«Das ist ja grossartig! In diesem Alter!» Die deutsche Touristin strahlt. Mein Freund, seine Eltern und ich stehen an der Wegkreuzung in Harris. Gerade sind wir aus dem Sensegraben steil aufgestiegen, meine Wangen glühen vor Hitze. Die Bewunderung wird aber den Eltern meines Freundes zuteil, beide über 80. Doch die kosten ihren Triumph nicht aus und wandern gleich fröhlich weiter.

Nicht den betagten Schwiegereltern in spe galt meine Sorge, als ich die Rundwanderung durch den Sensegraben plante, sondern dem Risiko, sie in die Irre zu führen und mich zu blamieren. Das Grenzgebiet zwischen den Kantonen Bern und Freiburg ist für mich Neuland. Natürlich ist nichts spannender als das Unbekannte. Aber ich besitze weder eine Karte der Region noch Wandererfahrung. Google und die Zuversicht meiner Begleiter müssen reichen. «Das wird bestimmt schön. Mach dir keine Sorgen!», sprach der Ältestenrat.

Am frühen Sonntagmorgen fahren wir mit der Bahn nach Schwarzenburg. Im «Bären» gibt es «Kafi und Züpfe», und schon folgen wir den gelben Wegweisern Richtung Grasburg. Wir wandern über Feldwege, vorbei an schönen Höfen, Kühen und Äckern. Über unsere Köpfe zieht ein Starenschwarm hinweg. Hinter uns zeichnen sich im Höhennebel Stockhorn, Gantrisch und die Hügelzüge des Schwarzseegebiets ab.

Ein Hohlweg führt zur Ruine Grasburg. Sie thront hoch auf einem Sandsteinfelsen in einer Senseschleife. Auf der Burg aus dem 12. Jahrhundert herrschten nacheinander die Kyburger, die Habsburger und die Savoyer. Heute ist sie eine der grössten Ruinen des Kantons Bern.→

Am Fuss des Felsens wuchern Birken, Farne und hohe Gräser – verwunschenes Uferland. Wir knabbern Tuttifrutti und schauen neidisch auf die Cervelats, die eine Familie neben uns überm Feuer brät. Eine gute Beiz, das hatte ich recherchiert, würde am Weg nicht auf uns warten. Aber an Wurst und Brot, die beste aller Wandermahlzeiten, hatte ich trotzdem nicht gedacht.

Auf einer alten Holzbrücke überqueren wir die Sense und stechen durch den Wald hoch nach Harris. Nördlich und südlich dieses Weilers bildet der Sensegraben die Kantonsgrenze. Hier aber liegt ein Flecken Kanton Bern im Freiburger Sensebezirk wie ein Stück Berner «Züpfe» im Vacherin-Fondue. Eine riesige Berner Fahne vor einem Bauernhaus verdeutlicht die Situation.

Auf dem Jakobsweg über die Sense

In einem kleinen Waldstück passieren wir den Grenzstein und betreten katholisches Land. Beim Bauernhof in Hinter Schönfels will ich gerade einen reifen Apfel stibitzen, als ich eine hübsche Kapelle am Wegrand entdecke. Ich lasse den Apfel hängen, trete ein und lasse mich von einem Mini-Josef im Glassarg bezaubern. Kaum wieder draussen, tritt ein, was ich befürchtet habe: Wir kommen vom Weg ab. Anstatt weiter der Strasse zu folgen, zweigen wir rechts ab und wandern über das Feld nach Heitenried, wo uns ein freundlicher Herr auf den rechten Weg – den Jakobsweg – zurückführt.

Über Pflastersteine, die von zahlreichen Pilgerschuhen abgewetzt sind, geht es runter zur Sodbachbrücke. Ob wir den steilen Aufstieg zurück nach Schwarzenburg nicht doch bequem im Postauto bewältigen sollten? «Für meine Geschichte muss ich doch den ganzen Weg abmarschieren!», versuche ich mir Gehör zu verschaffen. «Ach was», sprechen die Weisen: «Schön wars, aber das wars! Mach dir keine Sorgen; schieb es einfach auf die Alten.»

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3 Routen

Sensegraben

Route: Schwarzenburg–Wart–Ruine Grasburg–Harrissteg–Harris–Hinter Schönfels–Vorder Schönfels–Sodbachbrügg–Torenöli–Schwarzenburg
Charakter: leichte Wanderung, gutes Schuhwerk empfohlen
Wanderzeit: 3 Stunden und 15 Minuten
Distanz: 10 Kilometer
Aufstieg: 260 Meter
Abstieg: 260 Meter
Saison: ganzjährig
Karte: Landeskarte 1 : 25 000; Blatt 1186 Schwarzenburg

ANREISE
Mit dem Zug ab Bern bis zur Endstation Schwarzenburg

ESSEN
Schöne Grillstellen gibt es bei der Ruine Grasburg und am Ufer der Sense.
In Schwarzenburg: Restaurant Sonne, Restaurant Jäger

ÜBERNACHTEN
Hotel Schloss Ueberstorf, Ueberstorf FR: Ob Schlossdamenzimmer, Vorrats- oder Dienstbotenkammer – die Gästezimmer im früheren Herrschaftssitz, Kloster und Mädchenpensionat haben alle ihren eigenen Charme und wirken trotz 500-jähriger Geschichte hell und freundlich.
www.schlossueberstorf.ch

STAUNEN
Von der Ruine Grasburg hat man einen grandiosen Blick auf das glitzernde Wasser der Sense und die wilde Uferlandschaft. Es lohnt sich, jeden Winkel der Ruine zu erkunden, auf die alten Mauern zu klettern, durch Schiessscharten zu gucken und sich beim Blick aufs weite Land wie ein Burgfräulein zu fühlen.


Gürbetaler Höhenweg

Route: Kehrsatz–Kühlewil–Hofmatt–Falebach–Pfaffenloch-Gutenbrünnen–Mühlethurnen
Charakter: leichte Wanderung
Wanderzeit: 5 Stunden
Distanz: 17 Kilometer
Aufstieg: 290 Meter
Abstieg: 280 Meter
Saison: ganzjährig
Karte: Landeskarte 1 : 50 000; Blatt 243 Bern

ANREISE
Mit dem Zug bis Kehrsatz; Rückreise ab Bahnhof Thurnen in Mühlethurnen

Sehenswertes: Der Höhenweg bietet eine traumhafte Sicht
auf den Thunersee und auf die Gipfel der Berner Alpen. Die Route führt an der Höhle Pfaffenloch vorbei, wo einst Kluniazensermönche aus Rüeggisberg wilde Feste gefeiert haben sollen. Die gut erhaltenen Höfe und Speicher im Weiler Falebach stammen wie auch das Ofenhaus aus dem 18. Jahrhundert.


Rundgang um den Schwarzsee

Route: ausgeschilderter Rundweg ab Bushaltestelle Gypsera in Schwarzsee
Charakter: Spaziergang
Wanderzeit: 1 Stunde und 15 Minuten
Distanz: 4 Kilometer
Aufstieg: 50 Meter
Abstieg: 50 Meter
Saison: ganzjährig
Karte: Landeskarte 1 : 25 000; Blatt 1226 Boltigen

ANREISE
Mit dem Bus ab Bahnhof Freiburg nach Schwarzsee

Sehenswertes: Der Schwarzsee ist tatsächlich tiefschwarz – laut einer Sage, weil der Riese Gargantua seine schmutzigen Füsse darin badete. Da das Wasser nicht mehr als zehn Meter tief ist und im Winter schnell zufriert, eignet sich der See hervorragend zum Schlittschuhlaufen. Am Wasserfall, der hinter dem Camping Seeweid 30 Meter in die Tiefe stürzt, bilden sich imposante Eiszapfen.