.

Beobachter: Und was erwarten Sie vom Westen?
Maathai: Der Westen sollte keine Regierungen unterstützen, die ihr Volk ausbeuten und ihr Land zerstören. Der Westen ist nicht verantwortlich für Afrika, die Afrikaner sind verantwortlich für sich selber. Aber so wie die Politik nun mal ist, sind auch die meisten westlichen Regierungen darauf erpicht, für ihr eigenes Volk zu nehmen, was immer sie bekommen können. Es ist deshalb an den afrikanischen Regierungen, ihre Bevölkerung vor der Ausbeutung durch den Westen zu schützen.

Beobachter: Nimmt denn der Westen überhaupt genügend Notiz von Afrika? Über die Auswirkungen des Klimawandels in Afrika etwa hört man in Europa sehr wenig.
Maathai: Dann hören Sie nicht richtig zu, ich rede ständig darüber. (Lacht.)

Beobachter: Ich habe leider nur selten Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Aber bitte erzählen Sie, ich werde zuhören.
Maathai: Die Medien berichten leider sehr selten über den Klimawandel in Afrika. Ich bin zum Beispiel Goodwill-Botschafterin des Kongo-Urwalds. Aber wer berichtet darüber, dass wir diesen Urwald schützen müssen, weil er eine riesige CO2-Senke ist? Der Westen hätte ein riesiges Interesse daran, in dieser Angelegenheit mit den afrikanischen Regierungen zusammenzuarbeiten. Aber kaum jemand nimmt Notiz davon. So ist es eben: Wenn in Afrika eine Katastrophe passiert, sind wir auf den Titelseiten. Wenn wir aber hart arbeiten und Gutes versuchen: no news.

Beobachter: Glauben Sie, dass der Klimakollaps noch verhindert werden kann?
Maathai: Ich wäre nicht hier, wenn ich nicht daran glauben würde. Wenn wir uns im Dezember in Kopenhagen an der Uno-Klimakonferenz treffen, wird es zu einer grösseren Zusammenarbeit zwischen den Regierungen kommen, als wir sie in Kioto hatten.

Beobachter: Warum?
Maathai: Weil die USA jetzt endlich auch an Bord sind. Ich glaube zudem, dass die Wissenschaft am Klimawandel viel stärker interessiert ist als noch vor zehn Jahren. Ich habe grosse Hoffnungen, dass in Kopenhagen gute Entscheide gefällt werden.

Beobachter: Und in welche Richtung sollten die Beschlüsse Ihrer Ansicht nach gehen?
Maathai: Ganz wichtig scheint mir, dass der Schutz der tropischen Wälder festgeschrieben wird. Wir müssen den Amazonas schützen, den Kongo und die Wälder in Südostasien. Das sind ganz wichtige CO2-Senken. Die internationale Gemeinschaft muss eng mit den Regierungen zusammenarbeiten, in deren Länder diese Wälder stehen. Sie muss diese Regierungen finanziell unterstützen, damit diese Wälder geschützt werden können.

Beobachter: Die westliche Welt beschäftigt sich zurzeit vor allem mit der Finanzkrise. Noch 2007 haben wir viel von der Hungerkrise in Afrika gehört, jetzt wird das Thema verdrängt.
Maathai: Es ist ja nicht so, dass nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stünden. Das Problem ist vielmehr, dass die betroffenen Länder nicht genug Geld haben, um diese zu kaufen. Das hängt auch damit zusammen, dass in den USA ein Teil der Nahrungsmittel zur Herstellung von Biotreibstoff verwendet wird.

Beobachter: Was bedeutet, dass die Dritte Welt den Preis für den Energiehunger des Westens bezahlt.
Maathai: Genau. Aber umso mehr sollten die Afrikanerinnen und Afrikaner aufhören, sich zu bekämpfen, und stattdessen Nahrungsmittel anpflanzen.

Beobachter: Wenn wir 20 Jahre in die Zukunft blicken: Was ist Ihre Vision für Afrika?
Maathai: Meine Vision ist, dass Afrika besser regiert wird – von Führern, die sich um ihr Volk kümmern, die ihr Volk und die Ressourcen des Kontinents schützen. Das hoffe ich, das hoffe ich wirklich.

Beobachter: Eine letzte Frage habe ich noch, aber ich traue mich fast nicht, sie zu stellen.
Maathai: Machen Sie nur!

Beobachter: Sie sehen so energiegeladen, so entschlossen aus.
Maathai: Danke!

Beobachter: Das Green Belt Movement ist sehr stark auf Sie ausgerichtet, auf Ihre Person. Was geschieht, wenn Sie einmal nicht mehr da sind?
Maathai: Ich versuche alles, damit das Green Belt Movement mich überlebt. Wenn es das nicht tut, dann habe ich mein Leben vergeudet. Aber ich weiss, dass es Tausende von Menschen gibt, die an unsere Arbeit glauben. Sie mögen keine Führungspersönlichkeiten sein, aber auf ihrer persönlichen Ebene haben sie sich verändert und ein Bewusstsein für die Werte entwickelt, die wir zu vermitteln versuchen. Ich habe viele Samen gepflanzt, und ich bin sicher, dass sie sich vermehren werden.